26.2.1885 – Kongo-Konferenz überlässt Leopold II. den Kongo als Privatkolonie

Am 26. Februar 1885 endet in Berlin die Westafrika- bzw. Kongo-Konferenz. 13 Staatschefs teilen das afrikanische Kolonialgebiet unter sich auf. Der Auftakt für die Ausbeutung eines Kontinents im großen Stil. Auf Betreiben des belgischen Königs Leopold II. hatte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck zwölf europäische Regierungschefs sowie Vertreter des Osmanischen Reiches und der USA eingeladen, um über den Freihandel und die Aufteilung Afrikas zu beraten. Die Ende Februar unterzeichnete „Kongo-Akte“ besiegelte die Inbesitznahme eines ganzen Kontinents. König Leopold wurde das Kongobecken zugesichert, ein Gebiet über siebzig Mal so groß wie Belgien. Das Deutsche Reich erhielt Kolonien in West- und Ostafrika.

Teilnehmer der Kongo-Konferenz 1884

Offiziell war der Kongo ein Freistaat und Eigentum der „Internationalen Kongo-Gesellschaft“ und daher nominell selbständig. König Leopold II. war jedoch alleiniger Eigentümer der Gesellschaft. Das Land war daher faktisch sein Privatbesitz. 1885 wurde die Gesellschaft aufgelöst und Leopold II. ließ sich vom belgischen Parlament als souveräner König des neu geschaffenen Freistaates Kongo bestätigen.

Gebiete der Konzessionsgesellschaften im Freistaat Kongo (1906)

Leopold baute seine Privatkolonie zunächst mit Teilen seines Privatvermögens auf. Eine Verwaltung wurde eingerichtet und eine Regierung in Boma eingesetzt. Sie war Leopold zur Rechenschaft verpflichtet und verfügte über diplomatische Vertretungen und eine eigene Armee, die „Force Publique“. Die Erschließung und Kolonisierung wurde im weiteren Verlauf vom belgischen Staat finanziert. Das Land wurde zunehmend verstaatlicht, was zu einem völligen Zusammenbruch der lokalen Wirtschaft führte. Landwirtschaft, Jagd und Fischerei galten als Diebstahl von Staatseigentum. Wurden neue Felder angelegt, wurde dies als Landraub angesehen. Die Folge: Millionen Menschen gerieten in Hungersnot.

Die Herrschaft war brutal, die Strafen drakonisch, kleinste Verstöße, wie das Nichterreichen der Ertragsquote oder das Nichtbefolgen von Befehlen, brutal bestraft. Frauen wurden als Geiseln genommen, um die Ehemänner zur Kautschukernte zu zwingen. Kam die Lieferung zu spät, wurden die Frauen umgebracht. Auch nach ihrer Auslösung starben viele durch die Folgen der Entbehrungen in der Geiselhaft. Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung. Begehrte ein Dorf gegen Zwang und Quoten auf, wurde es zerstört und Teile oder alle Einwohner erschossen. Widerspenstige Arbeiter wurden kopfüber an Bäumen aufgehängt und zum Sterben hängen gelassen, Beine mit Pfeilen durchbohrt, Menschen zu Tode gepeitscht, die Hände abgehackt oder Nasen abgeschnitten, Leichen als Abschreckung öffentlich zur Schau gestellt.

Die Ausbeutung des Landes wurde an Privatunternehmen gegen Konzessionen übertragen. Hauptaktionär dieser Unternehmen war zumeist Leopold. In anderen Fällen war festgelegt, dass dem König der Großteil des erwirtschafteten Gewinns zufloss. Der Bevölkerung wurde eine Kautschuk-Steuer auferlegt. Die Provinzverwalter forderten jeweils die Ablieferung einer bestimmten Menge Naturkautschuk ein. Mit der „Force Publique“ schuf sich Leopold eine Berufsarmee, deren bedingungslose Loyalität er sich durch umfassende Privilegien erkaufte. Sie war die Grundlage des späteren Kolonialterrors. Die Soldaten trieben die Kautschuksteuer ein. Sie wurden nach eingetriebener Menge entlohnt, was eine zügellose Gewaltherrschaft zur Folge hatte. Je brutaler die Männer vorgingen, desto größer war die Menge des abgepressten Kautschuks und umso höher die zu erwartende Provision. Wurden 1891 noch 100 Tonnen Naturkautschuk exportiert, war die Menge 1901 bereits auf 6.000 Tonnen angestiegen. Zugleich bedeutete der Zwang zur Kautschukabgabe, dass den Menschen immer weniger Zeit für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung stand. Den daraus folgenden Hungersnöten fielen in manchen Gebieten 60 bis 90% der Bevölkerung zum Opfer.

1904: Der „Kongogräuel“ bringt Leopold II. unter Druck

Die brutale Ausbeutung des Landes und die Gewaltherrschaft der „Force Publique“ wurden als „Kongogräuel“ bekannt. Erste Berichte stammen von Missionaren, die in dem Gebiet tätig waren. Sie führten zur Jahrhundertwende zu internationalen Protesten.

Karikatur: König Leopold II. als Schlange, die einen Kautschuksammler umschlingt.

Der Druck der öffentlichen Meinung zwang Leopold II. 1904 eine Untersuchungskommission einzusetzen. Sie deckte Sklavenhandel und Zwangsarbeit auf. Der König kam nicht umhin, umfangreiche Reformen durchzuführen. 1908 bestätigten weitere Berichte, dass sich an der menschenunwürdigen Ausbeutungspraxis nichts geändert hatte. Die westlichen Nationen zwangen Leopold zum Verkauf des Kongo an den belgischen Staat. Leopold erhielt 500 Mio. belgische Francs sowie die Zusicherung, dass alle vom König unterstützten Bauprojekte im Umfang von 45 Mio. Francs finanziert würden. Zudem übernahm der belgische Staat die Staatsschulden des Freistaates in Höhe von 110 Mio. Francs. Am 15. November 1908 wurde das Gebiet in die Kolonie Belgisch-Kongo umgewandelt. 1910 wurde offiziell die Zwangsarbeit abgeschafft. Auch unter dem belgischen Staat wurde die Menschen im Kongo unterdrückt. Allein zwischen 1880 und 1920 halbierte sich die Bevölkerung. Von den 20 Mio. Einwohnern starben über 10 Mio. durch die kolonialen Gewaltverbrechen, durch Hunger, Entkräftung, Überarbeitung und Krankheit.

Die Berichte über das von ihm verantwortete Gewaltregime machten Leopold II. zu einem der am meisten gehassten Menschen in Europa. Am 17. Dezember 1909 starb er als ein von den übrigen europäischen Herrscherfamilien weitgehend isolierter Monarch. Bei seinem Trauerzug wurden seine sterblichen Überreste von der belgischen Bevölkerung ausgebuht.

Immer noch Schwierigkeiten im Umgang mit der verbrecherischen Kolonialvergangenheit

Reiterstandbild Leopold II. in Brüssel

Noch immer tut sich Belgien schwer mit den im Kongo verübten Verbrechen. In Belgien stehen zahlreiche Prunkbauten, die von Leopold II. in Auftrag gegeben, mit dem aus seiner Privatkolonie Kongo abgepressten Vermögen finanziert und zur weiteren Unterhaltung dem belgischen Staat übergeben wurden. In zahlreichen belgischen Städten finden sich Reiterstandbilder des Herrschers. In Ostende sägte 2004 die Aktionsgruppe „De Stoete Ostendenoare“ in Anspielung an die Gräueltaten die Hand eines Afrikaners im Ensemble eines Leopold II. gewidmeten Reiterstandbilds ab und forderten, dass sich die Stadt der Wahrheit über die im Kongo verübten Verbrechen des Ex-Königs bekenne. Im Zuge der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Black Lives Matter-Bewegung beschloss schließlich die Stadtverwaltung von Antwerpen im Juni 2020, ein Standbild des Königs zu entfernen.

