Heute früh hat sich Kai Böddinghaus mal wieder so richtig über “unsere” Tageszeitung HNA – genauer über die “intellektuellen Exkremente des HNA-Verlegers” Dirk Ippen geärgert. Da solche Texte Reichweite brauchen, hier einfach ein Link zum Original. Viel Spaß beim Lesen.
https://kasselerrathausblog.wordpress.com/2023/05/07/der-pharisaer-von-der-hna/
Münchner Geschichte am 21. Juni, mal mit & mal ohne Krawall: Von 1947 über 1962 bis heute
Heute jährt sich zum 60. Mal der Beginn eines aufsehenserregenden jugendkulturellen Protestereignisses, das als “SchwabingerKrawalle” in die Geschichte eingegangen ist. Anlässlich des Jubiläums dieses fünf Nächte andauernden Straßenprotests wurde ich vor drei Wochen vom Bayerischen Rundfunk als „Krawall“-Experte ausführlicher interviewt. Hier der Link zu der Bayern2- Podcast-Folge aus der Reihe „Tatort Geschichte“, die zwei Geschichtsdidaktiker der LMU München letztes Jahr ins Leben gerufen haben:
Eingeladen war ich als einer der Mitautoren des 2006 im Klartext-Verlag erschienenen Buchs „‘Schwabinger Krawalle‘. Protest, Polizei und Öffentlichkeit zu Beginn der 60er Jahre“, herausgegeben von Gerhard Fürmetz. Weitere Autoren des Buchs, zu dem Walter Ziegler das Vorwort verfasst hat, waren neben dem Herausgeber und mir noch Michael Sturm, Andreas Voith, Esther Arens und Margit Fürmetz.
Mittlerweile ist es auch schon wieder 20 Jahre her, dass Michael Sturm und ich unsere ersten “Krawall”-Forschungsergebnisse ganz gesittet und akademisch in der Bibliothek des Instituts für Bayerische Geschichte an der LMU vorgestellt haben – damals zum Protestjubiläum “vor 40 Jahren”. Ergebnis des 2002 gestarteten Projekts war 2006 der Klartext-Band, der auch in die Villa ten Hompel-Schriftenreihe aufgenommen wurde.
Mich hat es nun sehr gefreut, fast zwei Jahrzehnte nach diesen Protestforschungen an einer Folge des BR-Podcasts mitwirken einbringen zu können und Einschätzungen auf Basis meiner eigenen damaligen Erkenntnisse, die ich mir dafür noch einmal zu vergegenwärtigen hatte, einzubringen – ebenso wie auch die Erkenntnissen der anderen Buchautor:innen; v.a. über Michael Sturms Untersuchungen zur Rolle der Polizei habe ich in dem Podcast auch berichtet.
„Tatort Geschichte“ ist übrigens ein wirklich empfehlenswerter neuer Histo-Podcast von Bayern 2, der in Zusammenarbeit mit der Georg-von-Vollmar-Akademie produziert wird. „True crime meets history“ ist das Motto dieses Podcasts, der auf unterhaltsame Weise fundierte historische Informationen zu Themen der Zeitgeschichte und der Neueren Geschichte vermittelt. Seit 2021 bringen die beiden LMU-Geschichtsdidaktiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt die Podcastserie heraus. 35 Folgen, jeweils zwischen 30 und 60 Minuten lang, sind inzwischen erschienen.
60 Jahre „Schwabinger Krawalle“ – 75 Jahre Institut für Bayerische Geschichte: Noch ein Jubiläum wird in München heute gefeiert, zu dem sich sogar der bayerische Ministerpräsident Markus Söder höchstpersönlich in meiner Alma Mater angesagt hat. Anders als vor 60 Jahren dürfte dieser Auftritt heute Abend aber wohl ganz ohne „Studentenkrawall“ über die Bühne gehen – schaun mer mal…
Abbildungsquellen:
Abb. 1 u. 2: Gerhard Fürmetz (Hg.), “Schwabinger Krawalle”. Protest, Polizei und Öffentlichkeit zu Beginn der 60er Jahre“, Essen: Klartext 2006, Cover (Ausschnitt) u. S. 15.
Abb. 3: https://www.br.de/mediathek/podcast/tatort-geschichte-true-crime-meets-history/weltstadt-mit-schmerz-die-schwabinger-krawalle-1962/1857216 (Screenshot 21.6.2022, 14 Uhr))
Abb. 4: https://www.bayerischegeschichte.uni-muenchen.de/aktuelles/veranstaltungen/75_jahre_institut/index.html (Screenshot 21.6.2022, 14 Uhr).
Marie Marguerite De Brinvilliers
Marie Marguerite De Brinvilliers
Spielerin – Giftmischerin – Mörderin
Marie-Madeleine-Marguerite d’Aubray, später Marquise de Brinvilliers, kommt am 2. Juli 1630 als Kind einer reichen, angesehenen Familie in einem vornehmen Palais in Paris zur Welt. Ihr Vater ist der stellvertretende oberste Richter von Paris. Das Mädchen genießt die beste Erziehung, die Kindern aus wohlhabendem Haus damals zuteil werden kann. Sie wächst zu einer kultivierten Dame heran – und zu einer der bekanntesten Giftmörderinnen der Kriminalgeschichte.
Jugend
Die junge Marie wird als schön, charmant, intelligent und geistreich beschrieben, sanft, mit schönen Augen und einem heiteren Naturell. Ihre Taten scheinen in so starkem Widerspruch dazu zu stehen. Später, nachdem ihre Giftmorde bekannt geworden sind, wird man ihr Sodomie unterstellen und die Verführung ihrer Brüder. Vorwürfe, die sich im zeitlichen Abstand nicht bestätigen lassen, die aber typisch sind für die Zeitgenossen des 17. Jahrhunderts, wenn nach Erklärungen für Vorkommnisse gesucht, die sich dem landläufigen Verständnis entziehen. Dabei steckt in der Lebensgeschichte und dem Lebenswandel schon genug Material für Geschichten, ohne mutmaßlich hinzugedichtete reißerische Erzählungen von Inzest und Sodomie (was damals alle gesellschaftlich als abnorm wahrgenommenen sexuellen Praktiken bezeichnete).
Mit 21 wird sie mit dem Offizier Antoine Gobelin de Brinvilliers verheiratet. Auch er stammt aus wohlhabendem Haus. Seine Familie war durch den flandrischen Wollhandel reich geworden. Bald nach der Hochzeit wird Antoine Gobelin de Brinvilliers von Ludwig XIV. zum Marquis ernannt und Marie wird zur Marquise de Brinvilliers. Das Paar bekommt fünf Kinder. Marie ist die treusorgende Mutter, die von der Gesellschaft erwartet wird. Das Ehepaar kann mit Geld jedoch nicht umgehen. Marie neigt zu einem luxuriösen, verschwenderischen Lebensstil und ihr Mann steht ihr in nichts nach. Zudem ist Marie begeisterte Spielerin. Sie ist eine der ersten Frauen, die in Frankreich an den Spieltischen sitzen und dem Glücksspiel frönen darf. Obwohl aus wohlhabenden Familien stammend, muss das Paar immer weitere Kredite aufnehmen. Als sie keine mehr bekommen, verkaufen sie Ländereien und Besitztümer.
Liebhaber und Komplize
Auch die Beziehung zwischen den Eheleuten bricht mit damals geltenden Konventionen. Der Ehemann unterhält zahlreiche Geliebte und auch Marie hält sich nicht zurück, auch sie nimmt sich verschiedene Liebhaber. Als ihr Mann 1659 seinen Kriegskameraden, den Chevalier Jean Baptiste Sainte-Croix auf dem Anwesen des Paares zum Haushofmeister ernennt, beginnt die Marquise ein Verhältnis mit ihm. Auch Jean Baptiste ist Spieler. Marie kommt für seine Spielschulden auf und finanziert ihm ein teures Hobby: die Alchemie und Chemie. Zu den eigenen finanziellen Problemen kommen die ihres Geliebten hinzu.
Der Vater von Marie, der stellvertretende oberste Chefrichter von Paris, ist gegen die Affäre, lässt seine Tochter aber lange gewähren. Im März 1663 veranlasst er die Verhaftung des Chevalier. Er soll ein Jahr in der Bastille in Paris schmoren. Sainte-Croix bleibt jedoch nur anderthalb Monate in Haft und kehrt sofort nach seiner Entlassung zu seiner Geliebten zurück. Die Zeit in der Bastille hat er gut genutzt. Ein Mithäftling berichtet ihm von einem Gift, das nach damaligem Stand der Wissenschaft nicht nachweisbar sei. Der Marquise kommt das neu erlangte Wissen ihres Geliebten gerade recht. Sie glaubt, eine Lösung für ihre finanziellen Probleme gefunden zu haben und einen Weg, sich an ihrem Vater zu rächen: Sie plant seine Ermordung.
Der Geliebte nutzt seine neu errungenen Erkenntnisse des Giftmischens und die Marquise testet die Substanzen. Beiden ist klar, dass ein plötzlicher Tod des vitalen Oberrichters Verdacht erregen würde. Das über lange Zeit wirkende arsenhaltige Gift „Cantarella“ bringt die Lösung. Um Erfahrungen über Dosierung und Wirkung zu sammeln, engagiert sich die Marquise im La Charité, einem Armenspital, kümmert sich um die Bedürftigen und verteilt Lebensmittel. Niemand schöpft Verdacht, als dort nach und nach immer mehr Kranke sterben.
Vatermord und Erbe
Nun söhnt sich die Marquise zum Schein mit ihrem Vater aus und folgt ihm auf seinen Landsitz, wo sie die Betreuung des inzwischen auch gesundheitlich angeschlagenen Richters übernimmt. Sie hält Dritte von ihm fern und bereitet seine Speisen selbst zu. Über einen Zeitraum von acht Monaten verabreicht ihm die scheinbar aufopferungsvolle Tochter nach eigener Aussage etwa dreißig kleinere Dosen des Giftes. Am 10. September 1666 stirbt der Vater schließlich. Die chronische Vergiftung erscheint wie eine langanhaltende Erkrankung. Niemand schöpft Verdacht.
Um an das Vermögen ihres Vaters zu kommen, müssen auch die Geschwister aus dem Weg geräumt werden. Die Marquise zieht den Kammerdiener ihrer Brüder ins Vertrauen, verspricht ihm eine hohe finanzielle Entschädigung. Anfang April 1670 verbringen die Brüder die Osterferien auf einem Landgut. Ein Hauptgang wird vergiftet und sieben Personen zeigen Vergiftungserscheinungen. Im Juni des Jahres verstirbt zunächst der eine, wenig später der zweite Bruder. Die nachfolgende Leichenöffnung weist eine Schädigung der inneren Organe nach, die auf einen Giftmord hindeuten. Die Marquise verfügt über ein Alibi. Sie war nicht vor Ort. Der Kammerdiener gilt als treu ergeben und absolut unverdächtig. Die Schwester der Marquise ahnt, dass auch sie in Gefahr ist. Sie prüft alle ihre Speisen, doch auch sie stirbt an Vergiftung.
