Spätpandemische Erinnerungen an die Süddeutsche Zeitung

„Wirbel um Plagiatsvorwürfe und Durchsuchungen“, so titelte die Tagesschau gestern in ihrem Bericht über eine Überwachungsaffäre im Münchner SZ-Hochhaus an der Hultschiner Straße.[1] Ein weiterer Vorfall, der ein schräges Licht auf die Süddeutsche Zeitung wirft – insbesondere auf ihre Chefredaktion, aber auch der Betriebsrat und der Redaktionsausschuss scheinen hier versagt zu haben: Es tauchen Plagiatsvorwürfe gegen die stellvertretende Chefredakteurin auf, doch am Ende drohen Konsequenzen für diejenigen, die über fragwürdige Zustände in der Redaktion die Öffentlichkeit informieren. Solche Leaks sind zwar nicht schön, aber sie waren wohl durchaus nötig, weil mit den Fehlern im Haus in einer für eine Qualitätszeitung nicht akzeptablen Weise umgegangen wurde. Wie es scheint, waren weniger die wohl nicht besonders schwerwiegenden Plagiatsfälle das Hauptproblem, als vielmehr der Umgang mit ihrer Aufdeckung und der Diskussion darüber. Dass am Ende sogar zu Überwachungsmaßnahmen gegen die eigene Redaktion gegriffen wurde, lässt nichts Gutes über die innere Betriebskultur in der “Süddeutschen” erahnen.

Früher genoss die SZ bei mir ein hohes Ansehen – viele Jahre habe ich sie mit großem intellektuellen Vergnügen gelesen. Sie schien mir dem Idealbild einer liberalen Qualitätszeitung zu entsprechen. Doch in der Pandemie hat sich mein Eindruck leider eingetrübt. Denn immer häufiger war da auf die “Süddeutsche” kein Verlass mehr, wenn es darum ging, wissenschaftsnah über Pandemiethemen zu informieren. Stattdessen taumelte das Blatt im Schlingerkurs durch die Seuchenzeit. Sicher gab es oft auch verlässliche Public Health-Aufklärung, etwa aus der Feder der Wissenschaftsredakteurin Christina Berndt. Aber zugleich war die SZ auch das Blatt, das den Corona-verharmlosenden Thesen ihres Ex-Chefs Heribert Prantl in epischer Breite Raum gab.

Pandemischer Schlingerkurs mit Luftfilterlügen

Unvergessen ist mir besonders die Rolle der “Süddeutschen” bei der Luftfilter-Desinformationskampagne von Markus Grill, die im Herbst 2021 von der SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer ausdrücklich – wie sie mir auf Anfrage per Mail erklärte – gedeckt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das besonders verheerend, denn im Sommer 2021 hatte verschiedene Elterngruppen – darunter auch die Initiative #ProtectTheKids, für dich ich mich seit dieser Zeit ehrenamtlich einsetze – viel politischen Druck aufgebaut, um mehr Luftfilter in Schulklassenräumen zu installieren.

Doch gerade als sich endlich ein paar Fortschritte in einzelnen Bundesländern abzeichneten, grätschte – man hatte fast den Eindruck: wie von der überwiegend luftfilterkritischen Kultusministerkonferenz bestellt – der bekannte Investigationsjournalist Markus Grill mit einem großen Artikel in der Süddeutschen Zeitung dazwischen. Darin zog er die Wirksamkeit von Luftfiltern in Zweifel und unterstellte einem der führenden deutschen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Aerosolforschung, Prof. Dr. Christian Kähler von der Universität der Bundeswehr in München, fälschlicherweise, von der Luftfilter-Industrie quasi „gekauft“ zu sein. Unsere Initiative hielt zwar mit insgesamt drei Presseerklärungen dagegen.[2]

https://twitter.com/_ProtectTheKids/status/1451964180358123523

Doch der Schaden durch Grills sachlich erwiesenermaßen falsche Behauptungen war kaum noch zu beheben. Seither galt die Wirksamkeit von Luftfiltern in der deutschen coronapolitischen Diskussion als angeblich „umstritten“. Die Politik hatte so einen Grund gefunden, ihre gerade ein wenig in Fahrt gekommenen Bemühungen um bessere Innenraumluftqualität in Schulen wieder einschlafen zu lassen.

