Spielspaß nicht unerwünscht

Merkwürdige Praxis im nordhessischen Hessisch Lichtenau: Behörden schützen Anwohner vor spielenden Kindern

Hessisch Lichtenau, meine neue Heimatstadt, ist ein gewöhnungsbedürftiges Pflaster: Hier ist das Wetter noch etwas schlechter als andernorts in Hessisch-Sibirien und viele Menschen sind noch griesgrämiger und selbstverdrossener als in Kassel. Einziger Lichtblick scheint die Autobahn, die, sollte sie tatsächlich einst fertiggestellt sein, es vereinfachen wird hier schnell wieder wegzukommen. Hessisch Lichtenau im Abwärtstrend. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Immobilienpreise sinken, die Stadt überaltert unübersehbar.

Geregelter sozialistischer Gang
Während andernorts junge, dynamische Bürgermeister ihre niedergehenden Reviere auf familienfreundlich trimmen und junge Familien mit Kindern anzusiedeln versuchen würden, hat man in Hessisch Lichtenau gerade den Genossen Herwig wiedergewählt. Nun geht vermutlich für weitere sechs Jahre alles seinen geregelten sozialistischen Gang. Ich hatte mir fest vorgenommen, mich (erst einmal) nicht einzumischen.

Nix fröhlich im Park!
Das ging jetzt ganze zwei Monate gut. Bis ich heute mit meinem Sohn das Fußballtor in den angrenzenden Park trug und mir dabei die Beschilderung des Spielplatzes auffiel: Fußball ist hier ausdrücklich nicht gestattet!  Als singuläres Ereignis hätte ich die bescheuerte Verbotsschilderbatterie (siehe Foto) vermutlich sogar ignoriert. Da mir aber zu Ohren gekommen ist, dass an der Lichtenauer Freiherr-vom-Stein-Schule ein 2008 vom DFB als Fußballnachwuchsprojekt finanzierter (und von Landrat und Bürgermeister feierlich eingeweihter) Kunstrasenplatz vom Hausmeister täglich unbespielbar gemacht wird, um Anwohner vor dem Lärm spielender Kinder und Freizeitfußballer zu schützen, vermute ich Methode.

Hunde in den Park scheißen lassen ist erlaubt
Interpretieren wir das Schild: Spielen ist im “Fröhlich”-Park bis 14 zwar erlaubt, allerdings nur solange der Spaß nicht mit Radfahren, Hunden oder Fußballspielen verbunden ist. Hunde in den Park scheißen lassen ist hingegen erlaubt, solange man die Köter dabei an der Leine führt und die Hundescheiße anschließend “entsorgt”.

In Richtung der politisch Verantwortlichen dieser Stadt stelle ich mir halblaut die Frage: Habt ihr sie noch alle?

 zwischenrufer / 02.04.2012

Winfried Kretschmann – ehrlicher Querkopf Ministerpräsident in Baden-Württemberg

Winfried Kretschmann - grün-roter Ministerpräsident in Baden-Württemberg gewählt. Foto: www.gruene.de

Winfried Kretschmann - grün-roter Ministerpräsident in Baden-Württemberg gewählt. Foto: www.gruene.de

Von wegen wählen gehen nützt nichts.  Ende März  haben uns die Baden-Württemberger das Gegenteil bewiesen:  Die CDU, seit fast sechzig Jahren dominierende politische Partei im “Ländle”, wurde abgewählt.
Seit heute ist der Grüne Winfried Kretschmann, 62, einst Lehrer für Biologie und Chemie, Ministerpräsident der bundesweit ersten grün-roten Landesregierung.

Unterstützt wird Kretschmann von der SPD, deren Spitzenkandidat Nils Schmid wird Minister für Finanzen und Wirtschaft. Kretschmann sagte, Grün-Rot sei ein gemeinsames Projekt. „Ich freue mich auf ein gemeinsames Regieren mit unseren sozialdemokratischen Partnern.“ „Der Aufbruch in die Moderne dieses Landes beginnt“ kommentierte Schmid.

Zwei Oppositionsstimmen für Kretschmann
Bis zuletzt hatte man gebangt,  verfügen doch Grüne und SPD im Landtag  lediglich über 71 Stimmen, nur einer über der Mehrheit.  Doch am Ende hatten sogar zwei Oppositionspolitiker für Kretschmann gestimmt. Wahrlich ein historischer Tag in Stuttgart.

Claudia Roth platzt fast vor Stolz
Gäste  und Berichterstatter zeigten sich beeindruckt: “Grünen- Parteichefin Claudia Roth, auf der Besuchertribüne neben dem SPD-Urgestein Erhard Eppler platziert, wäre in diesem Moment vor Stolz beinahe aus ihrem knall-grünen Kostüm geplatzt. Und im Plenum tanzten manche Abgeordnete der Regierungsfraktionen vor Glück”  – ist bei Spiegel Online nachzulesen.