Die Aufklärung
Letztendlich werden die Mordfälle durch reinen Zufall aufgeklärt. Als Chevalier Jean Baptiste Sainte-Croix, der Liebhaber und Giftmischer der Marquise, im Juli 1672 – vermutlich an giftigen Gasen im Rahmen seiner chemischen Experimente – hochverschuldet stirbt, wird sein Nachlass auf gerichtliche Anordnung versiegelt. Die Gläubiger soll Gelegenheit bekommen, zumindest einen Teil seiner Schulden aus seinem Nachlass zu tilgen. Dabei stößt man auf eine Schatulle, versiegelt und mit einem Schreiben versehen, wonach sie der Marquise de Brinvilliers zuzustellen sei. In dem Kästchen finden sich von ihr ausgestellte Schuldscheine, eine Sammlung von Giften, sowie alle Briefe der Marquise an den Chevalier. Der Ausgangspunkt für die polizeilichen Ermittlungen.
Die Gifte werden an Tieren getestet und erweisen sich als tödlich. Weitere Nachforschungen führen zu Zeugenaussagen, die den Kammerdiener und die Marquise erheblich belasten. Als der Diener untertaucht, werden bei der Durchsuchung seiner Wohnung weitere Gifte gefunden. Er wird schließlich im September 1672 verhaftet. Die Marquise Marie Madeleine Marguerite de Brinvillier flieht zunächst nach England, während ihrem Helfer in Frankreich der Prozess gemacht wird. Er wird zum Tode durch Rädern verurteilt. Auch gegen die Marquise wird ein Verfahren in Abwesenheit geführt.
Vier Jahre später gelingt es der Polizei, auch die Marquise zu verhaften. Sie ist inzwischen von England nach Lüttich (heute Belgien) geflohen. Als französische Truppen 1675 die Stadt belagern, lässt sie sich von einem Priester in einem Kloster am Stadtrand verstecken. Im Frühjahr 1676 bekommt die Marquise Besuch von einem Mann aus Paris, einem Abbé, der sich der inzwischen 47-Jährigen als Verehrer ausgibt. Die beiden treffen sich außerhalb des Klosters, um gemeinsam die Nacht zu verbringen. Die Marquise wird von einem Verhaftungskommando erwartet, der „Abbé“ stellt sich als Sergeant der Pariser Polizei heraus. Die Giftmörderin Marie Madeleine Marguerite de Brinvillier wird verhaftet.
Im Kloster entdeckt die Polizei ein Kästchen mit Giftfläschchen und einem mit „Meine Beichte“ betitelten Schriftstück. Darin führt Marie alle Giftmorde detailliert auf. Als Angehörige des Adels genießt die Marquise das Privileg, durch eine Kammer des höchsten französischen Gerichts verurteilt zu werden. Die Hauptverhandlung findet zwischen dem 29. April und dem 16. Juli 1676 statt. Marie soll durch eine Wasserfolter dazu gezwungen werden, Mitwisser preis zu geben. Das Gericht sieht es aufgrund des in Lüttich aufgefundenen schriftlichen und des unter der Folter erbrachten mündlichen Geständnisses als erwiesen an, dass die Marquise ihren Vater und ihre beiden Brüder durch Gift ermordet hatte. Im Rahmen ihrer Testläufe für Giftmischungen im Armen-Spital soll sie zudem für den Tod weiterer 50 Menschen verantwortlich sein. Sie wird schließlich zum Tod auf dem Schafott verurteilt. Am 17. Juli 1676 wird sie hingerichtet, ihr Leichnam auf dem Place de Grève in Paris verbrannt und ihre Asche verstreut.
Was bleibt?
Der spektakuläre Fall um die Marquise de Brinvilliers lenkt die Aufmerksamkeit der Ermittler auf eine Reihe ungeklärter Todesfälle im Umfeld prominenter Persönlichkeiten. Auch zahlreiche Angehörige des königlichen Hofes und des Hochadels scheinen involviert. Bald ist man sich sicher, dass man es mit einer ganzen Reihe von Giftmorden zu tun hat. Die Regierung muss handeln. König Ludwig XIV. setzte die „Chambre ardente“ ein, ein Sondergericht zur Aufklärung der Giftaffäre, zu dessen Leiter der Generalleutnant der Polizei Gabriel Nicolas de la Reynie ernannt wird. Es folgen umfassende Untersuchung, eine obskure Mischung aus früher kriminalistischer Ermittlung und aus der berüchtigten Hexenverfolgung bekannten Praktiken. Die „Glühende Kammer“ (Chambre ardente) führte ihre Verfahren in einem schwarz abgedunkelten und nur durch Kerzenschein erhellten Raum. Gleich zu Beginn wird nicht allein im Hinblick auf die Herstellung, den Vertrieb und die Anwendung von Giften ermittelt. Das Übernatürliche gerät ins Visier der Untersuchung.
Eine Reihe von Wahrsagern und Alchemisten wird verdächtigt. Der Vorwurf: Wahrsagerei, das Abhalten spiritistischer Sitzungen und der Vertrieb von Liebestränken und sogenanntem „Erbschaftspulver“, bzw. Gift. Bald ermittelt das Sondergericht gegen einen angeblichen Pariser Hexenzirkel, dem vorgeworfen wird, französische Aristokraten mit Gift zu versorgen, um Angehörige des königlichen Hofes zu beseitigen. Mitglieder des Zirkels sollen zahlreiche Adlige, Banker und ein Rechtsanwalt sein. Auch ein angesehener Apotheker und Chemiker gerät unter Verdacht. Er soll die Gifte verkauft haben. Später gerät eine Wahrsagerin ins Visier der Ermittlung. Eine Agentin der Polizei gibt sich als Ehefrau aus, die bei der Wahrsagerin Gift kaufen will, um sich ihres Ehemannes zu entledigen. Ihr wird eine Flasche Gift verkauft. Die Falle schnappt zu. Zwei Wahrsagerinnen und weitere Komplizen werden verhaftet.
Nun folgen die Methoden aus den Zeiten der Hexenverfolgung: Die Inhaftierten werden gefoltert, verhört, beschuldigen sich gegenseitig. Eine Wahrsagerin gesteht, bei einer schwarzen Messe ihr Neugeborenes geopfert zu haben, ein als Zauberer Verdächtiger denunziert zwei Geistliche, über den Leibern nackter Mädchen schwarze Messen gelesen zu haben, er selbst habe ein Kind ermordet, das Blut aufgefangen und Herz und Eingeweide bei einer schwarzen Messe verwendet. Die klassischen Zutaten des Hexenglaubens, die Geständnisse durch Folter erzwungen.
Zunehmend geraten auch Angehörige des Hofes ins Visier der Ermittler. Der plötzliche Tod der Herzogin von Orléans 1670 hatte bereits Verdacht erregt. Ihr Ehemann, der Bruder des Königs, war verdächtigt worden die Tat ausgeführt oder in Auftrag gegeben zu haben. Der Giftaffäre zieht weite Kreise. Angehörige des königlichen Hofes werden verhaftet. Die Beschuldigten sind von hohem Stand. Die Beweise dürfen keinen Zweifel zulassen. Es folgen weitere Verhöre von Wahrsagerinnen, Alchemisten und Apothekern, vorgeblichen Zauberern und Hexen. Die Mittel der Wahl: Spanischer Stiefel, Streckbank und Wasserfolter. Aussagen und Geständnisse werden durch die Folter erzwungen, die Hauptzeugen sind von zweifelhaftem Ruf, widersprechen sich oder nehmen ihre Geständnisse auf dem Scheiterhaufen zurück.
Die Chambre ardente ermittelt bis 1680. Insgesamt werden 360 Personen verhaftet, es werden 218 Verhöre durchgeführt – viele von ihnen unter Anwendung von Folter – und 110 Urteile gesprochen. Zwei Verdächtige sterben unter der Folter, 36 werden durch das Schwert oder nach Art der Hexenverbrennung auf dem Scheiterhaufen hingerichtet, vier auf die Galeeren geschickt, 34 verbrannt und 30 freigesprochen. Die Spur führt auch zu Catherine Monvoisin Deshayes (genannt La Voisin). Durch angeblichen Zauber, Abtreibungen und den Verkauf von Giften soll sie ihr Einkommen aufgebessert haben. Sie hatte der Marquise de Brinvilliers die Zutaten für ihre Giftmischung verkauft. Die Zutaten für ihre Gifte und Tränke bezieht die La Voisin von dem angesehenen Apotheker und Chemiker Christophe Glaser. Die Mätresse des Sonnenkönigs Ludwig XIV., die Marquise de Montespan, soll bei ihr Liebestränke erstanden haben, um sich die Gunst des Königs zu erhalten. Auch der de Montespan wird die Teilnahme an schwarzen Messen zur Last gelegt, zudem steht sie in Verdacht, eine Konkurrentin vergiftet zu haben. Der Ermittler La Reynie verbringt zwei Jahre damit, Beweismittel gegen Madame de Montespan zu sammeln, während Angehörige der französischen Regierung alles tun, um die Affäre zu vertuschen. Die Mätresse ist Mutter der legitimen Nachkommen des Königs. Die Angelegenheit darf nicht an die Öffentlichkeit kommen. Catherine Monvoisin Deshayes wird zusammen mit mehreren ihrer Komplizen am 22. Februar 1680 zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt und auf dem Place de Grève in Paris hingerichtet.
Die Giftaffäre endet mit der letzten Hinrichtung im Juli 1683. Nur wenige Tage später erlässt der König ein Gesetz, das den Handel mit Giftstoffen regelt. Apotheker und Drogisten werden verpflichtet, ein Giftbuch zu führen, in dem alle Käufer von Giften aufgeführt sind. Bereits ein Jahr zuvor, im Jahre 1682, erklärt die französische Regierung Hexerei zu Täuschung und Einbildung. Dem Hexenwahn, der sich in den Ermittlungen in der Giftaffäre zeigt, soll per Edikt ein Ende gesetzt werden. In weiten Teilen Europas läutet erst die Aufklärung ein Ende der Hexenverfolgung ein.
Mary Ann Cotton – Die Arsenmörderin
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Gerichtsmedizin noch in den Kinderschuhen steckte, tötete die englische Giftmörderin Mary Ann Cotton mindestens 14, vermutlich aber bis zu 21 Menschen – vier Ehemänner, einen Liebhaber, ihre Schwägerin sowie eine Reihe leiblicher und ihrer Obhut anvertrauter Kinder. Dass sie mit ihren Morden über Jahre ungestraft davonkam, ist neben der damals noch unzulänglichen gerichtsmedizinischen Praxis auch auf ärztliches Versagen zurückzuführen. Die Ärzte erkannten die Zusammenhänge zwischen den Todesfällen nicht.