#BHM #Blackhistorymonth #Blackhistorymonth2022 #Kongo #geschichte #Belgien #Kolonialismus #Afrika

 

Bildquellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:MutilatedChildrenFromCongo.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Punch_congo_rubber_cartoon.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Statue_équestre_de_Léopold_II_-_02.JPG

https://de.wikipedia.org/wiki/Kongogräuel#/media/Datei:Map_Showing_Revenue_Divisions_Of_The_“Congo_Free_State”.png

https://de.wikipedia.org/wiki/Kongokonferenz#/media/Datei:Kongokonferenz.jpg

 

Die Familie Dumas (Teil I)

Sklaven – Revolutionäre – Schriftsteller

Wer kennt sie nicht die Klassiker der Weltliteratur, unzählige Male verfilmt in Starbesetzung: „Der Graf von Monte Christo“, „Der Mann mit der eisernen Maske“, „Die drei Musketiere“ und viele andere. Edmond, der spätere Graf von Monte Christo, hat mit zahllosen Rückschlägen zu kämpfen. Zu Beginn des Romans soll Edmund zum Kapitän befördert werden, die Hochzeit mit seiner Braut Mercédès steht an, die Welt steht ihm offen, doch Neid und Missgunst machen sein Glück zunichte. Er wird verleumdet, fälschlich als Agent des untergegangenen napoleonischen Regimes denunziert, es folgen vierzehn Jahre Kerker, Flucht, die Entdeckung eines Schatzes. Als Graf von Monte Christo kehrt Edmund zurück und übt Rache an seinen Feinden.

Ihr Verfasser Alexandre Dumas gelangte mit seinen Romanen zu Weltruhm. Weniger bekannt: Die Inspiration lieferte die eigene Familiengeschichte, insbesondere das bewegte Leben seines Vaters Thomas-Alexandre Dumas, der es vom Sklaven in der Karibik zum General in der napoleonischen Armee gebracht hatte.

 

Thomas-Alexandre Dumas

Sklave – Revolutionskämpfer – General

Thomas-Alexandre Dumas wurde 1762 als jüngstes von vier Kindern geboren, die aus einer Beziehung des Marquis Antoine-Alexandre Davy de la Pailleterie mit Marie-Cessette Dumas hervorgingen. Der Marquis, Spross einer alten normannischen Adelsfamilie, hatte auf der Zuckerplantage seines jüngeren Bruders auf der Karibik-Insel Saint-Domingue (heute Haiti) gelebt. Die beiden Brüder zerstritten sich jedoch und Antoine-Alexandre verließ 1748 fluchtartig die Plantage, nahm drei Sklaven seines Bruders und ließ sich unter falschem Namen auf einer Plantage in Jérémie nieder. Den Sklavenjägern, die ihm sein Bruder hinterherschickte, gelang es nicht, die Flüchtigen aufzustöbern, auch nicht den französischen Behörden, die wegen einer Nachlass-Angelegenheit nach ihm suchten. Es wurde daher allgemein angenommen, dass der Marquis verstorben sei. Währenddessen lebte dieser unerkannt unter dem Namen Antoin de’Isle in Jérémien, kaufte die schwarze Sklavin Marie-Cessette Dumas und zeugte mit ihr vier Kinder.

1775, Thomas-Alexandre war gerade 14 Jahre alt, verließ sein Vater die Insel und kehre nach Frankreich zurück. Das Schicksal von Marie-Cessette und von drei ihrer Kinder ist unklar. Nach einem späteren Bericht hat der Marquis sie verkauft, an anderer Stelle wird angegeben, Marie-Cessette sei bereits verstorben, bevor der Marquis die Karibik verließ. Belegt ist, dass Antoine-Alexandre seinen jüngsten Sohn Thomas-Alexandre in Port au Prince für 800 Livre verpfändet hatte, um seine Schiffsreise nach Frankreich bezahlen zu können. Wenig später wurde der Sohn von seinem Vater ausgelöst und im August 1776 nach Frankreich geholt. Nach geltendem Recht war Thomas-Alexandre mit Betreten französischen Bodens frei.

Thomas erhielt eine aristokratische Erziehung und trat im Alter von 24 Jahren als Dragoner in den Dienst der französischen Armee ein. Französische Adlige konnten ihre Militärkarriere im Range eines Offiziers beginnen, doch erschwerten die französischen Rassegesetze Thomas-Alexandre die Einforderung dieses Rechts. Der Vater bestand daher darauf, dass sein Sohn nicht unter dem Namen Davy de la Pailleterie in den Militärdienst eintrat, um den Namen der Familie nicht durch einen niederen Rang zu besudeln. Er begann seine Militärkarriere daher unter dem Namen seiner Mutter. Aus Thomas-Alexandre Davy de la Pailleterie wurde Thomas-Alexandre Dumas. Bald schon ließ er sich nur noch Alex Dumas nennen.

 

Alex Dumas – ein Legende schon zu Lebzeiten

Alex war ein Tausendsassa, der den Romanen seines Sohnes hätte entspringen können, oder vielmehr: Der Sohn bannte das abenteuerliche Leben seines Vaters auf Papier. Alex Dumas war in seiner Einheit berühmt für seine Stärke, seine Fechtkunst, seinen Mut und das ausgesprochene Talent, auch die schwierigsten Situationen erfolgreich zu meistern. Als General war er von seinen Feinden gefürchtet und von seinen Soldaten geliebt. Die Österreicher nannten ihn den „Schwarzen Teufel“. Bei der Truppe kursierten Erzählungen über seine Husarenstücke. In der Reitschule, so wird berichtet, habe er sich gern im Steigbügel aufgerichtet, mit den Händen einen Querbalken ergriffen und sich daran mitsamt Pferd in die Höhe gezogen. Mehrere Autoren berichten zudem übereinstimmend, Dumas habe einmal an einem Tag drei Duelle ausgetragen und trotz einer klaffenden Kopfwunde alle für sich entschieden.

Thomas-Alexandre Dumas, posthumes Porträt von Olivier Pichat (WikiCommons)

Wie glaubwürdig diese Geschichten sind, lässt sich im zeitlichen Abstand kaum noch verlässlich prüfen. Sie zeugen aber von der Legendenbildung um den General schon zu Lebzeiten. Die Anekdote über die drei an einem Tag ausgefochtenen Duelle hat jedoch zweifelsohne den Sohn, den Schriftsteller Alexandre Dumas, zu seiner wohl berühmtesten Romanszene inspiriert: den drei Duellen, die sein Held d’Artagnan am Tag seiner Ankunft in Paris mit den drei Musketieren Athos, Portos und Aramis verabredet. Vom Draufgängertum zeugt auch eine Episode, durch die die Armeeführung erstmals Notiz von Alex Dumas nahm. Dumas, damals noch einfacher Korporal, hatte eigenhändig zwölf feindliche Soldaten gefangen genommen und zurück in sein Feldlager gebracht. Wenig später führte er mit vier Kavalleristen einen Angriff auf eine mit mehr als fünfzig Mann besetzte feindliche Stellung, tötete selbst sechs und nahm 16 gefangen.

In den französischen Revolutionskriegen machte Thomas-Alexandre Dumas rasch Karriere. 1792 wurde er als Oberstleutnant der „Légion franche des Américains et du Midi“ befördert. Die Einheit bestand ausschließlich aus Gens de couleur libres, aus freien „Farbigen“. Ab September 1793 unterstand er dem Befehl von Joseph Bolgone de Saint-Georges, der ebenso wie Thomas-Alexandre als Sohn eines französischen Adligen und einer Sklavin in der Karibik geboren worden war. 1793 wurde Saint-George als Feind der Revolutionsregierung denunziert, 18 Monate inhaftiert und aus der Armee entlassen. Dumas wurde zum Divisionsgeneral befördert. 1794 übernahm er den Befehl über die Alpenarmee und im Oktober 1794 den Oberbefehl in der Vendée.