Hohe Erwartungen an die neue grün-rote Landesregierung
Hohe Erwartungen lasten auf Kretschmann und seinem unerwarteten grün-roten Regierungsexperiment. Außerhalb Baden-Württembergs weiß man wenig über die Person Winfried Kretschmann. Vielen gilt er als durch und durch ehrlicher Realo.

Wer ist Winfried Kretschmann?
Johanna Henkel-Waidhofer, deren Biografie über Kretschmann gerade erschienen ist beschreibt ihn im Interview mit dem Deutschlandradio:  “Er war immer sehr geerdet, und zwar sowohl in der eigenen Partei. (…) Aber er war immer sehr beißig. Er ist sicher sehr, sehr ehrlich. Er ist manchmal bis zur Grenze der fehlenden Strategie ehrlich und ich glaube, dass er zum richtigen Zeitpunkt auch mal auf den Tisch hauen kann. Jetzt wird sich weisen im Regierungsalltag, ob er diesen Zeitpunkt nicht durch die höhere Schlagzahl und durch den größeren Stress manchmal verpasst.”
Das vollständige Interview lesen oder hören Sie hier:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1456205/

Sehr interessante biografisch-politische Fakten hat Spiegel-Online zusammengetragen
http://www.spiegel.de/thema/winfried_kretschmann/

Mehr zum neuen Kabinett folgt, versprochen.

zwischenrufer / 12.05.2011

Stachel im Fleisch der Meinungsfrisöre

Kasseler OB-Kandidat Kai Boeddinghaus beim Wahlkampfauftakt in Kassel.

Kasseler OB-Kandidat Kai Boeddinghaus beim Wahlkampfauftakt in Kassel.

Kassels OB-Kandidaten vorgestellt:
Kai Boeddinghaus, LINKE

Gewiss, Kai Boeddinghaus, der parteilose Kandidat der Kasseler Linken um das Amt des Kasseler Oberbürgermeisters, ist ein politisches Schandmaul. Ein Nestbeschmutzer mit Mandat und Akteneinsicht(sausschuss), ein feiner Polemiker an dem Tucholsky seine Freude gehabt hätte. Doof ist Kai Boeddinghaus, Inhaber eines Reisebüros und Geschäftsführer des Bundesverbandes der freien Kammern (BFFK),  bekannter als “IHK-Verweigerer”, zudem auf keinen Fall. Und gerade deshalb schmerzt er als Stachel im Fleisch der etablierten Kasseler Meinungsfrisöre von HNA bis SPD wie kein anderer. Grund genug, Kai Boeddinghaus zum Wahlkampf-Auftakt im alevitischen Zentrum live zu erleben.

Heimat der Linksdenkenden
Atmosphärisch spannend: Die Kasseler Linke hat offensichtlich dort weitergemacht, wo die SPD Mitte der Neunziger im Dauerzwist zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder als Volkspartei zu scheitern begann und später an Hartz IV zerbrach. Bei der Linken, so zeigt ein Blick ins bunt gemischte Publikum, scheinen all jene Linksdenkenden eine Heimat gefunden zu haben, die beim Ritt in die “politische Mitte”  (jenem geistleeren Ort jenseits von “Links” und “Rechts”) nicht mitwollten. Alle sind sie da: Selbstbewusste Frauen, überzeugte Antikapitalisten, Atomkraft- und Stuttgart21-Gegener, Friedensbewegte, Multikulturalisten, Gewerkschafter, Studenten, selbst die SAV (Sozialistische Alternative Voran) gibt es noch. Schätzungsweise 400 Menschen  haben an diesem Abend in den Saal am Kasseler Stern gefunden. (So viele kommen heutzutage kaum freiwillig auf einen Bundesparteitag der SPD.)

Wahlkampf gegen die Schampustrinker-Clique
Und natürlich kommt Kai Boeddinghaus hier gut an, wenn er gegen die Kulturzelt-Subvention (300.000 EUR) und die “Schampustrinker-Clique um den sozialdemokratischen OB” polemisiert oder Bertram Hilgen für sein “Huskies-Salzmann-Multifunktionstheater” der Lächerlichkeit preisgibt. Recht hat er – bei aller pointierten Rhetorik – häufig auch noch – viel öfter jedenfalls, als es “der großen Koalition im Rathaus aus SPD-CDU-FDP-Grünen” lieb sein dürfte: “Die Grünen machen jetzt nur vor der Wahl nicht mit”, so Boeddinghaus mit Blick auf das jüngste Salzmann-Veto der grünen Rathausfraktion, “nach der Wahl wollen sie wieder dabei sein.”  Wie wahr.