Die frühen Jahre
Die spätere Serienmörderin war im Oktober 1832 als Mary Ann Robson in Low Moorsley, nahe dem englischen Sunderland geboren. Als sie acht Jahre alt war, verzog die Familie in die Grafschaft Durham, wo Mary Ann den Großteil ihrer Jugend verlebte. Ihr Vater starb Anfang 1842 bei einem Arbeitsunfall im Bergwerk, Mutter und Tochter, die bis dahin in einer Mitarbeiterwohnung gelebt hatten, wurden daraufhin wohnungslos. Bereits im darauffolgenden Jahr heiratete die Mutter wieder. Mary Ann heiratete 1852 im Alter von 20 Jahren ihren ersten Ehemann, den 26jährigen Arbeiter William Mowbray, mit dem sie neun Kinder bekam. Nach und nach starben alle ihre Kinder bis auf die Tochter Isabella. In allen Fällen wurde ein „gastritisches Fieber“ – Magenfieber – als Todesursache festgestellt. Diese Diagnose sollten zwischen 1857 und 1872 noch mehrere Ärzte stellen. Das Massensterben fiel über Jahre nicht auf. Nicht lange nach dem Tod der Kinder, im Januar 1864, verstarb auch Mary Anns Ehemann. Als Todesursache wurde Diarrhöe angenommen. Seine Lebensversicherung in Höhe von 35 Pfund Sterling (nach aktuellem Wert ca. 3371 GBP) wurde an seine Witwe ausgezahlt. Mary Ann gab ihre überlebende Tochter Isabelle zu ihrer Mutter Margaret, zog nach Sunderland und arbeitete eine Zeit lang als Krankenpflegerin.
Weitere Ehen
Über eine Freundin lernte Mary Ann den Frederik Cotton kennen. Sie kümmerte sich um die beiden Kinder des Witwers und beide heirateten im September 1870. Im Jahr darauf kam der gemeinsame Sohn Robert zur Welt. Auch den vierten Ehemann vergiftete Mary Ann. Er starb im Dezember 1871. Kurz darauf starben die Kinder Cottons. Auf alle liefen Lebensversicherungen, die an Mary Ann Cotton ausgezahlt wurden. Zwischenzeitlich hatte Mary Ann einen wohlhabenden Liebhaber dazu gebracht, sein Testament zu ihren Gunsten zu ändern. Auch er starb im September 1871. Als letztes starb Charles Edward Cotton, der letzte Sohn ihres verstorbenen Mannes. Endlich schöpfte ein Gemeindebeamter Verdacht. Lokale Zeitungen wurden auf den Fall aufmerksam und fanden heraus, dass Mary Ann in ganz Nordengland gelebt und zahlreiche Ehemänner, Liebhaber, eine Freundin, ihre Mutter und elf ihrer Kinder verloren hatte und alle angeblich an Magenfieber verstorben waren.
Ein Verdacht
Erst als sie noch vor Erstellung des Totenscheins durch einen Arzt bereits die Versicherung aufsuchte und die Auszahlung der Lebensversicherung einforderte, erregte dies Verdacht, dass bei den zahlreichen Todesfällen irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte. Bei dem letzten Opfer, ihrem Stiefsohn, wurde eine Arsenvergiftung festgestellt. Daraufhin wurden der Ehemann und die anderen beiden Kinder exhumiert und untersucht und auch sie wiesen eine Arsenvergiftung auf. Mary Ann Cotton, die sich mittlerweile einen weiteren Liebhaber zugelegt hatte, von dem sie ein Kind erwartete, wurde festgenommen. Ihr nunmehr 13. Kind gebar sie im Januar 1873 im Gefängnis von Durham.
Die Quellen geben abweichende Zahlen ihrer Opfer an. Mary Ann Cotton hatte 1857 und 1872 mindestens 14, womöglich jedoch bis zu 21 Menschen umgebracht. Sie ging als erste Serienmörderin in die britische Geschichte ein und ihr Name wurde zum Synonym für Arsenvergiftung.
Der Fall im Kinderreim
Mary Ann Cotton
She’s dead and she’s rotten!
She lies in her bed
with her eyes wide open.
Sind, sing! Oh, what can I sing?
Mary Ann Cotton is tied up with string.
Where, where? Up in the air
selling black puddens a penny a pair.
Die Familie Dumas (Teil II)
Armut – Weltruhm – Ruin
Alexandre Dumas, einer der bedeutendsten Vertreter der französischen Romantiker, wurde 1802 in Villers-Cotterêts geboren. Seine zahllosen Romane zählen zu den Klassikern der Weltliteratur, unzählige Male verfilmt in Starbesetzung. Was heute Netflix ist, waren damals die Fortsetzungsromane in den Tageszeitungen. Sein erfolgreichster Roman „Der Graf von Monte Christo“ erschien in Fortsetzungen im „Journal des débates“ und ließ die Auflage der Zeitungen in die Höhe schnellen. Dumas verstand sich auf überraschende Wendungen, verworrene Geschichten und Schicksalsschläge.
Seine eigene Familiengeschichte kann gut und gern als Roman-Vorlage dienen. Wenig bekannt: Alexandres Großmutter war die Sklavin Marie-Cessete Dumas, der Großvater der Marquis Antoine-Alexandre Davy de la Pailleterie. Der Vater des berühmten Autors, Thomas-Alexandre Dumas, in Sklaverei geboren, stieg im napoleonischen Frankreich bis zum General auf, verstarb dann jedoch früh nach Kerkerhaft und Krankheit. Bei Napoleon in Ungnade gefallen, war Thomas-Alexandre Dumas auf der Heimreise vom Ägypten-Feldzug 1799 in Neapel in Gefangenschaft geraten.
Als er im März 1801 freigelassen wurde, war seine Gesundheit ruiniert. Er starb nur wenige Jahre später an Magenkrebs. Jahrelang bemühte sich seine Witwe erfolglos, vom Staat eine Rente zu erhalten. 1812 gelang es ihr immerhin, das Adelsprädikat für ihren zehnjährigen Sohn bestätigen zu lassen (Alexandre Dumas Davy de la Pailleterie). Alexandre war gerade mal vier Jahre als, als der Vater verstarb. Dennoch verehrte er ihn abgöttisch. Seine Abenteuer inspirierten ihn zu seinen Abenteuerromanen. Die Schmach versagter Ehrung des Vaters und der Armut, in der die Familie nach dessen Tod lebte, begleitete den verbitterten Sohn ein Leben lang.
Alexandre Dumas (1802-1870)
Erste Schritte als Autor
Es war wirtschaftliche Not, die Alexandre dazu zwang, mit 14 Jahren eine Anstellung als Schreiber bei einem Notar anzunehmen. 1822 zog es ihn nach Paris. Durch Vermittlung eines Generalskollegen seines Vaters erlangte er eine Anstellung als Kopist und Sekretär im Büro des Herzogs von Orléans, dem späteren „Bürgerkönig“ Louis-Philippe. Hier schlug Dumas aus seiner schönen Handschrift Kapital – eine Fähigkeit, die vor der Erfindung der Schreibmaschine durchaus etwas wert war. Früh entdeckte Dumas auch sein Talent zum Schreiben.
1825 verdiente er sein erstes Honorar als Co-Autor eines Theaterstücks, 1826 ein weiteres. Es folgten Gedichte und journalistische Texte. Seit spätestens 1828 bewegte sich Dumas in den literarischen Kreisen, hatte Zugang zum Salon des Autors Charles Nodier, lernte dort die erste Generation der Romantiker kennen, unter ihnen solche literarischen Größen wie Victor Hugo. Dumas machte sich bald einen Namen als Autor von Theaterstücken. Sein größter Bühnenerfolg, das 1839 veröffentlichte Stück „Mademoiselle de Belle-Isle“, wurde bis 1844 mehr als 400 mal aufgeführt.
1835 wandte sich Dumas dem modischen Genre der Novelle zu und versuchte sich als Erzähler. 1838 tat er sich mit Auguste Maquet zusammen und verlegte Romane. 1845 erschien „Der Graf von Monte Christo“. Der erfolgreichste Roman von Alexandre Dumas erschien zunächst in Fortsetzungen im „Journal des débats“. Er begründete den Erfolg des Autors. Von nun an weitete er den Verlag zu einer regelrechten Roman-Fabrik aus. Dumas erdachte Hauptfiguren, entwarf Handlungsstränge, überließ das Texten seinen zahlreichen Lohnschreibern. So wurden jährlich bis zu 30 Abenteuerromane produziert, insgesamt etwa 600 Bände. Sie erschienen in der Regel zunächst als Fortsetzungsromane in Zeitungs-Feuilletons, bevor sie als Bücher gedruckt wurden.
Rassismus und Anerkennung
Der Vielschreiber Dumas war mit seinen zahllosen Romanen zu Ruhm und Geld gekommen. Trotz all seiner Erfolge – seine schwarze Abstammung wurde ihm Zeit seines Lebens vorgehalten. Denn seine Großmutter, Marie-Cessete Dumas, war eine schwarze Sklavin gewesen, sein Vater, Thomas-Alexandre Dumas, kam als unehelicher Sohn des Marquis Antoine-Alexandre Davy de la Pailleterie, dem abenteuerlustigen Spross einer alten normannischen Adelsfamilie, in der Karibik zur Welt. Thomas-Alexandre Dumas hatte erst in Frankreich seine Freiheit erlangt. Wenngleich er in der französischen Armee eine glänzende Karriere hinlegte, endete das Leben des Generals Dumas schließlich doch in Armut. Wie sehr dessen Sohn auch als berühmter Autor unter dem Schicksal seiner Familie zu leiden hatte, lässt der Roman „Georges“ aus dem Jahr 1843 erahnen, das wohl persönlichste Werk des Autors. Er spielt in den Jahren 1810 bis 1824 auf der Isle de France, dem späteren Mauritius. Der Held, ein kreolischer Mischling, kämpft gegen die rassistischen Vorurteile weißer Franzosen an, die ihm trotz seiner Erfolge die Anerkennung verwehren. Wegen seiner Herkunft wird der Protagonist nie als ebenbürtig erachtet. Dumas lässt hier eigene Erfahrungen mit Rassismus und Erlebnisse seines Vaters in die Handlung einfließen.
Der politische Dumas
Als König Karl X. 1830 versuchte, die Vorherrschaft des Adels in Frankreich wieder herzustellen und das Parlament aufzulösen, kam es im Juli 1830 in Paris zum Aufstand von Handwerkern, Arbeitern und Studenten. Die Regierung konfiszierte kurzerhand die Druckerpressen von Zeitungen, in denen Aufrufe zum Widerstand abgedruckt worden waren und inhaftierte die beteiligten Journalisten. Die Pariser Garnison wurde mit der Niederschlagung des Aufstandes beauftragt. Die Aufständischen errichteten Barrikaden in den Straßen der Hauptstadt, es kam zu Straßenkämpfen. Der König musste abdanken und zog ins Exil. Die Bourbonen waren endgültig gestürzt.