Dumas war keiner, der aus sicherer Entfernung Befehle erteilte. Er führte seine Truppen an und ritt mit ihnen in die Schlacht – damals eher unüblich. Auch als Kommandeur Tausender Soldaten führte Dumas weiterhin kleine Kommando-Einheiten an. Als Oberkommandierender der Alpen-Armee ließ er für sich und seine Männer spezielle Steigeisen anfertigen, führte einen kleinen Trupp bei Nacht über eine als unbezwingbar geltende Felswand hinauf, überfiel in einem Überraschungsangriff eine österreichische Artilleriestellung, erbeutete feindliches Kriegsmaterial, richtete die österreichischen Kanonen auf den Feind und erzwang so dessen Kapitulation. Es wurden Hunderte von Gefangenen gemacht und der Mont Cenis, das Tor zu den Alpen, war in französischer Hand.

 

Konflikte mit Robespierre, Lob von Napoleon

Wie schon sein ehemaliger Legions-Kommandeur Saint-George, geriet auch Thomas-Alexandre mit dem von Maximilien Robespierre geführten Wohlfahrtsausschuss aneinander. In einer Zeit, in der die radikalen Vertreter der Revolution im Namen ihrer Ideale unvorstellbare Gräueltaten verübten, machte einen jede Nachsicht verdächtig. Als Dumas zusammen mit anderen Einheiten zur Niederschlagung eines Aufstandes in das west-französische Vendée geschickt wurde, widersetzte sich der General dem unter der aufständischen Zivilbevölkerung angerichteten Blutbad. Eine gefährliche Zurückhaltung in Zeiten des revolutionären Terrorregimes. Ohnehin machte sich Dumas mit seinem Auftreten nicht nur Freunde. Er hielt sich mit seiner Meinung nicht zurück, hatte Probleme mit Autoritäten – eine im Militär ungünstige Eigenschaft – und gab auch Vorgesetzten freche Erwiderungen.

Es folgten Einsätze in Italien und Tirol und in 1798 die Teilnahme am Ägypten-Feldzug. Als sie beide noch Generäle der Französischen Revolution waren, lobte Napoleon Alex Dumas und dessen Heldenmut. Auf dem Ägyptenfeldzug, auf dem Dumas die Kavallerie kommandierte, kam es jedoch zum Bruch zwischen den beiden. Dumas, ein leidenschaftlicher Republikaner, sah sich als Kämpfer für die Befreiung er Welt, nicht als Eroberer. Napoleon hatte komplett andere Vorstellungen.

Bei seiner Rückkehr aus Ägypten im März 1799 geriet sein Schiff in ein Unwetter und musste in Tarent in Unteritalien anlegen. Die Stadt wurde jedoch nicht mehr von pro-französischen Kräften gehalten, sondern stand unter Kontrolle einer süditalienischen Miliz unter Führung des konterrevolutionären katholischen Kardinals Fabrizio Ruffo. Dumas wurde gefangen genommen und in Neapel inhaftiert. Im März 1801 wurde er freigelassen und kehrte, gezeichnet durch die Kerkerhaft, schwer krank nach Frankreich zurück. 1802 wurde sein Sohn Alexandre Dumas geboren, 1806 verstarb Thomas-Alexandre an Magenkrebs.

1906, zum 100. Jahrestag seines Todes, wurde zu Ehren des Generals auf dem Place Malherbes in Paris (heute Place du Général-Catroux) ein Denkmal errichtet. Es wurde 1940 unter deutscher Besatzung von französischen Kollaborateuren entfernt. Seit April 2009 befindet sich an dem Platz ein neues Denkmal, das gesprengte Sklavenketten darstellt. Tom Reiss widmete dem General ein Buch, für das er 2013 u.a. den Pulitzer-Preis in der Kategorie Biographie verliehen bekam. Das Werk ist 2013 unter dem Titel „Der schwarze General: Das Leben des wahren Grafen von Monte Christo“ auf Deutsch erschienen.

William Washington Browne (1849 – 1897)

William Washington Browne (1849 – 1897)

Vom Sklaven zum Bankdirektor

In Sklaverei geboren, entkam William Washington Browne seinem Sklavenhalter zu Beginn des amerikanischen Bürgerkrieges, trat der Armee der Nordstaaten bei und war nach Ende des Krieges Mitbegründer und Leiter der ersten von Black Americans geführten Bank in den USA.

Browne wurde am 20. Oktober 1849 als Ben Browne in Habersham County, Georgia geboren. Seine Eltern, Joseph und Mariah Browne, waren Sklaven und so wuchs auch Ben als Sklave auf. Mit acht Jahren wurde der Junge an einen Pferdehändler verkauft und sein Name wurde in William Washington änderte. 1862 besetzten die Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg Memphis. Browne gelang die Fluch, er schloss sich der Armee der Union an und diente auf einem Panzerboot und später in der Infanterie. 1866 wurde er aus dem Militärdienst entlassen. In Prairie du Chien, Wisconsin, holte er seine Ausbildung nach. 1869 kehrte er in die Südstaaten zurück und arbeitete als Lehrer.

Anfänge als Redner und Abstinenzler

In Alabama engagierte sich Browne im Kampf gegen den Ku Klux Klan und machte sich auf Kundgebungen im ganzen Land als öffentlicher Redner bekannt. 1870 bewarb er sich um eine Mitgliedschaft bei den Guttemplern („Independent Order of Good Templars“), einer Vereinigung von Abstinenzlern. Sein Gesuch wurde jedoch abgelehnt, da laut damals gültiger Satzung Schwarze nicht aufgenommen wurden. Ihm wurde angeboten, die Gründung eines separaten Verbandes unter dem Namen „Grand United Order of True Reformers“ zu unterstützen. Browne akzeptierte den Vorschlag, kündigte seine Anstellung als Lehrer, um sich ganz der neuen Aufgabe zu widmen.

Nach dem Ende des Bürgerkrieges litten Millionen ehemaliger Sklaven unter Mangel an Nahrungsmitteln, Wohnraum, Bildung und Arbeit. Zu ihrer Unterstützung waren in den Südstaaten der USA zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen aktiv. Bald nahmen die Black Americans die Sache selbst in die Hand und gründeten ihre eigenen Hilfsorganisationen. Sie sollten nicht nur die Armut unter den ehemaligen Sklaven bekämpfen, sondern die Community näher zusammenbringen – Ziele, die William Washington Browne teilte. Bald zählten die „True Reformers“ fünfzig lokale Gliederungen. Um für seine Sache zu werben, ließ er sich 1876 von der „Colored Methodist Episcopal Church Conference of Alabama“ zum Priester ernennen und gelangte so zu einiger Bekanntheit. Im selben Jahr baten ihn die Guttempler, die Leitung der „True Reformers“ in Richmond zu übernehmen, die nach anfänglichen Erfolgen mit schwindendem Interesse und sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen hatten.

1888: Browne leitet als erster Black American eine Bank

Browne entwickelte daraufhin Pläne zur Umstrukturierung des Organisation. Sein Ziel war der Aufbau einer Versicherungsgesellschaft mit angeschlossener Bank. 1885 bot der „Supreme Fountain Grand United Order of True Reformers“ den ersten Versicherungsplan für Black Americans an. Die Profite aus dem Versicherungsgeschäft finanzierten die weitere Arbeit. Bald wurden Grundstücke und Immobilien in Richmond, Virginia und im Osten der Vereinigten Staaten erworben. Im März 1888 eröffneten die „True Reformers“ die erste von Black Americans geführte Bank in den USA: eine Bank von Black Americans, für Black Americans und mit William Washington Browne als ihrem ersten Leiter.