Prominente Unterstützung zum Wahlkampfauftakt: Linke-Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch mit OB-Kandidat Kai Boeddinghaus.

Prominente Unterstützung zum Wahlkampfauftakt: Linke-Bundesvorsitzende Gesine Lötzsch mit OB-Kandidat Kai Boeddinghaus.

Nix Marx, nur Boeddinghaus
Im Kommunalpolitischen ist Boeddinghaus in seinem Element, kritisiert kenntnisreich die langjährige wie rechtswidrige Praxis der Budgetierung von Sozialleistungen,  schimpft wegen ungenutzter Millionen bei der Arbeitsförderung, fordert einen anderen Sozialdezernenten.

Doof ist Kai Boeddinghaus zudem auf keinen Fall (ich glaube, ich wiederhole mich) und lässt sich weder von HNA-Lokalchef Horst Seidenfaden noch von der an diesem Abend anwesenden Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch in eine (ohnehin bescheuerte)  Kommunismus-Debatte zerren. “Bei Marx bin ich”, gibt Boeddinghaus unumwunden zu, “nie über die dritte Seite hinausgekommen”. Jemandem der so herrlich polemisch das Kasseler Establishment angreift, die Fallstricke der großen politischen Debatten hingegen bauernschlau der angereisten Vorsitzenden überlässt,  lässt man solche Nichtigkeiten selbst im linken Lager klaglos durchgehen.

Hinweis: Wer hier einen Beitrag zur Kommunismus-Debatte um Gesine Lötzsch erwartete, den muss ich enttäuschen. Alternativ sei hier der offene Brief von Ralf Schuler empfohlen, wie er am 16.01.2011 unter dem Titel “Diesmal nicht mit mir” in der FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) erschien. http://ralfschuler.wordpress.com

besserwisser / 29.01.2011

Salzmann an die Wand gefahren

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 20.01.2011 auf www.justkassel.de erstveröffentlicht.

Nix Mehrzweckhalle oder Technisches Rathaus: Salzmann-Industriebrache in Kassel-Bettenhausen.

Nix Mehrzweckhalle oder Technisches Rathaus: Salzmann-Industriebrache in Kassel-Bettenhausen.

OB Hilgen scheitert mit Salzmann-Plänen
Das zeugt weder von Führungsstärke noch von Harmonie im Kasseler Rathaus: Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD) ist mit seinem Salzmann-Projekt gescheitert, wie er diese Woche gegenüber der Presse eingestand.  Gescheitert an Stadtbaurat Dr. Joachim Lohse, am Widerwillen der grünen Rathausfraktion – und wohl nicht zuletzt am eigenen Führungsstil. “Kasseler Chaostage” kommentierte die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine (HNA) prompt. Hilgen, angetreten die Stadt Kassel statt mit einer formellen Koalition lieber mit wechselnden Mehrheiten führen zu wollen, steht kurz vor der Oberbürgermeisterwahl  ganz offensichtlich ohne verlässliche Partner da.  Von der Kasseler Bürgerschaft will Hilgen am 27.03. trotzdem im Amt bestätigt werden. Die Bilanz der ersten Amtsperiode ist unter dem Strich jedoch keinesfalls berauschend.

Auf www.zukunftkassel.de bezieht Dennis Rossing Stellung zu den Vorgängen im Kasseler Rathaus.

Auf www.zukunftkassel.de bezieht Dennis Rossing Stellung zu den Vorgängen im Kasseler Rathaus.

Erst Huskies-Pleite, jetzt Salzmann-Fiasko
Investor Dennis Rossing jedenfalls kann seine ambitionierten Pläne für Kassel-Bettenhausen wohl begraben. Auf dem Salzmann-Gelände wird es, so der aktuelle Stand der Dinge,  weder eine Multifunktionshalle noch ein technisches Rathaus geben. Doch wer glaubt, Dennis Rossing habe nach der Huskies-Pleite und dem Salzmann-Fiasko nun endgültig die Nase voll von Kassel, liegt falsch. Zwar ist Rossing mit Blick auf die bis Dezember 2010 herrschende politische Einigkeit “maßlos enttäuscht”, hat aber seine Kasseler Pläne noch nicht aufgegeben. In bemerkenswerter Offenheit wendet sich Rossing unter www.zukunftkassel.de mit einer aktuellen Videobotschaft direkt an die Öffentlichkeit.