Alexandre Dumas beteiligte sich aktiv an der Julirevolution, kämpfte auf den Pariser Barrikaden und war dabei, als der Pulverturm von Paris erstürmt wurde. Er selbst berichtet später, er habe in einer Art Husarenstreich Schießpulver für den Widerstand aus dem hundert Kilometer entfernten Soissons herangeschafft. Der Wahrheitsgehalt dieser Darstellung lässt sich kaum überprüfen. Sein Gönner und erster Arbeitgeber in Paris, Louis Philippe von Orléans, kam als sogenannter „Bürgerkönig“ auf den Thron. Es begann die Periode der „Julimonarchie“, die als das Goldene Zeitalter des französischen Bürgertums gilt. Doch 1832 ging Dumas auf Distanz zu Louis-Philippe.
Dumas schrieb gern und häufig von idealistischen Freiheitshelden. Der italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi entsprach diesem Ideal. Als Garibaldi Anfang September 1860 im Triumph nach Neapel einzog, reiste Dumas nach Sizilien, um seinem Helden nahe zu sein. 1860 bis 1864 verbrachte Dumas in Neapel. Garibaldi ernannte den Autor zum Direktor für Ausgrabungen und Museen. Dumas gründete seinerseits im Herbst 1860 die italienischsprachige Zeitung „L`Independente“, die die italienische Einigungsbewegung publizistisch begleitete und dankte es seinem Helden mit einer ausführlichen Biografie.
Als Autor war Dumas immer bemüht möglichst nah am Geschehen zu sein, teilzunehmen an historischen Ereignissen, Zeuge zu sein von dramatischen Konflikten. Er zog Parallelen zwischen der Julirevolution in Frankreich 1839, die den Sturz des Borbonenkönigs Karl X. zur Folge hatte, und den Bestrebungen um dem Kampf um eine Italienische Vereinigung. Der Autor verstand sich als Mensch der Schrift und Mensch des Politischen (homme de lettres et homme politique). Er wollte Geschichte mitgestalten, Mythen erschaffen. Seine historischen Romane verwoben historische Fakten mit Halb-Wahrheiten. Dumas verstand sie nicht als reine Fiktion. Durch seine Darstellung der Geschichte in Romanform wollte er eine höhere, in der Geschichte verborgene historische Wahrheit vermitteln.
Einmal Reichtum und zurück
Der Autor von zwei Klassikern der Weltliteratur und Kopf einer Schreibmanufaktur, die 600 Abenteuerromane herausbrachte, hatte es aus der Armut heraus zu Ruhm und Ansehen und nicht zuletzt zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht, jedoch alles wieder verloren. Er hatte sich ein eigenes Theater errichtet, das nur drei Jahre nach der Eröffnung bankrott ging. Er ließ das Schloss von Monte-Cristo in Port-Marly bei Paris erbauen, veranstaltete häufige und große Feste. In seiner Zeit in Belgien unterstützte er aus Frankreich verbannte Schriftsteller im Exil, unter ihnen sein bester Freund Victor Hugo. Er hatte unzählige Liebschaften, zeugte fast ebenso viele uneheliche Kinder und versorgte jede seiner zahlreichen Mätressen mit einer kleinen Wohnung und einer Pension. Ein luxuriöser und ausschweifender Lebensstil, den sich auch der erfolgreiche Schriftsteller Alexandre Dumas nicht auf Dauer leisten konnte. Am Ende lebte er auf Pump und war gezwungen, die Nutzungsrechte an seinen zukünftigen Romanen abzutreten. Vor seinen Gläubigern flüchtete er auf langen Auslandsreisen nach Russland, Belgien und Italien. Am Ende seines Lebens war er finanziell völlig ruiniert. Er zog zu seinem Sohn nach Puy in der Nähe von Dieppe. Am 5. Dezember 1870 starb Alexandre Dumas im Alter von 68 Jahren in Armut an den Folgen eines Schlaganfalls.
Was bleibt?
Noch immer zählt Alexandre Dumas zu den meistgelesenen Autoren. Unzählige Male wurden seine Bücher verfilmt. 2002, zu seinem 200. Geburtstag, wurden die Gebeine des Schriftstellers in das Pariser Panthéon überführt, in die nationale Ruhmeshalle Frankreichs, wo sie neben Victor Hugo und Émile Zola ihre letzte Ruhestätte fanden. Die größte posthume Ehre für einen der größten Schriftsteller Frankreichs.
26.2.1885 – Kongo-Konferenz überlässt Leopold II. den Kongo als Privatkolonie
Am 26. Februar 1885 endet in Berlin die Westafrika- bzw. Kongo-Konferenz. 13 Staatschefs teilen das afrikanische Kolonialgebiet unter sich auf. Der Auftakt für die Ausbeutung eines Kontinents im großen Stil. Auf Betreiben des belgischen Königs Leopold II. hatte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck zwölf europäische Regierungschefs sowie Vertreter des Osmanischen Reiches und der USA eingeladen, um über den Freihandel und die Aufteilung Afrikas zu beraten. Die Ende Februar unterzeichnete „Kongo-Akte“ besiegelte die Inbesitznahme eines ganzen Kontinents. König Leopold wurde das Kongobecken zugesichert, ein Gebiet über siebzig Mal so groß wie Belgien. Das Deutsche Reich erhielt Kolonien in West- und Ostafrika.
Offiziell war der Kongo ein Freistaat und Eigentum der „Internationalen Kongo-Gesellschaft“ und daher nominell selbständig. König Leopold II. war jedoch alleiniger Eigentümer der Gesellschaft. Das Land war daher faktisch sein Privatbesitz. 1885 wurde die Gesellschaft aufgelöst und Leopold II. ließ sich vom belgischen Parlament als souveräner König des neu geschaffenen Freistaates Kongo bestätigen.
Leopold baute seine Privatkolonie zunächst mit Teilen seines Privatvermögens auf. Eine Verwaltung wurde eingerichtet und eine Regierung in Boma eingesetzt. Sie war Leopold zur Rechenschaft verpflichtet und verfügte über diplomatische Vertretungen und eine eigene Armee, die „Force Publique“. Die Erschließung und Kolonisierung wurde im weiteren Verlauf vom belgischen Staat finanziert. Das Land wurde zunehmend verstaatlicht, was zu einem völligen Zusammenbruch der lokalen Wirtschaft führte. Landwirtschaft, Jagd und Fischerei galten als Diebstahl von Staatseigentum. Wurden neue Felder angelegt, wurde dies als Landraub angesehen. Die Folge: Millionen Menschen gerieten in Hungersnot.
Die Herrschaft war brutal, die Strafen drakonisch, kleinste Verstöße, wie das Nichterreichen der Ertragsquote oder das Nichtbefolgen von Befehlen, brutal bestraft. Frauen wurden als Geiseln genommen, um die Ehemänner zur Kautschukernte zu zwingen. Kam die Lieferung zu spät, wurden die Frauen umgebracht. Auch nach ihrer Auslösung starben viele durch die Folgen der Entbehrungen in der Geiselhaft. Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Begehrte ein Dorf gegen Zwang und Quoten auf, wurde es zerstört und Teile oder alle Einwohner erschossen. Widerspenstige Arbeiter wurden kopfüber an Bäumen aufgehängt und zum Sterben hängen gelassen, Beine mit Pfeilen durchbohrt, Menschen zu Tode gepeitscht, die Hände abgehackt oder Nasen abgeschnitten, Leichen als Abschreckung öffentlich zur Schau gestellt.
Die Ausbeutung des Landes wurde an Privatunternehmen gegen Konzessionen übertragen. Hauptaktionär dieser Unternehmen war zumeist Leopold. In anderen Fällen war festgelegt, dass dem König der Großteil des erwirtschafteten Gewinns zufloss. Der Bevölkerung wurde eine Kautschuk-Steuer auferlegt. Die Provinzverwalter forderten jeweils die Ablieferung einer bestimmten Menge Naturkautschuk ein. Mit der „Force Publique“ schuf sich Leopold eine Berufsarmee, deren bedingungslose Loyalität er sich durch umfassende Privilegien erkaufte. Sie war die Grundlage des späteren Kolonialterrors. Die Soldaten trieben die Kautschuksteuer ein. Sie wurden nach eingetriebener Menge entlohnt, was eine zügellose Gewaltherrschaft zur Folge hatte. Je brutaler die Männer vorgingen, desto größer war die Menge des abgepressten Kautschuks und umso höher die zu erwartende Provision. Wurden 1891 noch 100 Tonnen Naturkautschuk exportiert, war die Menge 1901 bereits auf 6.000 Tonnen angestiegen. Zugleich bedeutete der Zwang zur Kautschukabgabe, dass den Menschen immer weniger Zeit für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung stand. Den daraus folgenden Hungersnöten fielen in manchen Gebieten 60 bis 90% der Bevölkerung zum Opfer.
1904: Der „Kongogräuel“ bringt Leopold II. unter Druck
Die brutale Ausbeutung des Landes und die Gewaltherrschaft der „Force Publique“ wurden als „Kongogräuel“ bekannt. Erste Berichte stammen von Missionaren, die in dem Gebiet tätig waren. Sie führten zur Jahrhundertwende zu internationalen Protesten.
Der Druck der öffentlichen Meinung zwang Leopold II. 1904 eine Untersuchungskommission einzusetzen. Sie deckte Sklavenhandel und Zwangsarbeit auf. Der König kam nicht umhin, umfangreiche Reformen durchzuführen. 1908 bestätigten weitere Berichte, dass sich an der menschenunwürdigen Ausbeutungspraxis nichts geändert hatte. Die westlichen Nationen zwangen Leopold zum Verkauf des Kongo an den belgischen Staat. Leopold erhielt 500 Mio. belgische Francs sowie die Zusicherung, dass alle vom König unterstützten Bauprojekte im Umfang von 45 Mio. Francs finanziert würden. Zudem übernahm der belgische Staat die Staatsschulden des Freistaates in Höhe von 110 Mio. Francs. Am 15. November 1908 wurde das Gebiet in die Kolonie Belgisch-Kongo umgewandelt. 1910 wurde offiziell die Zwangsarbeit abgeschafft. Auch unter dem belgischen Staat wurde die Menschen im Kongo unterdrückt. Allein zwischen 1880 und 1920 halbierte sich die Bevölkerung. Von den 20 Mio. Einwohnern starben über 10 Mio. durch die kolonialen Gewaltverbrechen, durch Hunger, Entkräftung, Überarbeitung und Krankheit.
Die Berichte über das von ihm verantwortete Gewaltregime machten Leopold II. zu einem der am meisten gehassten Menschen in Europa. Am 17. Dezember 1909 starb er als ein von den übrigen europäischen Herrscherfamilien weitgehend isolierter Monarch. Bei seinem Trauerzug wurden seine sterblichen Überreste von der belgischen Bevölkerung ausgebuht.