In den Folgejahren wurden weitere Immobilien aufgekauft, ein Pflegeheim für ältere Mitglieder kam hinzu, ein Hotel, ein Geschäft mit Merchandising und eine Wochenzeitung. Bald zählte der Verband der „True Reformers“ 10.000 Mitglieder. Von einer kleinen Vereinigung zur Werbung zum Alkoholverzicht hatte sich die von Browne geführte Organisation zum größten Verband und zum größten von Black Americans geführten Business im Land entwickelt.

Der „Grand Fountain, United Order of True Reformers“ war die erfolgreichste Vereinigung, die sich von einer wohltätigen Organisation zum Business gewandelt hatte. Brownes Tod im 1897 überlebten die „True Reformers“ nur wenige Jahre. Der Kollaps der verbandseigenen Bank 1910 läutete das Ende ein.

Bildquelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:William_W._Browne.jpg

Joseph Bologne de Saint-Georges

Joseph Bologne de Saint-Georges
Chevalier – Komponist – Fechter

Der Sohn eines französischen Pflanzers und einer schwarzen Sklavin führte ein ereignisreiches Leben. Sein Weg führte ihn aus der Karibik zur Ausbildung nach Frankreich, durch die Konzertsäle Europas, warf ihn mitten hinein in die Wirren der Französischen Revolution. Seine Herkunft wurde wiederholt zum Anlass genommen, seiner Karriere aus rassistischen Vorbehalten Steine in den Weg zu legen.

Le Chevalier de Saint-Georges von Mather Brown, 1787

Am 25. Dezember 1745 wurde Joseph Bologne auf der Karibikinsel Gouadeloupe geboren. Sein Vater George de Bologne de Saint-Georges (1711-1774) war Pflanzer auf der zum französischen Kolonialreich gehörenden Insel. Seine aus dem Senegal stammende Mutter Elizabeth Francoise war Zofe bei Georges Ehefrau Anne Nanon und bei der Geburt von Joseph gerade mal 16 Jahre alt. 1747 wurde George zu einem Duell gefordert und verletzte dabei seinen Gegner schwer. Der Mann starb wenige Tage später. George wurde des Mordes angeklagt, floh und wurde am 31. März 1748 in Abwesenheit zum Tode verurteilt, sein Besitz eingezogen.

Seine Ehefrau Anne Nanon kehrte daraufhin nach Frankreich zurück, gemeinsam mit ihrer Zofe und deren Sohn Joseph, dem illegitimen Kind von George de Bologne. Es war der Bruder des Vaters, wohlhabend mit besten Verbindungen zum Hof Ludwig XV, der Joseph den Weg zur höheren Bildung und in die feine Gesellschaft ebnete. Ab 1753 besuchte der Junge das Collège Saint-Louis im französischen Angoulême. Mit 13 Jahren erhielt er eine Fechtausbildung an der Schule des bekannten Fechtmeisters Nicolas Texier de la Boëssière, zudem eine musikalische Ausbildung. Ab 1763 verwendete Joseph den Titel seines Vaters und wurde im Jahr darauf in die Garde du corps du roi in Versailles aufgenommen, einer Elite-Einheit der Kavallerie. Mit 19 Jahren schloss er seine Ausbildung an der Fechtschule als einer der besten Fechter Europas ab. Wiederholt war sein Können Anlass, ihn zu Duellen herauszufordern. In mindestens einem Duell waren rassistische Beleidigungen eines Fechtmeisters Anlass genug für ein Duell. Joseph, damals Fechtschüler, besiegte Alexandre Picard, der ihn durch die Strassen von Rouen gefolgt war und ihn als „Boessiere’s mulatto“ beschimpft hatte.

Fechtduell zwischen St Georges und “La chevalière D’Eon”, 9. April 1787 im Carlton House, Gemälde von Charles Jean Robineau.

Josephs musikalische Anfänge sind nicht ganz eindeutig. So wird angenommen, dass er u.a. bei dem Violin-Virtuosen Pierre Gaviniès Unterricht nahm, doch gesichert ist dies nicht. Ende der 1760er Jahre trat er Gossecs Concerts des Amateurs bei, wo er 1772 mit zwei selbst komponierten Violinkonzerten debütierte und mit einem Schlag als Geigenvirtuose bekannt wurde. Als Gossec 1773 zum Direktor des Concert Spirituel ernannt wurde, übernahm Joseph die Leitung des Concert des Amateurs. Im selben Jahr erschienen sechs weitere Streichquartette. In den folgenden Jahren etablierte sich Joseph in der Pariser Musikszene.

Als sein Vater 1774 verstarb, erbte die Halbschwester die Plantagen auf Guadaloupe. Als außereheliches Kind erhielt Joseph nichts. Obwohl als Musiker, Komponist und vielseitiger Athlet eine in der Pariser Gesellschaft umschwärmten Persönlichkeiten, wurde er zunehmend mit Rassismus konfrontiert. An der Académie Royale de Musique weigerten sich einige Sängerinnen, unter einem „Mulatten“ zu singen, eine Tänzerin intervenierte gegen ihn durch einen einflussreichen Gönner bei Hofe und schließlich wurde die Berufung Josephs auf einen der Direktorenposten der Académie aus rassistischen Vorbehalten abgelehnt.

Es folgten 1777 die erste Oper und weitere Kompositionen. Sie blieben hinter dem Erfolg der ersten Werke zurück und Joseph komponierte keine eigenen Werke mehr, sondern konzentrierte sich auf seine Tätigkeit als Dirigent des Orchesters. 1781 wurde das Orchestre des Amateurs aus Geldmangel aufgelöst. Saint-George, der auch Mitglied der Freimaurer war, dirigierte seither das Orchester der Loge de la Parfaite Estime de Société Olympique, das mit 6570 Mitgliedern größte Orchester seiner Zeit. Die „Pariser Sinfonien“ von Joseph Haydn wurde unter seiner Leitung 1784 uraufgeführt.

Im Vorfeld der Französischen Revolution trat Saint-Georges in den Dienst des für seine revolutionäre Gesinnung bekannten Herzog von Orléans ein. 1787 reiste er im Geheimauftrag von Jacques Pierre Brissot, eines Jakobiners und späteren gemäßigten Republikaners, nach London und traf dort mit englischen Abolitionisten zusammen. Als im Mai 1789 die Generalstände einberufen wurden, war auch Saint-Georges dabei. Enttäuscht von der Haltung seines Dienstherrn, dem Herzog von Orléans, zog er 1790 nach Lolle und wurde im Rang eines Hauptmanns in die Garde Nationale aufgenommen. Ab September 1792 befehligte Saint-Georges ein eigenes Kommando von 1.000 Soldaten aus den französischen Kolonien, die „Légion franche de Cavalerie des Américains et du Midi“, einer Einheit, die ausschließlich aus Gens de couleur libres, aus freien „Farbigen“ bestand. Thomas Alexandre Dumas, der Vater des späteren Romanautors Alexandre Dumas, war einer von ihnen.

In den Wirren der Revolution wurde wiederholt versucht, Saint-Georges zum Seitenwechsel zu bewegen, um die Revolutionsregierung in einem Staatsstreich zu stürze. Er weigerte sich immer wieder. In der Zeit der Schreckensherrschaft des Wohlfahrtsausschusses wurde St. Georges im September 1793 denunziert und in der Folge für 18 Monate inhaftiert. Nach seiner Freilassung wurde er aus der Armee entlassen. Saint-Georges verstarb 1797 verarmt in Paris.

Das Leben von Joseph Bologne de Saint-George wurde 2003 in dem kanadischen Fernsehfilm „Le Mozart noir“ verfilmt, in Paris ist eine Straße nach ihm benannt und sein Heimatort auf Basse-Terre ehrt ihn mit einer Straße und einem Denkmal.

Bildquellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Saint-George_D%27Eon_Robineau.jpg
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Bologne,_Chevalier_de_Saint-Georges#/media/Datei:Chevalier_de_Saint-Georges.JPG

 

Martin Dibobe – vom Häuptlingssohn zum Zugführer

1896, im Schicksalsjahr von Martin Dibobes Leben, war seine Heimat Kamerun seit zwölf Jahren deutsche Kolonie. Reichskanzler Bismarck hatte im März 1884 das Gebiet im Knie von Afrika zum Protektorat erklärt und den Afrikaforscher und bisherigen deutschen Generalkonsul in Tunis, Gustav Nachtigal, zum kaiserlichen Kommissar für die Westküste Afrikas bestimmt. Im Juli 1884 traf Nachtigal mit einer Delegation in Duala ein und unterzeichnete mit den Führern der Duálá und Ngand’a Kwa “Schutzverträge”. Am 14. Juli wurde die deutsche Flagge gehisst und die “Schutzherrschaft” über das Gebiet erklärt. Fünf Tage später traf der britische Konsul Hewett in Duala ein, der den gleichen Plan verfolgte – die Deutschen waren ihm zuvorgekommen. Es folgte nun in mehreren Stufen die Festigung der deutschen Vormacht, d.h. die Unterwerfung der Kolonie.

Von Kamerun nach Berlin

Im Sommer 1896 wurde eine Gruppe von etwa hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Berlin gebracht, unter ihnen Quane a Dibobe, der Sohn eines Häuptlings der Duálá, den Missionare auf den Namen Martin Dibobe getauft hatten. Sechs Monate lang stellten er und die anderen Afrikaner im Rahmen einer “Völkerschau” der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ dar – oder zumindest das, was sich die Kolonialherren darunter vorstellten. In derartigen Völkerschauen wurden oft Frauen, Männer und Kinder aus aller Welt in als typisch erachteter Landestracht vor Nachbauten von Hütten aus ihrer Heimat präsentiert. Wie in einem Art Menschenzoo waren sie „Ausstellungsstücke”, lebende Exponate, und wurden entsprechend unmenschlich behandelt. An der Berliner Charité waren besonders die Rassekundler an den Afrikanern der Völkerschau im Treptower Park interessiert. Sie führten Experimente und Messungen an den Männern durch. Dibobe weigerte sich zunächst, wurde dann jedoch verpflichtet, an den Untersuchungen teilzunehmen.

Ausbildung und Karriere

Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Berlin, nahm eine Schlosserlehre auf und arbeitete u.a. bei Siemens. 1900 verlobte er sich mit der Tochter seines Vermieters. 1902 heirateten die beiden – in der damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Der Ehe voraus ging ein Irrweg durch die deutschen Verwaltungsinstanzen, vom Standesamt über das Kolonialamt bis zum Auswärtigen Amt. Alle Stellen verweigerten dem Paar die Genehmigung zur Eheschließung. Zum Schluss schaltete sich die Basler Mission in Kamerun ein. Mit der Beglaubigung seiner Identität durch den Pastor, der Dibobe als Kind getauft hatte, war der Weg zur Eheschließung endlich frei. Im selben Jahr trat der Frischvermählte eine Stelle bei der Berliner Hochbahn an. Er wurde zunächst Zugabfertiger, zuletzt Zugführer der U1, der ersten U-Bahn im Kaiserreich, und eine Art lokale Berühmtheit.

Martin Dibobe 1902 als Zugführer

Martin Dibobe, 1902

Dibobe und die Politik

In Berlin wurde Dibobe politisch aktiv. Er sympathisierte mit den Sozialdemokraten und setzte sich für die Gleichberechtigung von Afrikanern in Deutschland ein. 1907 besuchte er seine Heimat, half beim Bau einer Bahntrasse im Norden Kameruns und berichtete seinen Landsleuten von Sozialismus und Selbstbestimmung. Im Sommer 1919 reichte Dibobe gemeinsam mit siebzehn anderen aus den deutschen Kolonien stammenden in Deutschland lebenden Afrikanern eine Petition bei Reichskanzler Friedrich Ebert, der Nationalversammlung und dem Reichskolonialamt ein. Darin forderten die Unterzeichner den Verbleib der Kolonien unter deutscher Herrschaft, aber zugleich die Selbständigkeit und Gleichberechtigung der Afrikaner, sowie das Ende von Prügelstrafen, Zwangsarbeit und Misshandlungen. Die Petenten wollten außerdem gerechte Löhne, Schulpflicht und das Recht zum Studium sowie die Zulassung der Ehe zwischen Eingeborenen und Weißen erreichen. Kurzum: Es ging ihnen um gleiche Rechte für Deutsche und Afrikaner in Deutschland und in Übersee. Auch sollte es dem Papier zufolge einen ständigen Vertreter der Afrikaner im deutschen Parlament geben; als Repräsentant im Reichstag wurde auch gleich Martin Dibobe vorgeschlagen. Doch der Protest lief ins Leere, die Petenten erhielten noch nicht einmal eine Antwort. Nach dem Frieden von Versailles verlor Deutschland die Kolonien an Frankreich und Großbritannien, die 32 Forderungen der Dibobe-Petition wurden nicht erfüllt.

1919 verlor Dibobe seine Anstellung bei der U-Bahn. Die Teilnahme an einer Arbeiterdemonstration hat ihn womöglich die Stellung gekostet. Als er 1922 mit seiner Familie nach Afrika zurückkehren wollte, verhinderte die inzwischen an Frankreich übergegangene Kolonialverwaltung seine Einreise. Man fürchtete, er würde einen pro-deutschen Aufstand anzetteln. Dibobe reiste daraufhin nach Liberia. Hier verliert sich seine Spur. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Seit Oktober 2016 erinnert eine Gedenktafel am Haus in der Kuglerstraße 44 in Berlin-Prenzlauer Berg an Martin Dibobe, der hier 1918 gewohnt hat. Im Treppenhaus-Rondell des U-Bahnhofs “Hallesches Tor” in Berlin ist ein Foto von Martin Dibobe zusammen mit anderen historischen Fotos zu sehen.

Illustrationen aus Wikimedia:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/9/9a/Martin_Dibobe_Zugführer_1902.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berliner_Gedenktafel_Kuglerstr_44_(Prenz)_Martin_Dibobe.jpg

 

Der “Mohr” – zur Problematik eines historischen Begriffs

Andere Zeiten, andere sprachliche Sitten – das gilt auch für Black History. Historische Begriffe wie „Kammermohr“ und „Hofmohr“ sind zunächst einmal sprachliche Kinder ihrer Zeit. Im 18. Jahrhundert sind sie in etwa so gebräuchlich wie „Beutetürke“ oder „Hoftürke“ für Gefangengenommene aus den Türkenkriegen. “Hoftürken” trugen ähnlich wie “Hofmohren” in europäischen Fürstenhäusern als Diener zum damals modischen exotischen Sujet bei. Keine dieser Bezeichnungen ist wertneutral.

Wenn nun hier in Beiträgen zur Black History afrikanischstämmige Kammerdiener oder Hofbeschäftigte in einer bestimmten Zeit behandelt werden, kommt man schlecht drum herum, die damals gängigen Bezeichnungen zu verwenden. Im Sinne der kritischen Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes erscheint es aber zwingend notwendig, sich die Herkunft dieser Begriffe bewusst zu machen. Dazu deshalb einige Bemerkungen in einem Begriffsexkurs zu der Black-History-Artikelserie dieses Blogs.