Kassel ist nicht umsonst so wie es ist, das dürfte jetzt auch Rossing verstanden haben. Doch offensichtlich sieht er noch Hoffnung für die Zeit nach dem Bürgermeisterwahlkampf.

Grüne: Kein Blanko-Scheck
Die Grünen, allen voran der mutige Fraktionsvorsitzende Gernot Rönz, mögen in der Sache ja vielleicht sogar recht haben. Anders als OB Hilgen wollten sie Rossing mit der Zusage, 13.000qm langfristig für ein technisches Rathaus anzumieten, keinen Blanko-Scheck zustecken. Der Stadt Kassel, dem Stadtteil Bettenhausen, der Salzmann-Industriebrache, den Huskies und letztlich auch ihrem eigenen Oberbürgermeister-Kandidaten Dr. Andreas Jürgens haben sie damit gewiss keinen Gefallen getan.

Die Qual der Wahl am 27.03.
Den schwarzen Peter haben jetzt die Wähler, die sich am 27.03. für einen der OB-Kandidaten entscheiden müssen: Den angeschlagenen Oberbürgermeister stärken oder einen der fünf Gegenkandidaten wählen? Einmal mehr haben die Bürger nun die Qual der Wahl. Doch dazu mehr in einem anderen Artikel.

besserwisser / 20.01.2001

Wetzlarer Wasserpreise überhöht

Die Wetzlarer Wasserpreise sind rechtwidrig, da ist sich die hessische Landeskartellbehörde sicher.

Die Wetzlarer Wasserpreise sind rechtwidrig, da ist sich die hessische Landeskartellbehörde sicher.

Wie die Frankfurter Neue Presse und das Handelsblatt berichteten, fordert die hessische Landeskartellbehörde vom Regionalversorger ENWAG, den Wasserpreis im Raum Wetzlar um bis zu 54% zu senken.  Dem regionalen Trinkwasser-Monopolisten drohen nun nach eigener Einschätzung Verluste in Millionenhöhe.

In öffentlicher Sitzung kritisierte die Kartellbehörde dabei  nicht nur „zu hohe Wasserpreise“ sondern auch „mangelnde Transparenz“ bei deren Berechnung.  Die ungerechtfertigt hohen Wasserpreise der ENWAG, derzeit 2,35 EUR je Kubikmeter, seien “Ausbeutungsmissbrauch“. Dies habe der Bundesgerichtshof (BGH) bereits im Februar 2010 bestätigt.

Nach Auslaufen einer Kartellverfügung, die der ENWAG niedrigere Preise diktierte hatte, hatte diese die Wasserpreise zum 01.01.2009 auf das alte Niveau angehoben.

Zwar bemühten sich die Vertreter der ENWAG um Vorstand Wolfgang Schuch, die lokale Situation in Wetzlar als besonders schwierig darzustellen und damit den erheblichen Preisabstand zu vergleichbaren Unternehmen zu rechtfertigen.  Doch weder Behördenvertreter noch die rund 80 aus ganz Hessen angereisten Zuschauer, zumeist Vertreter von Bürgerinitiativen, zeigten sich beeindruckt.

Im Gegenteil: Punkt für Punkt und mit hoher Detailkenntnis zerpflückten die Behördenvertreter den Vortrag der ENWAG. Beispielsweise seien 63  in Anrechnung gebrachte „Schachtbauwerke“  in Wirklichkeit lediglich „begehbare Gullis“. Die von der ENWAG vorgetragenen Unterhaltungskosten von jährlich 11.000 EUR pro Gulli seien bei lediglich 10.000 EUR Erstellungskosten nicht nachvollziehbar.

Dass die Landeskartellbehörde nun erneut niedrige Preise verfügen wird, ist zu erwarten.

Doch auch die Reaktion der ENWAG, immerhin mehrheitlich in Hand der Gemeinde, ist abzusehen: Für den Fall einer erneuten Kartellverfügung will sie sich in die Erhebung von Gebühren retten.

Damit hätte man zumindest die Landeskartellbehörde aus dem Nacken, denn Gebühren obliegen der Kommunalaufsicht. Zuständig wäre dann das hessische Wirtschaftsministerium und damit letztlich das Innenministerium.

Ob das Innenministerium ebenso hartnäckig gegen die überhöhten Wetzlarer Wasserpreise angehen wird, bleibt abzuwarten.

Der Deutsche Konsumentenbund hat einen “Arbeitskreis faires Wasser” gegründet. Einzelpersonen und Initiativen, die weiterführende Informationen und Unterstützung suchen bzw. sich gemeinsam gegen steigende Wasserpreise und Wassergebühren engagieren wollen, sind hier an der richtigen Adresse.
www.konsumentenbund.de

zwischenrufer /09.12.2010