Immer noch Schwierigkeiten im Umgang mit der verbrecherischen Kolonialvergangenheit
Noch immer tut sich Belgien schwer mit den im Kongo verübten Verbrechen. In Belgien stehen zahlreiche Prunkbauten, die von Leopold II. in Auftrag gegeben, mit dem aus seiner Privatkolonie Kongo abgepressten Vermögen finanziert und zur weiteren Unterhaltung dem belgischen Staat übergeben wurden. In zahlreichen belgischen Städten finden sich Reiterstandbilder des Herrschers. In Ostende sägte 2004 die Aktionsgruppe „De Stoete Ostendenoare“ in Anspielung an die Gräueltaten die Hand eines Afrikaners im Ensemble eines Leopold II. gewidmeten Reiterstandbilds ab und forderten, dass sich die Stadt der Wahrheit über die im Kongo verübten Verbrechen des Ex-Königs bekenne. Im Zuge der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Black Lives Matter-Bewegung beschloss schließlich die Stadtverwaltung von Antwerpen im Juni 2020, ein Standbild des Königs zu entfernen.
#BHM #Blackhistorymonth #Blackhistorymonth2022 #Kongo #geschichte #Belgien #Kolonialismus #Afrika
Bildquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:MutilatedChildrenFromCongo.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Punch_congo_rubber_cartoon.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Statue_équestre_de_Léopold_II_-_02.JPG
https://de.wikipedia.org/wiki/Kongogräuel#/media/Datei:Map_Showing_Revenue_Divisions_Of_The_“Congo_Free_State”.png
https://de.wikipedia.org/wiki/Kongokonferenz#/media/Datei:Kongokonferenz.jpg
Die Familie Dumas (Teil I)
Sklaven – Revolutionäre – Schriftsteller
Wer kennt sie nicht die Klassiker der Weltliteratur, unzählige Male verfilmt in Starbesetzung: „Der Graf von Monte Christo“, „Der Mann mit der eisernen Maske“, „Die drei Musketiere“ und viele andere. Edmond, der spätere Graf von Monte Christo, hat mit zahllosen Rückschlägen zu kämpfen. Zu Beginn des Romans soll Edmund zum Kapitän befördert werden, die Hochzeit mit seiner Braut Mercédès steht an, die Welt steht ihm offen, doch Neid und Missgunst machen sein Glück zunichte. Er wird verleumdet, fälschlich als Agent des untergegangenen napoleonischen Regimes denunziert, es folgen vierzehn Jahre Kerker, Flucht, die Entdeckung eines Schatzes. Als Graf von Monte Christo kehrt Edmund zurück und übt Rache an seinen Feinden.
Ihr Verfasser Alexandre Dumas gelangte mit seinen Romanen zu Weltruhm. Weniger bekannt: Die Inspiration lieferte die eigene Familiengeschichte, insbesondere das bewegte Leben seines Vaters Thomas-Alexandre Dumas, der es vom Sklaven in der Karibik zum General in der napoleonischen Armee gebracht hatte.
Thomas-Alexandre Dumas
Sklave – Revolutionskämpfer – General
Thomas-Alexandre Dumas wurde 1762 als jüngstes von vier Kindern geboren, die aus einer Beziehung des Marquis Antoine-Alexandre Davy de la Pailleterie mit Marie-Cessette Dumas hervorgingen. Der Marquis, Spross einer alten normannischen Adelsfamilie, hatte auf der Zuckerplantage seines jüngeren Bruders auf der Karibik-Insel Saint-Domingue (heute Haiti) gelebt. Die beiden Brüder zerstritten sich jedoch und Antoine-Alexandre verließ 1748 fluchtartig die Plantage, nahm drei Sklaven seines Bruders und ließ sich unter falschem Namen auf einer Plantage in Jérémie nieder. Den Sklavenjägern, die ihm sein Bruder hinterherschickte, gelang es nicht, die Flüchtigen aufzustöbern, auch nicht den französischen Behörden, die wegen einer Nachlass-Angelegenheit nach ihm suchten. Es wurde daher allgemein angenommen, dass der Marquis verstorben sei. Währenddessen lebte dieser unerkannt unter dem Namen Antoin de’Isle in Jérémien, kaufte die schwarze Sklavin Marie-Cessette Dumas und zeugte mit ihr vier Kinder.
1775, Thomas-Alexandre war gerade 14 Jahre alt, verließ sein Vater die Insel und kehre nach Frankreich zurück. Das Schicksal von Marie-Cessette und von drei ihrer Kinder ist unklar. Nach einem späteren Bericht hat der Marquis sie verkauft, an anderer Stelle wird angegeben, Marie-Cessette sei bereits verstorben, bevor der Marquis die Karibik verließ. Belegt ist, dass Antoine-Alexandre seinen jüngsten Sohn Thomas-Alexandre in Port au Prince für 800 Livre verpfändet hatte, um seine Schiffsreise nach Frankreich bezahlen zu können. Wenig später wurde der Sohn von seinem Vater ausgelöst und im August 1776 nach Frankreich geholt. Nach geltendem Recht war Thomas-Alexandre mit Betreten französischen Bodens frei.
Thomas erhielt eine aristokratische Erziehung und trat im Alter von 24 Jahren als Dragoner in den Dienst der französischen Armee ein. Französische Adlige konnten ihre Militärkarriere im Range eines Offiziers beginnen, doch erschwerten die französischen Rassegesetze Thomas-Alexandre die Einforderung dieses Rechts. Der Vater bestand daher darauf, dass sein Sohn nicht unter dem Namen Davy de la Pailleterie in den Militärdienst eintrat, um den Namen der Familie nicht durch einen niederen Rang zu besudeln. Er begann seine Militärkarriere daher unter dem Namen seiner Mutter. Aus Thomas-Alexandre Davy de la Pailleterie wurde Thomas-Alexandre Dumas. Bald schon ließ er sich nur noch Alex Dumas nennen.
Alex Dumas – ein Legende schon zu Lebzeiten
Alex war ein Tausendsassa, der den Romanen seines Sohnes hätte entspringen können, oder vielmehr: Der Sohn bannte das abenteuerliche Leben seines Vaters auf Papier. Alex Dumas war in seiner Einheit berühmt für seine Stärke, seine Fechtkunst, seinen Mut und das ausgesprochene Talent, auch die schwierigsten Situationen erfolgreich zu meistern. Als General war er von seinen Feinden gefürchtet und von seinen Soldaten geliebt. Die Österreicher nannten ihn den „Schwarzen Teufel“. Bei der Truppe kursierten Erzählungen über seine Husarenstücke. In der Reitschule, so wird berichtet, habe er sich gern im Steigbügel aufgerichtet, mit den Händen einen Querbalken ergriffen und sich daran mitsamt Pferd in die Höhe gezogen. Mehrere Autoren berichten zudem übereinstimmend, Dumas habe einmal an einem Tag drei Duelle ausgetragen und trotz einer klaffenden Kopfwunde alle für sich entschieden.
Wie glaubwürdig diese Geschichten sind, lässt sich im zeitlichen Abstand kaum noch verlässlich prüfen. Sie zeugen aber von der Legendenbildung um den General schon zu Lebzeiten. Die Anekdote über die drei an einem Tag ausgefochtenen Duelle hat jedoch zweifelsohne den Sohn, den Schriftsteller Alexandre Dumas, zu seiner wohl berühmtesten Romanszene inspiriert: den drei Duellen, die sein Held d’Artagnan am Tag seiner Ankunft in Paris mit den drei Musketieren Athos, Portos und Aramis verabredet. Vom Draufgängertum zeugt auch eine Episode, durch die die Armeeführung erstmals Notiz von Alex Dumas nahm. Dumas, damals noch einfacher Korporal, hatte eigenhändig zwölf feindliche Soldaten gefangen genommen und zurück in sein Feldlager gebracht. Wenig später führte er mit vier Kavalleristen einen Angriff auf eine mit mehr als fünfzig Mann besetzte feindliche Stellung, tötete selbst sechs und nahm 16 gefangen.
In den französischen Revolutionskriegen machte Thomas-Alexandre Dumas rasch Karriere. 1792 wurde er als Oberstleutnant der „Légion franche des Américains et du Midi“ befördert. Die Einheit bestand ausschließlich aus Gens de couleur libres, aus freien „Farbigen“. Ab September 1793 unterstand er dem Befehl von Joseph Bolgone de Saint-Georges, der ebenso wie Thomas-Alexandre als Sohn eines französischen Adligen und einer Sklavin in der Karibik geboren worden war. 1793 wurde Saint-George als Feind der Revolutionsregierung denunziert, 18 Monate inhaftiert und aus der Armee entlassen. Dumas wurde zum Divisionsgeneral befördert. 1794 übernahm er den Befehl über die Alpenarmee und im Oktober 1794 den Oberbefehl in der Vendée.
Dumas war keiner, der aus sicherer Entfernung Befehle erteilte. Er führte seine Truppen an und ritt mit ihnen in die Schlacht – damals eher unüblich. Auch als Kommandeur Tausender Soldaten führte Dumas weiterhin kleine Kommando-Einheiten an. Als Oberkommandierender der Alpen-Armee ließ er für sich und seine Männer spezielle Steigeisen anfertigen, führte einen kleinen Trupp bei Nacht über eine als unbezwingbar geltende Felswand hinauf, überfiel in einem Überraschungsangriff eine österreichische Artilleriestellung, erbeutete feindliches Kriegsmaterial, richtete die österreichischen Kanonen auf den Feind und erzwang so dessen Kapitulation. Es wurden Hunderte von Gefangenen gemacht und der Mont Cenis, das Tor zu den Alpen, war in französischer Hand.
Konflikte mit Robespierre, Lob von Napoleon
Wie schon sein ehemaliger Legions-Kommandeur Saint-George, geriet auch Thomas-Alexandre mit dem von Maximilien Robespierre geführten Wohlfahrtsausschuss aneinander. In einer Zeit, in der die radikalen Vertreter der Revolution im Namen ihrer Ideale unvorstellbare Gräueltaten verübten, machte einen jede Nachsicht verdächtig. Als Dumas zusammen mit anderen Einheiten zur Niederschlagung eines Aufstandes in das west-französische Vendée geschickt wurde, widersetzte sich der General dem unter der aufständischen Zivilbevölkerung angerichteten Blutbad. Eine gefährliche Zurückhaltung in Zeiten des revolutionären Terrorregimes. Ohnehin machte sich Dumas mit seinem Auftreten nicht nur Freunde. Er hielt sich mit seiner Meinung nicht zurück, hatte Probleme mit Autoritäten – eine im Militär ungünstige Eigenschaft – und gab auch Vorgesetzten freche Erwiderungen.