Herkunft des Begriffs

Der Begriff „Mohr“ leitet sich etymologisch vom griechischen „moros“ und dem lateinischen „maurus“ ab, aus dem im Althochdeutschen schließlich „mor“ und später „Mohr“ entstanden ist. Das lateinische „maurus“ steht zunächst für die Herkunft aus Mauretanien, später für „schwarz“, „dunkel“ und „afrikanisch“, das griechische „moros“ aus dem sich das lateinische “maurus” ableitet ebenfalls zunächst auf Mauretanien beziehend, später u.a. für „töricht“ und „dumm“. Der Begriff „Mohr“ ist daher vom Ursprung her eine Bezeichnung für eine aus einem bestimmten geografischen Zusammenhang stammende Gruppe, später jedoch zunehmend sowohl eine Beschreibung für dunkelhäutige Menschen, im weiteren Verlauf die für eine imaginierte Rasse. Eine Menschengruppe wird auf ihre Hautfarbe reduziert, bewertet und herabgewürdigt. Deshalb steht der Begriff im zeitlichen Zusammenhang des 18. Jahrhunderts nicht einfach für einen Schwarzen Diener, sondern für einen unterwürfigen, versklavten afrikanischen Hoflakaien.

Bedeutung im historischen Kontext

Betrachten wir nochmals näher die in der Blogartikelserie bisher beschriebenen Lakaien afrikanischer Herkunft. Hier ergibt sich ein durchaus ambivalentes Bild: Einerseits wurden sie durch die Bezeichnung „Kammer-“ oder „Hofmohr“ als unterwürfige, versklavte, afrikanische Diener gekennzeichnet. Der Subtext, der sich aus der aus dem Griechischen stammenden Bedeutung ableitet, deutet auf einen dummen, törichten Diener hin. Das beisst sich andererseits mit der ausgesprochen aufwendigen Ausbildung, die ihnen zuteil wurde. Schließlich sollten Hofmohren doch gerade auch durch ihre Bildung bestechen.

Hinzu kam die Aneignung des afrikanischen Dieners durch die Bestimmung seiner Kleidung, die Ausstaffierung mit einer exotisch-bunten Uniform. Dies symbolisierte eine Inbesitznahme der Person und verdeutlichte ihre Verfügbarkeit. Optisch hatte der “Hofmohr” dadurch zwar innerhalb der Dienerschaft eine hervorgehobene Sonderstellung, war aber zugleich auch abgesondert – Abgrenzung durch Hervorhebung. Die Wahl der Taufnahmen, zumeist in Anlehnung an den Namen des Dienstherren, stellt vor diesem Hintergrund eine weitere Form der Inbesitznahme der Person dar.

Angelo Soliman um 1750

Der Fall Soliman

Nehmen wir z.B. den im vorletzten Beitrag unserer Artikelserie thematisierten Fall des Angelo Soliman. Der zu seinen Lebzeiten aufgrund seiner Haltung und Bildung hoch angesehene und gerühmte Hofmohr Soliman war nach seinem Tode auf Geheiß des Kaisers präpariert und im Kaiserlichen Naturalienkabinett in Wien wie eine Jagdtrophäe ausgestopft worden. Man hatte ihn entkleidet, mit Ketten und Federn ausstaffiert, als „Wilden“ verkleidet und zwischen Tierpräparaten präsentiert.

Dies muss als der postume Versuch der erneuten Inbesitznahme der Person gewertet werden. Dem ehemaligen Sklave Soliman war es zu Lebzeiten gelungen, sich durch Bildung und Leistung aus seiner Position als Kammerdiener herauszuarbeiten. Als Prinzerzieher hatte er es zu einer hochangesehenen Persönlichkeit in Wien gebracht, pflegte mit hochadeligen und gekrönten Häuptern Europas Umgang und war zu guter Letzt von der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ in Wien aufgenommen worden.

Was anders als eine Negierung der Leistung zur Lebenszeit war es, wie mit dem Leichnam dieses angesehenen Höflings umgegangen wurde? Was anders als ein postumes Ausstoßen aus der höheren Gesellschaft Wiens war es, Soliman nach seinem Tod in einen „Wilden“ zu verwandeln und neben Tierpräparaten auszustellen? Auf die Emanzipation des lebenden folgte die Inbesitznahme des verstorbenen Soliman.

Aktuelle Auseinandersetzung

Während das „N“-Wort rassistisch ist und dies bereits seit Jahrzehnten auch in der breiten Gesellschaft erkannt wird, ist die Auseinandersetzung um den Begriff „Mohr“ zwar bereits seit Längerem im Gange, hat jedoch noch keinen Abschluss gefunden. Zu sehr wird mit zahlreichen Produkten, die mit dem Namen oder Konterfei eines „Mohren“ werben, etwas Positives verbunden. Zwar wird der Schoko- oder Schaumkuss schon längst nicht mehr „Negerkuss“ oder „Mohrenkopf“ genannt, doch fanden und finden sich noch zahlreiche “Mohren”-Abbildungen auf Produktverpackungen – so etwa der „Sarotti-Mohr“ (inzwischen der “Sarotti-Magier”) oder die Logos der Kaffeemarken Machwitz und Julius Meinl.

Dass inzwischen ein Umdenken stattfindet, zeigen Fälle von Umbenennungen. So wurde aus dem Augsburger Hotel „Drei Mohren“ das „Maximilian’s“. Die Berliner Mohrenstraße heißt seit August 2020 Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Sicher ist das erst ein Anfang, denn die Auseinandersetzungen an anderer Stelle sind noch in vollem Gange.

 

Illustration aus Wikimedia: 

Angelo Soliman: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angelo_Soliman.jpg?fbclid=IwAR1qrIKZnrIUb5dxiCs9gjtOXHHHMh3-GRoD9965e8UQuNLQuESIKM44icw

“Hofmohr” und preußischer Militär – zwei afrodeutsche Karrieren

August und Gustav Sabac el Cher

Zwei spannende, bis heute wenig bekannte afrodeutsche Biografien sind die von August Sabac el Cher, dem Leibdiener des preußischen Prinzen Albrecht und die von Augusts Sohn Gustav Sabac el Cher, einem afrodeutschen Militärmusiker der preußischen Armee.

Von Kairo nach Berlin

Beginnen wir mit August Sabac el Cher. Er stammte aus Ägypten, aus dem Gebiet des heutigen Sudan. Sein Vater, ein sudanesischer Scheich, war bei einem Aufstand gegen die Osmanen ums Leben gekommen. Die Mutter hatte daraufhin Suizid begangen. Der verwaiste Sohn wurde nach der Niederschlagung des Aufstandes verschleppt. Muhammad Ali Pascha, der Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, machte ihn Prinz Albrecht von Preußen bei dessen Besuch in Ägypten im März 1843 zum Geschenk. Das Verschenken von „Mohrenkindern“* als Diener war zur damaligen Zeit durchaus üblich. Ebenso war es gang und gäbe, dass die neuen Herren ihnen einen neuen Namen gaben. Prinz Albrecht wählte für den wohl erst sieben Jahre alten Jungen die einzige arabische Wendung, die ihm bekannt war: Sabac el Cher, was „Guten Morgen“ bedeutet.

Mit Prinz Albrecht gelangte der Junge nach Berlin. Er wurde beim Gesinde des Prinz-Albrecht-Palais untergebracht, wuchs im unmittelbaren Umfeld des preußischen Hofes auf, erhielt Unterricht in deutscher Sprache und christlicher Religion. Ab 1851 war er Kammerdiener und wurde als Lakai einem Offizianten unterstellt. Bei seiner Taufe im April 1852 erhielt er zusätzlich die Vornamen August Albrecht. Im weiteren Verlauf stieg er zum Leibdiener und schließlich zum Silberverwalter von Prinz Albrecht auf, reiste in dessen Gefolge durch Europa und begleitete ihn zu Militäreinsätzen, so u.a. bei einem Einsatz zur Unterstützung der russischen Armee im Kaukasus. Von der russischen Zarin erhielt er eine goldene Taschenuhr, die sich bis heute im Familienbesitz befindet.