Es folgten Einsätze in Italien und Tirol und in 1798 die Teilnahme am Ägypten-Feldzug. Als sie beide noch Generäle der Französischen Revolution waren, lobte Napoleon Alex Dumas und dessen Heldenmut. Auf dem Ägyptenfeldzug, auf dem Dumas die Kavallerie kommandierte, kam es jedoch zum Bruch zwischen den beiden. Dumas, ein leidenschaftlicher Republikaner, sah sich als Kämpfer für die Befreiung er Welt, nicht als Eroberer. Napoleon hatte komplett andere Vorstellungen.
Bei seiner Rückkehr aus Ägypten im März 1799 geriet sein Schiff in ein Unwetter und musste in Tarent in Unteritalien anlegen. Die Stadt wurde jedoch nicht mehr von pro-französischen Kräften gehalten, sondern stand unter Kontrolle einer süditalienischen Miliz unter Führung des konterrevolutionären katholischen Kardinals Fabrizio Ruffo. Dumas wurde gefangen genommen und in Neapel inhaftiert. Im März 1801 wurde er freigelassen und kehrte, gezeichnet durch die Kerkerhaft, schwer krank nach Frankreich zurück. 1802 wurde sein Sohn Alexandre Dumas geboren, 1806 verstarb Thomas-Alexandre an Magenkrebs.
1906, zum 100. Jahrestag seines Todes, wurde zu Ehren des Generals auf dem Place Malherbes in Paris (heute Place du Général-Catroux) ein Denkmal errichtet. Es wurde 1940 unter deutscher Besatzung von französischen Kollaborateuren entfernt. Seit April 2009 befindet sich an dem Platz ein neues Denkmal, das gesprengte Sklavenketten darstellt. Tom Reiss widmete dem General ein Buch, für das er 2013 u.a. den Pulitzer-Preis in der Kategorie Biographie verliehen bekam. Das Werk ist 2013 unter dem Titel „Der schwarze General: Das Leben des wahren Grafen von Monte Christo“ auf Deutsch erschienen.
William Washington Browne (1849 – 1897)
William Washington Browne (1849 – 1897)
Vom Sklaven zum Bankdirektor
In Sklaverei geboren, entkam William Washington Browne seinem Sklavenhalter zu Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges, trat der Armee der Nordstaaten bei und war nach Ende des Krieges Mitbegründer und Leiter der ersten von Black Americans geführten Bank in den USA.
Browne wurde am 20. Oktober 1849 als Ben Browne in Habersham County, Georgia geboren. Seine Eltern, Joseph und Mariah Browne, waren Sklaven und so wuchs auch Ben als Sklave auf. Mit acht Jahren wurde der Junge an einen Pferdehändler verkauft und sein Name wurde in William Washington änderte. 1862 besetzten die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg Memphis. Browne gelang die Fluch, er schloss sich der Armee der Union an und diente auf einem Panzerboot und später in der Infanterie. 1866 wurde er aus dem Militärdienst entlassen. In Prairie du Chien, Wisconsin, holte er seine Ausbildung nach. 1869 kehrte er in die Südstaaten zurück und arbeitete als Lehrer.
Anfänge als Redner und Abstinenzler
In Alabama engagierte sich Browne im Kampf gegen den Ku Klux Klan und machte sich auf Kundgebungen im ganzen Land als öffentlicher Redner bekannt. 1870 bewarb er sich um eine Mitgliedschaft bei den Guttemplern („Independent Order of Good Templars“), einer Vereinigung von Abstinenzlern. Sein Gesuch wurde jedoch abgelehnt, da laut damals gültiger Satzung Schwarze nicht aufgenommen wurden. Ihm wurde angeboten, die Gründung eines separaten Verbandes unter dem Namen „Grand United Order of True Reformers“ zu unterstützen. Browne akzeptierte den Vorschlag, kündigte seine Anstellung als Lehrer, um sich ganz der neuen Aufgabe zu widmen.
Nach dem Ende des Bürgerkrieges litten Millionen ehemaliger Sklaven unter Mangel an Nahrungsmitteln, Wohnraum, Bildung und Arbeit. Zu ihrer Unterstützung waren in den Südstaaten der USA zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen aktiv. Bald nahmen die Black Americans die Sache selbst in die Hand und gründeten ihre eigenen Hilfsorganisationen. Sie sollten nicht nur die Armut unter den ehemaligen Sklaven bekämpfen, sondern die Community näher zusammenbringen – Ziele, die William Washington Browne teilte. Bald zählten die „True Reformers“ fünfzig lokale Gliederungen. Um für seine Sache zu werben, ließ er sich 1876 von der „Colored Methodist Episcopal Church Conference of Alabama“ zum Priester ernennen und gelangte so zu einiger Bekanntheit. Im selben Jahr baten ihn die Guttempler, die Leitung der „True Reformers“ in Richmond zu übernehmen, die nach anfänglichen Erfolgen mit schwindendem Interesse und sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen hatten.
1888: Browne leitet als erster Black American eine Bank
Browne entwickelte daraufhin Pläne zur Umstrukturierung des Organisation. Sein Ziel war der Aufbau einer Versicherungsgesellschaft mit angeschlossener Bank. 1885 bot der „Supreme Fountain Grand United Order of True Reformers“ den ersten Versicherungsplan für Black Americans an. Die Profite aus dem Versicherungsgeschäft finanzierten die weitere Arbeit. Bald wurden Grundstücke und Immobilien in Richmond, Virginia und im Osten der Vereinigten Staaten erworben. Im März 1888 eröffneten die „True Reformers“ die erste von Black Americans geführte Bank in den USA: eine Bank von Black Americans, für Black Americans und mit William Washington Browne als ihrem ersten Leiter.
In den Folgejahren wurden weitere Immobilien aufgekauft, ein Pflegeheim für ältere Mitglieder kam hinzu, ein Hotel, ein Geschäft mit Merchandising und eine Wochenzeitung. Bald zählte der Verband der „True Reformers“ 10.000 Mitglieder. Von einer kleinen Vereinigung zur Werbung zum Alkoholverzicht hatte sich die von Browne geführte Organisation zum größten Verband und zum größten von Black Americans geführten Business im Land entwickelt.
Der „Grand Fountain, United Order of True Reformers“ war die erfolgreichste Vereinigung, die sich von einer wohltätigen Organisation zum Business gewandelt hatte. Brownes Tod im 1897 überlebten die „True Reformers“ nur wenige Jahre. Der Kollaps der verbandseigenen Bank 1910 läutete das Ende ein.
Bildquelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:William_W._Browne.jpg
Joseph Bologne de Saint-Georges
Joseph Bologne de Saint-Georges
Chevalier – Komponist – Fechter
Der Sohn eines französischen Pflanzers und einer schwarzen Sklavin führte ein ereignisreiches Leben. Sein Weg führte ihn aus der Karibik zur Ausbildung nach Frankreich, durch die Konzertsäle Europas, warf ihn mitten hinein in die Wirren der Französischen Revolution. Seine Herkunft wurde wiederholt zum Anlass genommen, seiner Karriere aus rassistischen Vorbehalten Steine in den Weg zu legen.
Am 25. Dezember 1745 wurde Joseph Bologne auf der Karibikinsel Gouadeloupe geboren. Sein Vater George de Bologne de Saint-Georges (1711-1774) war Pflanzer auf der zum französischen Kolonialreich gehörenden Insel. Seine aus dem Senegal stammende Mutter Elizabeth Francoise war Zofe bei Georges Ehefrau Anne Nanon und bei der Geburt von Joseph gerade mal 16 Jahre alt. 1747 wurde George zu einem Duell gefordert und verletzte dabei seinen Gegner schwer. Der Mann starb wenige Tage später. George wurde des Mordes angeklagt, floh und wurde am 31. März 1748 in Abwesenheit zum Tode verurteilt, sein Besitz eingezogen.
Seine Ehefrau Anne Nanon kehrte daraufhin nach Frankreich zurück, gemeinsam mit ihrer Zofe und deren Sohn Joseph, dem illegitimen Kind von George de Bologne. Es war der Bruder des Vaters, wohlhabend mit besten Verbindungen zum Hof Ludwig XV, der Joseph den Weg zur höheren Bildung und in die feine Gesellschaft ebnete. Ab 1753 besuchte der Junge das Collège Saint-Louis im französischen Angoulême. Mit 13 Jahren erhielt er eine Fechtausbildung an der Schule des bekannten Fechtmeisters Nicolas Texier de la Boëssière, zudem eine musikalische Ausbildung. Ab 1763 verwendete Joseph den Titel seines Vaters und wurde im Jahr darauf in die Garde du corps du roi in Versailles aufgenommen, einer Elite-Einheit der Kavallerie. Mit 19 Jahren schloss er seine Ausbildung an der Fechtschule als einer der besten Fechter Europas ab. Wiederholt war sein Können Anlass, ihn zu Duellen herauszufordern. In mindestens einem Duell waren rassistische Beleidigungen eines Fechtmeisters Anlass genug für ein Duell. Joseph, damals Fechtschüler, besiegte Alexandre Picard, der ihn durch die Strassen von Rouen gefolgt war und ihn als „Boessiere’s mulatto“ beschimpft hatte.

Fechtduell zwischen St Georges und “La chevalière D’Eon”, 9. April 1787 im Carlton House, Gemälde von Charles Jean Robineau.
Josephs musikalische Anfänge sind nicht ganz eindeutig. So wird angenommen, dass er u.a. bei dem Violin-Virtuosen Pierre Gaviniès Unterricht nahm, doch gesichert ist dies nicht. Ende der 1760er Jahre trat er Gossecs Concerts des Amateurs bei, wo er 1772 mit zwei selbst komponierten Violinkonzerten debütierte und mit einem Schlag als Geigenvirtuose bekannt wurde. Als Gossec 1773 zum Direktor des Concert Spirituel ernannt wurde, übernahm Joseph die Leitung des Concert des Amateurs. Im selben Jahr erschienen sechs weitere Streichquartette. In den folgenden Jahren etablierte sich Joseph in der Pariser Musikszene.
Als sein Vater 1774 verstarb, erbte die Halbschwester die Plantagen auf Guadaloupe. Als außereheliches Kind erhielt Joseph nichts. Obwohl als Musiker, Komponist und vielseitiger Athlet eine in der Pariser Gesellschaft umschwärmten Persönlichkeiten, wurde er zunehmend mit Rassismus konfrontiert. An der Académie Royale de Musique weigerten sich einige Sängerinnen, unter einem „Mulatten“ zu singen, eine Tänzerin intervenierte gegen ihn durch einen einflussreichen Gönner bei Hofe und schließlich wurde die Berufung Josephs auf einen der Direktorenposten der Académie aus rassistischen Vorbehalten abgelehnt.
Es folgten 1777 die erste Oper und weitere Kompositionen. Sie blieben hinter dem Erfolg der ersten Werke zurück und Joseph komponierte keine eigenen Werke mehr, sondern konzentrierte sich auf seine Tätigkeit als Dirigent des Orchesters. 1781 wurde das Orchestre des Amateurs aus Geldmangel aufgelöst. Saint-George, der auch Mitglied der Freimaurer war, dirigierte seither das Orchester der Loge de la Parfaite Estime de Société Olympique, das mit 6570 Mitgliedern größte Orchester seiner Zeit. Die „Pariser Sinfonien“ von Joseph Haydn wurde unter seiner Leitung 1784 uraufgeführt.
Im Vorfeld der Französischen Revolution trat Saint-Georges in den Dienst des für seine revolutionäre Gesinnung bekannten Herzog von Orléans ein. 1787 reiste er im Geheimauftrag von Jacques Pierre Brissot, eines Jakobiners und späteren gemäßigten Republikaners, nach London und traf dort mit englischen Abolitionisten zusammen. Als im Mai 1789 die Generalstände einberufen wurden, war auch Saint-Georges dabei. Enttäuscht von der Haltung seines Dienstherrn, dem Herzog von Orléans, zog er 1790 nach Lolle und wurde im Rang eines Hauptmanns in die Garde Nationale aufgenommen. Ab September 1792 befehligte Saint-Georges ein eigenes Kommando von 1.000 Soldaten aus den französischen Kolonien, die „Légion franche de Cavalerie des Américains et du Midi“, einer Einheit, die ausschließlich aus Gens de couleur libres, aus freien „Farbigen“ bestand. Thomas Alexandre Dumas, der Vater des späteren Romanautors Alexandre Dumas, war einer von ihnen.
In den Wirren der Revolution wurde wiederholt versucht, Saint-Georges zum Seitenwechsel zu bewegen, um die Revolutionsregierung in einem Staatsstreich zu stürze. Er weigerte sich immer wieder. In der Zeit der Schreckensherrschaft des Wohlfahrtsausschusses wurde St. Georges im September 1793 denunziert und in der Folge für 18 Monate inhaftiert. Nach seiner Freilassung wurde er aus der Armee entlassen. Saint-Georges verstarb 1797 verarmt in Paris.
Das Leben von Joseph Bologne de Saint-George wurde 2003 in dem kanadischen Fernsehfilm „Le Mozart noir“ verfilmt, in Paris ist eine Straße nach ihm benannt und sein Heimatort auf Basse-Terre ehrt ihn mit einer Straße und einem Denkmal.
Bildquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Saint-George_D%27Eon_Robineau.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Bologne,_Chevalier_de_Saint-Georges#/media/Datei:Chevalier_de_Saint-Georges.JPG
#GenugJETZT, @markus_soeder, zieh endlich die Notbremse!
PROTESTGEZWITSCHER GEGEN DAS HOCHINZIDENZ-JOJO: TEXTANREGUNGEN WIDER DIE BUND-LÄNDER-UNVERNUNFT
Ich weiß, es ist eigentlich zum Verzweifeln!
Besonnene Experten hatten ja schon seit Wochen gewarnt. Und nun ist alles genau so eingetreten: Die von der britischen Virusmutation B.1.1.7 getriebene dritte Corona-Welle kommt in Deutschland exponentiell in Schwung. In den letzten Tagen ist die Zahl der Neuinfektionen jeweils um mehrere Tausend gegenüber der Vorwoche in die Höhe geschnellt. Der Inzidenzwert, der vor vier Wochen noch bei 60 lag, erreicht in Deutschland nun bereits 85.[1] Die 100er Marke dürfte in der kommenden Woche gerissen werden.
Zuvor hatte die am 3. März einberufene letzte Bund-Länder-Runde entgegen aller Warnungen einen fünfstufigen „Perspektivplan“ verabschiedet, der Lockerungsmöglichkeiten bis zur Inzidenz 100 erlaubte.[2] Das erst nach stundenlangem zähem Ringen formulierte Kompromisspapier war dazu auch noch kompliziert und schlupflochreich gestaltet. Im Netz ernteten die Ministerpräsident:innen und die Kanzlerin dafür keineswegs unverdienten Spott.
Da ist im Übrigen #NoCovid um Meilen unkomplizierter! #SayYesToNoCovid pic.twitter.com/W4Kba5qRNs
— Matthias Renger (@matthias_renger) March 8, 2021
Nun sollte aber jeder mit Verstand begabte Zeitgenosse meinen, dass die ganz offensichtlich wenig durchdachten, in den frühen Morgenstunden des 4. März der Presse präsentierten „Öffnungsperspektiven“ inzwischen wieder aus dem Blick geraten. Ging der Fünf-Stufen-Plan doch von der – freilich bereits Anfang März mehr als optimistischen – Grundannahme aus, dass die Coronalage in Deutschland bis Ostern stabil bleiben werde.
“Öffnungsperspektiven” entpuppen sich als Schließungsaussichten: Ostervorfreude auf den Lockdown 3
Denn eins ist doch bereits jetzt frühlingssonnenklar: Nach Weihnachten haben die Bund-Länder-Fehlentscheidungen nun auch Ostern lockdownmäßig verpfuscht. Die Frage ist jetzt nur noch, wie hoch die Inzidenzen vorher noch steigen werden und wie lange wir nachher wieder die Kontakte zu reduzieren haben.
So oder so stehen uns also mehrere Wochen im Oster-Lockdown 3 bevor – die Frage ist jetzt nur noch, wieviele. Frühestens im Mai werden wir hoffentlich wieder befreiter aufatmen können, wenn dann auch diese wieder, wie schon im November, verspätet und deshalb umso mühsamer abgebremste dritte Welle endlich hinter uns liegt und der beginnende Sommer uns zusammen mit Fortschritten beim Impfen hoffentlich weitere föderale Jojospiele erspart.
Lockerungsrausch im Inzidenzanstieg: Selbst an der Notbremse wird herumgeschraubt
Dennoch halten Deutschlands Länderfürst:innen momentan noch unverdrossen an den Lockerungsschritten des „Perspektivplans“ fest – oder wollen sogar noch weitergehen. Denn wie letzte Woche bekannt wurde, möchten Brandenburg und Sachsen-Anhalt die ab einer Inzidenz von 100 vorgesehene, deshalb in einigen Regionen eigentlich bereits zu aktivierende „Notbremse“ lockern.[3] Auch Nordrhein-Westfalen lehnt einen verpflichtenden Bremsautomatismus ab und will im Falle einer Überschreitung der 100er-Schallmauer erst einmal „die Umstände prüfen“.[4] Der gedachte Rettungsmechanismus des Fünf-Stufenplans wird so angesichts einer exponentiell steigenden Virusverbreitung ad absurdum geführt.
Thüringen: ein Dauer-Hotspot brät sich Extrawürste
Schon seit Monaten anders gehen die Uhren in Thüringen. Dort hält sich die Inzidenz nun schon seit November über hundert – aktuell beträgt sie 168. Im Januar hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow noch Aufsehen erregt mit seinem späten, aber getreulichen Eingeständnis, die Lage im vergangenen Herbst falsch eingeschätzt zu haben.[5]
Tätige Reue ist aber offenbar nicht Ramelows Ding. Denn nun lässt er die Inzidenzwerte, die vor einem Monat kurz an der 100er-Marke kratzten, wieder auf neue Rekordwerte klettern, ohne mit „umfassenden Maßnahmen […], die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen“,[6] gegenzusteuern, wie es laut Infektionsschutzgesetz eigentlich vorgeschrieben wäre.
Im Gegenteil: Auch in Thüringen gelten ab dieser Woche wie andernorts zusätzliche Lockerungen im Geschäftsbereich.[7] Und Schulen können sogar bei Höchstinzidenzen weiter geöffnet bleiben, solange die Behörden vor Ort das noch gutheißen. Denn die Landesregierung beschränkt sich lediglich auf eine unverbindliche „Empfehlung“, oberhalb vom Inzidenzwert 150 doch besser zu schließen.[8]
Das Prinzip der lokalen Eigenverantwortlichkeit, auf welches das Green-Zone-Modell der NoCovid-Niedriginzidenz-Strategie setzen möchte, ist in Thüringen so zu einem Art HighCovid-Red-Zone-Konzept pervertiert: Kreise und Städte dürfen seit dem Wochenende selbstverantwortlich (oder -verantwortungslos?) entscheiden, wie weit sie bei der COVID-19-Durchseuchung der Bevölkerung gehen wollen.
Schon erstaunlich, zu was für einem zahnlosen Papiertiger der oben zitierte Paragraph 28a des deutschen Infektionsschutzgesetzes inzwischen verkommen ist – besonders, wenn man bedenkt, dass AfD-Politiker diesen am 18. November eilig durchs Parlament geschleusten Zusatzparagraphen in Brandreden vor dem Reichstag noch als „Ermächtigungsgesetz“ gegeißelt hatten.
Kapitulieren vor all der Unvernunft? So schnell zwitschern wir nicht ab…
Man könnte bei so viel Unvernunft der Politik wirklich verzweifeln!
Ich habe mich aber anders entschieden und beschlossen, mich lieber aktiv für einen öffentlichen Sinneswandel zurück zur Vernunft einzusetzen. Dazu habe ich eine Tweet-Serie verfasst mit Protestnachrichten, in denen ich mich an den bayerischen Ministerpräsidenten und an den Regierungssprecher von der Bundeskanzlerin gewandt habe – Merkel selbst simst zwar gerne, zwitschert aber im Gegensatz zu Söder nicht persönlich.
Bei dem Kurznachrichtendienst mit dem blauen Vögelchen im Logo kann man zwar pro Tweet nur 280 Zeichen schreiben, aber es gibt die Möglichkeit von Tweetserien, um etwas längere Texte zu versenden. Erfreulicherweise sind meine beiden Kurznachrichten-Serien an Söder und Merkel in den vergangenen Tagen auf einen für meine bescheidenen Mikroblogger-Verhältnisse erstaunlich großen Zuspruch gestoßen. Die Anfangstweets kamen nämlich auf jeweils über 10.000 Views. Ich selbst habe zwar nur 875 Follower, aber meine Söder zugezwitscherten Texte wurden über hundert Mal per Retweet von anderen Usern an ihre Follower weiterverbreitet.
Neben solchem Protestgezwitscher gibt es natürlich auch noch viele andere geeignete Formen, um der Öffentlichkeit und/oder den politisch Verantwortlichen seine Meinung kundzutun. So könnt ihr über die Protest-Plattform „WeAct“ sehr einfach eine Online-Petition initiieren und anschließend z.B. via Social Media weiterverbreiten.[9] Oder ihr schreibt Politiker:innen auf Facebook per Kommentar oder Messenger direkt an. Noch nachdrücklicher wäre es, wenn ihr ihnen eine Mail schickt oder ganz förmlich einen Protestbrief per Post versendet.