1864 nahm August Sabac el Cher im Dienste der preußischen Armee am Deutsch-Dänischen Krieg teil und 1866 an der Schlacht von Königgrätz. Ein Jahr später heiratete er die Tochter eines wohlhabenden Berliner Textilkaufmanns. Sie bezogen eine Wohnung im Prinz-Albrecht-Paials, Wilhelmstraße 102 in Berlin – dem Stadtschloss, in dem siebzig Jahre später das Reichssicherheitshauptamt untergebracht werden sollte.1868 wurde der Sohn Gustav Sabac el Cher geboren. 1870 nahm August auch am Deutsch-Französischen Krieg teil, sechs Jahre später schied er dann aus dem Dienst bei Hofe aus. 1882 erhielt August Sabac el Cher die Naturalisationsurkunde und galt damit rechtlich als preußischer Bürger.

Gustav der Militärmusiker

Sein Sohn Gustav Sabac el Cher machte Karriere als Militärmusiker und Rundfunkdirigent. Mit 17 Jahren trat er in die Kapelle des Brandenburgischen Füsilier-Regiments Nr. 35 und damit in die preußische Armee ein. 1895 wurde er Dirigent beim Grenadier-Regiment „König Friedrich III.“ Nr. 1 in Königsberg, wo er zu einer stadtbekannten Persönlichkeit wurde. 1901 heiratete er die Tochter eines Lehrers. Aus der Ehe gingen die beiden Söhne Horst und Herbert hervor. Trotz seiner Militärmusikerlaufbahn war Gustav Sabac el Cher in mindestens einem Fall direkt mit Rassismus konfrontiert. Dagegen klagte er aber vor Gericht wegen Beleidigung und gewann den Prozess 1908.

Die „Deutsche Zeitung“ hatte im Oktober 1907 in einem Leitartikel die Frage erörtert, ob es angebracht sei, dass in der deutschen Armee Schwarze als Vorgesetzte dienten und diese Frage auch gleich mit einem entschiedenen „Nein“ beantwortet. In einer ebenfalls abgedruckten Stellungnahme des Redakteurs Erich Peterson wurde Sabac el Cher direkt angegriffen, als „Nigger“ bezeichnet, der mit seiner „eigentümlichen Art der Tanzbewegungen“ die deutsche Musik verhunze u.a.m.

Kronprinz von Massow, Kommandeur des Grenadierregiments, sprang Sabac el Cher zur Seite und erwirkte den Abdruck seiner Stellungnahme in der Zeitung. In ihr ergriff er für seinen Musiker Partei. Zugleich ging Sabac el Cher auf dem Weg der Privatklage gegen den Redakteur vor. Redakteur Peterson ruderte zwar in dem Gerichtsverfahren zurück und behauptete, er habe Sabac el Cher keineswegs persönlich angreifen oder beleidigen wollen. Das Urteil wurde 1908 aber zugunsten von Sabac el Cher gesprochen und Redakteur Peterson so wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Ein Jahr nach dieser Affäre, im Jahre 1909, quittierte Gustav Sabac el Cher den Dienst in der Armee und zog mit seiner Frau und den beiden Söhnen zurück nach Berlin. Er arbeitete fortan als Kapellmeister in verschiedenen Städten. Zur Zeit der Weimarer Republik war er als Dirigent bei einem Rundfunk-Orchester tätig.

Das Ende von Weimar und die Kameraden vom „Stahlhelm“

Ende der 1920er Jahre eröffnete Gustav Sabac el Cher in Königs-Wusterhausen eine gutgehende Gartenwirtschaft. Hier musizierte er häufig gemeinsam mit seinen Söhnen Horst und Herbert. Beide Söhne waren in die Fußstapfen des Vaters getreten, Horst als Pianist und Herbert als Violinist. Gustav war überzeugter Preuße und Offizier, identifizierte sich mit dem wilhelminischen Wertekanon. Regelmäßig waren seine Freunde und Kameraden vom „Stahlhelm“, dem „Bund der Frontsoldaten“ zu Gast. Längst schon hatte sich im Verband der Rassismus breit gemacht. Ob Gustav dies ausgeblendet hat oder noch immer der Korpsgeist seiner ehemaligen Kameraden überwog, ist nicht bekannt. Aber es scheint mindestens bemerkenswert.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten blieben die Gäste aus. Die Geschäfte liefen schlecht, die Gaststätte war nicht mehr zu halten. Ein daraufhin von Gustavs Familie in Berlin eröffnetes Kaffeehaus musste auf Druck der Behörden geschlossen werden. 1934 verstarb Gustav Sabac el Cher. Der im Exil lebende Kaiser Wilhelm II. übersandte ein Beileidstelegramm für den ehemaligen Dirigenten seines Königsberger Regiments.

Gustavs Frau starb ein Jahr später. Von Horst Sabac el Cher ist ein Foto überliefert, das ihn 1935 in der Uniform des Stahlhelms zeigt. Im Zweiten Weltkrieg diente er als Sanitäter bei der Wehrmacht und kam 1943 an der Ostfront um. Sein Bruder Herbert überlebte den Krieg. Der erste Sohn von Herbert Sabac el Cher, unehelich geboren, besuchte eine “Nationalpolitische Erziehungsanstalt”, kurz: “Napola“, eine NS-Eliteschule.

Anmerkung: 

*Die Begriffe “Mohrenkinder”, “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

Illustrationen aus Wikimedia: 

August Sabac el Cher: https://upload.wikimedia.org/…/August_Sabac_el_Cher…

Gustav Sabac el Cher: https://upload.wikimedia.org/…/e2/Gustav_Sabac_el_Cher.jpg

Afrodeutsche Geschichte – verdrängt und ausgeblendet

Die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland und Europa ist zum Gutteil noch immer geprägt von der Kolonialgeschichte. Dabei hat die Perspektive in Deutschland eine Besonderheit nämlich die vergleichsweise kurze Kolonialgeschichte. Damit einher geht fast zwangsläufig die Wahrnehmung, dass Kolonialgeschichte und in diesem Zusammenhang nach Deutschland migrierte Afrikaner allein zahlenmäßig gar nicht so relevant gewesen seien und ihre Präsenz keinen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft gehabt haben könne. Eine kleine, kaum sichtbare Minderheit also.

“Kammermohr” Ignatius Fortuna mit Fürstin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach

Seit Jahrhunderten in Deutschland

Tatsächlich lebten Afrikaner und Afrodeutsche aber seit hunderten von Jahren in Deutschland und nicht erst seit Errichtung der deutschen Kolonien in Afrika 1884. Afrikaner gelangten Anfang des 18. Jahrhunderts als „Kammer-„ oder „Hofmohren“*

an die europäischen Fürstenhöfe. Prächtig ausstaffiert und umfassend gebildet dienten Kammermohren Herrschern, kirchlichen Würdenträgern und wohlhabenden Kaufleuten als exotisches Statussymbol. Da wäre Anton Wilhelm Amo (geb. ca. 1703, verst. Nach 1753) aus Ghana. Als Kind versklavt, von der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft nach Amsterdam verschleppt und an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel verschenkt. Amo machte zunächst „Karriere“ als sogenannter „Kammermohr“, erhielt eine umfassende humanistische Ausbildung, studierte in Halle und Wittenberg Philosophie und Rechtswissenschaft, promovierte schließlich 1734 in Wittenberg und lehrte in Wittenberg und Jena.

Aus den Kolonien

Mit der Errichtung deutscher Kolonien kamen jedoch zum ersten Mal AfrikanerInnen in größerer Zahl nach Deutschland. Durch den Ausbau der Kolonialherrschaft entstand ein erhöhter Bedarf an Fachkräften für Verwaltung und Wirtschaft und so gelangten zahlreiche junge AfrikanerInnen zur Ausbildung nach Deutschland, besuchten deutsche

Askari, Deutsch-Ostafrika, beim Übungsschießen, ca. 1914-1918

Schulen, studierten an deutschen Universitäten, oder wurden an Missions- und Kolonialschulen ausgebildet als Handwerker, Facharbeiter oder Missionslehrer zum Einsatz in den deutschen Kolonien. Einige waren als Köche, Stewards oder Heizer der deutschen Schifffahrtslinie tätig, die zwischen Deutschland und den Kolonien verkehrte, arbeiteten als Sprachgehilfen, gelangten als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen nach Deutschland oder wurden als afrikanische Hausangestellte von Kaufleuten oder Afrikareisenden mitgebracht.

Völkerschauen

Schon vor Errichtung der deutschen Kolonien gelangten Afrikaner über die bereits bestehenden Handelskontakte nach Deutschland, andere wurden als lebende „Ausstellungsstücke“ im Rahmen der seit 1874 u.a. von Carl Hagenbeck organisierten „Völkerschauen“ präsentiert. So gelangte auch Martin Dibobe nach Deutschland. Der Sohn eines Häuptlings der Duálá war 1896 als einer von hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Europa gebracht worden, um sechs Monate lang im Rahmen einer Völkerschau der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ darzustellen, bzw. das, was sich die Deutschen unter afrikanischem Alltagsleben vorstellten. Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Deutschland, machte eine Ausbildung und landete zunächst als Zugführer, schließlich als Fahrer bei der Berliner U-Bahn.

Andere kamen nur für einige Jahre nach Deutschland, zur Ausbildung, oder um einige Zeit im Land zu arbeiten. Mdachi bin Scharifu reiste 1913 aus der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) nach Berlin und arbeitete als Sprachlektor am Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Er kehrte 1920 nach Ostafrika zurück.

Gustav Sabac el Cher, der Nachfahre eines „Hofmohren“, war in Berlin aufgewachsen, machte in der Kaiserzeit Karriere als Militärmusiker bei der Preußischen Armee und später als Dirigent beim Rundfunk. Seine Söhne dienten im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht, ein Enkel landete in einer Napola, einem als NS-Kaderschmiede ausgelegten Internat.

Bayume Mohamed Husen, war als ehemaliger afrikanisch-deutscher Askari 1929 nach Deutschland gelangt. Hier gründete er eine Familie, arbeitete als Kellner, Sprachlektor und Schauspieler. Im August 1941 verhaftete ihn die Gestapo wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“. Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht, wo er drei Jahre später starb. Insgesamt wird die Zahl der in Konzentrationslagern ermordeten Menschen afrikanischer Herkunft auf 2.000 geschätzt. Nicht einberechnet sind dabei die in den Kriegsgefangenenlagern inhaftierten Black Americans und afrikanischen Soldaten der französischen, belgischen und britischen Truppen.

Gemiedenes Thema

Noch immer wird afrodeutsche Geschichte in der breiten Öffentlichkeit unzureichend wahrgenommen. Sie wird zumeist auf die Kolonialzeit beschränkt, die ihrerseits kaum aufgearbeitet ist. Die Zeit des Nationalsozialismus wird oft komplett ausgeblendet. Afrodeutsches Leben wird aufgrund des insbesondere in dieser Zeit herrschenden und vom NS-Regime gesteuerten, geförderten oder protegierten Rassismus schlichtweg für unmöglich gehalten. Erst allmählich tasten sich Medien und Gesellschaft an die Thematik heran, wie die lokalen Auseinandersetzungen (bzw. der Versuch ihrer Vermeidung) zu Straßennamen mit kolonialer Vergangenheit nur all zu deutlich illustrieren. Allein der Umbenennung der Berliner „Mohrenstraße“ in „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“ im August 2020 ging eine jahrelange Auseinandersetzung voraus. Die Änderung des Namens “Mohrenstraße” bei der am Ort befindlichen U-Bahn-Haltestelle hingegen scheiterte.

Anmerkung: 

*Die Begriffe “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

Quellenangaben zu den llustrationen:

“Kammermohr”: https://de.wikipedia.org/wiki/Kammermohr#/media/Datei:Francisca_Christina_of_the_Palatinate-Sulzbach._Princess-Abbess_of_Essen_and_Thorn.jpg

Askari: https://en.wikipedia.org/wiki/Askari#/media/File:Bundesarchiv_Bild_105-DOA3049,_Deutsch-Ostafrika,_Askari_beim_Übungsschießen.jpg

Gustav Sabac el Cher: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Gustav_Sabac_el_Cher.jpg&filetimestamp=20160217161640&

Stolperstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Bayume_Mohamed_Husen#/media/Datei:Stolperstein_Brunnenstr_193_(Mitte)_Bayume_Mohamed_Husen.jpg

Black History Month

Der „Black History Month“ wird alljährlich im Februar insbesondere in Kanada und den USA begangen. Er geht auf den Historiker Carter G. Woodson zurück. Die von ihm mitbegründete „Association for the Study of Negro Life and History“ (ASNLH) widmete 1926 erstmals die zweite Februarwoche der Geschichte der Black Americans. Ziel und Zweck war es, die breite Öffentlichkeit auf den Beitrag von Afroamerikanern zur Geschichte Amerikas aufmerksam zu machen.

Seit der Ermordung von Abraham Lincoln hatte die Black Community ohnehin bereits jedes Jahr im Februar den Geburtstag des US-Präsidenten gefeiert, der die Abschaffung der Sklaverei in den USA initiiert hatte. Was lag also näher, als die Woche zur Geschichte der Black Americans in diese Zeit zu legen? Zumal eine weitere Schlüsselfigur der Emanzipation der Black Americans, der Bürgerrechtler Frederick Douglass, ebenfalls in derselben Woche Geburtstag hatte. Seit 1926 wurde die Woche ausdrücklich der Geschichte und Traditionen der Black Americans gewidmet.

Die Idee wurde von Schulen und Gemeinschaften im ganzen Land aufgegriffen, die in ihren Gemeinden Geschichtsvereine gründeten und Veranstaltungen zum Thema initiierten. In den Folgejahren wurden in Städten im ganzen Land jeweils im Februar Veranstaltungen durchgeführt. Seit 1976 wird der Monat Februar als „Black History Month“ landesweit begangen.

Inzwischen wird der Monat in vielen Staaten der Erde zum Anlass genommen für Themenreihen, Veranstaltungen, Schwerpunktsendungen, Ausstellungen und vieles mehr – so etwa in Kanada und im Vereinigten Königreich.

created by Stephan A. Glienke

In Deutschland wird der Black History Month erst seit den 1990er Jahren von der Black Community gefeiert. Auch hier war und ist es das Ziel, Black History ein Gesicht zu geben. Dabei geht es u.a. darum, die Errungenschaften afrodeutscher Persönlichkeiten bekannt zu machen. Von Beginn an engagierten sich Kulturschaffende und Menschen aus dem Bildungsbereich, Dichter:Innen, Autor:Innen und Aktivist:Innen.

Erst in den vergangenen Jahren erhielt die deutsche Kolonialgeschichte auch in der breiten Öffentlichkeit zunehmend Aufmerksamkeit. Die Geschichten wie die der Familie des Schauspielers Theodor Wonja Michael zeigen jedoch deutlich, dass entgegen landläufiger Meinung, afrodeutsches Leben in Deutschland keine Sache der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ist; sie lässt sich nicht einmal auf die Phase der deutschen Kolonialgeschichte beschränken. Afrodeutsches Leben in Deutschland hat eine über mehrere Jahrhunderte zurückreichende Geschichte. Das zeigen Familiengeschichten wie die von Anton Wilhelm Amo, der Familie Sabac el Cher, von Martin Dibobe oder eben von Theodor Wonja Michael.

Der Black History Month soll diese Geschichte und den Beitrag der Afrodeutschen zur Geschichte in Deutschland stärker ins Licht rücken, Bewusstsein schaffen und nicht zuletzt das Thema so etablieren, dass die Beschäftigung nicht nur zeitlich auf den Monat Februar beschränkt bleibt. Weitere Texte zu diesem Thema hier im Blog sollen dazu einen kleinen Beitrag liefern.

#blackhistorymonth2021 #blackhistorymonth #blackhistory #bhm #africanhistory