Für den Fall, dass ihr eine Textvorlage zur Anregung gebrauchen könntet, dürft ihr euch gerne von meinen Tweets inspirieren lassen. Deren Wortlaut stelle ich nachfolgend als Fließtext leicht umgearbeitet zur freien Verfügung.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident @markus_soeder,
in den letzten 3 Wochen ist der #Corona-Inzidenzwert für #Bayern von 56 auf fast 80 gestiegen. 100 wird in 2 Wochen überschritten sein. Zeigen Sie Verantwortung & BEENDEN SIE in Bayern die verfrühten LOCKERUNGEN JETZT. (1/3)— Stefan Hemler (@Muenchen1968) March 11, 2021
Verfrühte Lockerungen stoppen, für sichere Bildung sorgen!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,
in den letzten vier Wochen, zwischen Mitte Februar und Mitte März, ist der Corona-Inzidenzwert für Bayern von 56 auf 90 gestiegen. Die 100er-Marke wird so wohl schon in dieser Woche überschritten. Zeigen Sie deshalb Verantwortung und beenden Sie in Bayern die verfrühten Lockerungen umgehend.
Stoppen Sie insbesondere die für die kommende Woche geplante Öffnung der Schulen. Sichere Bildung, wie das Hashtag-Motto mehrerer Elterninitiativen lautet, muss die Maßgabe sein, was ohne ausgereiftes Testkonzept (Test-Trace-Isolate, TTI) und erhebliche Fortschritte beim Impfen nicht gewährleistet ist.
Nachhaltige Lockerungen sind mit dem differenzierten Niedriginzidenzkonzept NoCovid möglich. Sie könnten in lokal begrenzten „Green Zones“ sogar ohne langen Einheits-Lockdown bald beginnen. Anerkannte Wissenschaftler, so unter anderem auch an der LMU München lehrende Wirtschaftsexperten des ifo-Instituts, stehen hinter dem Konzept – nähere Informationen finden sich auf der folgenden Webseite: https://nocovid-europe.eu.
Herr Ministerpräsident, setzen Sie sich bitte dafür ein, dass Schaden von der bayerischen Bevölkerung abgewendet wird. Das kann aber nur gelingen, wenn in dieser kritischen Phase zu Beginn der dritten Welle die Lockerungen rasch wieder gestoppt werden.
Mit freundlichen Grüßen
https://twitter.com/Muenchen1968/status/1370784455640674305
Die dritte Welle jetzt abfangen und den Stufenplan revidieren!
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
am 3. März hat die Bund-Länder-Corona-Runde die „Öffnungsperspektive in fünf Schritten“ beschlossen, die in den folgenden Wochen Lockerungen auch bei erhöhten Inzidenzwerten zwischen 50 und 100 vorsahen. Nun ist der Inzidenzwert in Deutschland gerade in den letzten Tagen sprunghaft angestiegen und erreicht bereits wieder den Wert von 85. Da sich so offensichtlich der Fünf-Schritte-Plan als Fehler erweisen hat, sollte er rasch wieder revidiert werden.
Die aktuelle Lage erfordert deshalb ein zügiges Vorziehen der nächsten Bund-Länder-Runde. Ein Abwarten bis zum 22. März wäre in der jetzigen Lage einer beginnenden dritten Welle verhängnisvoll. Dies gilt umso mehr, als bereits einige Länder angekündigt haben, die in den „Öffnungsperspektiven“ vorgesehene „Notbremse“ beim Überschreiten der Inzidenz 100 zu ignorieren oder umzuinterpretieren.
Bislang sind Sie, Frau Dr. Merkel, für verantwortungsvolles Handeln in dieser Pandemiekrise eingetreten. Dennoch misslang das Gegensteuern gegen die zweite Welle, was viele zusätzliche Corona-Tote zur Folge hatte. Dieser schwere Fehler vom letzten Herbst darf nicht wiederholt werden.
Noch sind die meisten Menschen der Risikogruppe 2 ungeimpft. Dazu ist inzwischen die Gefahr, die von dem LongCovid-Syndrom ausgeht, auch für jüngere Corona-Patienten wissenschaftlich belegt. Die verfrühten Lockerungen in die beginnende dritte Welle hinein drohen deshalb nochmals ähnlich viel Leid wie im letzten Winter mit sich zu bringen.
Selbst wenn die Krankhauskapazitäten ausreichen, ist eine Strategie der Teildurchseuchung der größtenteils ungeimpften Bevölkerung unverantwortlich. Die Menschen wünschen sich laut Umfragen mehrheitlich ein vorsichtiges Vorgehen und lehnen übereilte Lockerungen ab.
Ein verantwortungsvoller neuer Stufenplan, wie in etwa die Göttinger Physikerin Viola Priesemann vorschlägt, muss bei niedrigeren Inzidenzwerten als der Fünf-Schritte-Plan ansetzen. Nötig ist eine Beschleunigung des Impftempos und ein durchdachtes Testkonzept nach den Grundsätzen Test-Trace-Isolate (TTI).
Nachhaltige Lockerungen sind mit dem differenzierten Niedriginzidenzkonzept NoCovid möglich. Sie könnten in lokal begrenzten „Green Zones“ sogar ohne langen Einheits-Lockdown bald beginnen. Anerkannte Wissenschaftler:innen wie die Braunschweiger Virologin Melanie Brinkmann oder der Chef des Münchener ifo-Instituts Clemens Fuest stehen hinter dem Konzept – nähere Informationen finden sich auf der folgenden Webseite: https://nocovid-europe.eu.
Frau Bundeskanzlerin, setzen Sie sich bitte dafür ein, dass Schaden von der Bevölkerung unseres Landes abgewendet wird. Das kann aber nur gelingen, wenn in dieser kritischen Phase zu Beginn der dritten Welle die Lockerungen gestoppt werden.
Mit freundlichen Grüßen
.@Karl_Lauterbach hat sich gestern für die Schließung der Schulen wg. der rasch einsetzenden 3. Welle ausgesprochen.
Es ist Zeit, die #Notbremse sofort zu ziehen, liebe Regierenden! Wer weiter zuwartet, lädt #schwereSchuld auf sich. #GenugJETZT, @Markus_Soeder & @RegSprecher! https://t.co/Gl6yQCEVsm— Stefan Hemler (@Muenchen1968) March 15, 2021
Und jetzt seid ihr dran!
Wer ähnlicher Meinung ist, darf sich gerne für entsprechende Protestnachrichten bei meinen Tweets oder den obigen beiden Briefvorlagen bedienen. Ich erhebe kein Copyright – auch Copy&Paste in Guttenbergscher Manier ist erlaubt, wenn es nur dem guten Zweck dient. Hauptsache, es ändert sich bald etwas an diesem verhängnisvollen Hineinrennen in die dritte Welle.
Denn für den Fall, dass es so ungebremst nach „Perspektivplan“ weitergeht, werden uns die schlimmen Zustände wie an Weihnachten noch mal zu Ostern drohen. Und das wollen wir doch alle nicht.
Also, auf geht’s, schreibt Protestnachrichten an Angela Merkel, Markus Söder, andere Ministerpräsident:innen oder Politiker:innen eurer Wahl! Sehr wirkungsvoll kann es beispielsweise auch sein, sich an die lokal Verantwortlichen vor Ort, etwa die Bürgermeisterin oder den Gesundheits- oder Bildungsdezernenten oder an die Abgeordnete im Wahlkreis zu wenden. Denn die Lokalprominenz wird sich mehr als die Bundeskanzlerin verpflichtet fühlen, euch auch persönlich eine Antwort zu geben. Am Besten wäre es, wenn ihr dabei in eurer Nachricht gezielt auf die Verhältnisse bei euch vor Ort eingeht.
Lassen wir also mit möglichst vielen Protestnachrichten die politisch Verantwortlichen in den nächsten Tagen spüren, dass sie mit der derzeitig realisierten Corona-Politik eines gefährlichen Hochinzidenz-Jojo aus verfrühten Lockerungen sowie verspäteten und halbherzigen Lang-Lockdowns auf Widerstand stoßen. Die in dem Bund-Länder-Perspektivplan vom 3./4. März vorgesehene Notbremse muss jetzt umgehend und wirkungsvoll gezogen werden – je eher, desto besser.
Sicher scheint es fast zum Verzweifeln, aber zum Aufgeben ist es doch noch zu früh!
#SichereBildungJETZT in #Bayern, @Markus_Soeder & @MichaelPiazolo!@bllv @BllvSimone @GymnasiumBayern @rjv_bayern @DPhV @gew_bund @gew_bayern @FloriKohl #twlz https://t.co/EfgWLYmDFa
— Stefan Hemler (@Muenchen1968) March 12, 2021
Anmerkungen:
[1] Die in diesem Beitrag genannten Zahlen zu COVID-19 sind, soweit nicht anders vermerkt, sämtlich aus dem Coronavirus-Monitor der Berliner Morgenpost entnommen (Stand 15.3.2021, 13 Uhr): https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit. Als Datenquelle werden hier angegeben: Johns Hopkins University CSSE (internationale Daten von WHO, CDC (USA), ECDC (Europa), NHC, DXY (China), Risklayer/Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Meldungen der französischen Ämter und der deutschen Behörden (RKI sowie Landes- und Kreisgesundheitsbehörden).
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/fuenf-oeffnungsschritte-1872120.
[3] Die Gefahr, die Notbremse zu spät zu ziehen, ZDFheute 9.3.2021, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-notbremse-inzidenz-100.html.
[4] Corona-Infektionen steigen – NRW hält ungebremst an Lockerungen fest, tagesschau 13.3.2021, https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/wdr-story-39313.html.
[5] „Die Kanzlerin hatte Recht, und ich hatte Unrecht“, in: FAZ 7.1.2021, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bodo-ramelow-gesteht-fehler-im-kampf-gegen-corona-17135034.html.
[6] So der Wortlaut von § 28a IfSG hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen bei Überschreitung des Grenzwertes von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche.
[7] Kosmetikstudios, Solarien, Kinderschuh-Anbieter öffnen, insuedthueringen.de 15.3.2021, https://www.insuedthueringen.de/inhalt.thueringen-neue-corona-verordnung-bibliotheken-und-solarien-oeffnen.3ab4c1ff-6eb9-42a5-8dfb-7276df1c059a.html.
[8] Schulen auf oder zu? Landkreise und kreisfreie Städte entscheiden nun selbst, mdr Thüringen 13.3.2021, https://www.mdr.de/thueringen/landkreise-entscheiden-schulen-offen-geschlossen-100.html.
[9] https://weact.campact.de/.
Stoppen wir das gefährliche Hochinzidenz-Jojo aus verfrühten Lockerungen und verspäteten & halbherzigen Lang-#Lockdown|s!
Weitere Infos über die #NoCovid-Strategie finden sich auch im neuesten Artikel des Renad-Blogs:https://t.co/wFeiwE4nEI#YesToNoCovid #Fangteinfachan
(8/8)— Stefan Hemler (@Muenchen1968) March 13, 2021