Genießt Markus Grill beim Thema „Luftfilter“ Narrenfreiheit in der SZ?

Ein Jahr später, unter dem Eindruck des von der FDP ausgerufenen, angeblich bevorstehenden „Endes der Pandemie“, wiederholte Grill das gleiche Spiel: Wieder faktenwidrige, angeblich „evidenzbasierte“ Behauptungen über die mutmaßlich nicht ausreichend bewiesene Wirksamkeit von Luftfiltern, diesmal gar mit dem Vorwurf der „Geldverschwendung“ verbunden. Wieder antwortete unsere Initiative mit einer umfangreichen Presseerklärung, in der wir mit zahlreichen wissenschaftlichen Belegen dagegenhielten.

Doch wieder mussten wir am Ende erkennen: Unsere kleine, ehrenamtliche Initiative kann sich zwar auf Social Media mithilfe einer unterstützenden Community von informierten Menschen, die am Thema des Infektionsschutzes interessiert sind, durchaus Gehör verschaffen. Doch kommen wir in der breiten Öffentlichkeit gegen Desinformation in großen Medien kaum an. Das war für uns 2022 umso bitterer, als uns diesmal extra ein auf dem Fachgebiet anerkannter Wissenschaftler, Prof. Dr. Hartmut Herrmann vom Tropos-Institut Leipzig, zur Seite sprang. Er erstellte im Oktober 2022 eine gehaltvolle Sammlung von Gegenbelegen zu Grills kruden Thesen ins Netz: Auf Twitter postete Prof. Herrmann einen umfangreichen Thread, in dem von ihm eine Vielzahl an Studien zum Thema erläutert wurden. Auch heute ist dieser Twitter-Faden immer noch sehr lesenswert:

Obwohl Markus Grills Behauptungen in seinen SZ-Artikeln über die angeblich nicht erwiesene Wirksamkeit von Luftfiltern durch wissenschaftliche Studien also klar widerlegt sind, hat die “Süddeutsche” bis heute die Dinge nie richtig gestellt, geschweige denn sich bei Prof. Kähler für die rufschädigenden Behauptungen vom Herbst 2021 entschuldigt. Grill selbst hält an seinen Irrtümern starrsinnig fest und schmäht mich sowie meine Mitstreiter:innen der Initiative #ProtectTheKids auf seiner Webseite weiterhin als “Luftfilter-Lobby”.

Den für seine Sturheit und Rechthaberei verrufenen Markus Grill wird man wohl schwerlich zur Einsicht bewegen können. Aber wie wäre es, wenn wenigstens die SZ-Redaktion beim Thema “Luftfilter” wieder den Weg zurück zur wissenschaftsorientierten statt meinungsgeleiteten Information finden könnte?

“Zeit für eine Luftveränderung” – auch in der “Süddeutschen”?

Gerade ist in der „taz“ ein vorzüglicher Artikel von Franca Parianen zum Thema der Innenraumluftqualität unter dem Titel „Zeit für eine Luftveränderung“ erschienen,[3] den ich nur jedem zur Lektüre empfehlen kann – vielleicht schauen auch einmal die SZ-Chefredakteurin Wittwer und ihre Gesundheitsredakteurin Uhlmann da rein?

Und wie wäre es, wenn die große, auflagenstarke “Süddeutsche” zur Wiedergutmachung der Grillschen Desinformationskampagne 2021/22 und zur Aufklärung ihrer Leserschaft nun den Artikel aus der kleinen Berliner “tagesszeitung” im Nachdruck verbreitet?

Es wurden in den letzten Jahren der Gesundheitskrise, die durch SARS-CoV-2 weltweit hervorgerufen wurde, viele Fehler gemacht – auch in Deutschland, dessen Gesundheitspolitiker:innen sich zu Unrecht neuerdings gerne öffentlich auf die Schulter klopfen. Dabei gibt es eigentlich doch noch so viel aus den Erfahrungen der nur zögerlich abklingenden Pandemie zu lernen! Schlimmer und verhängnisvoller als die Fehler der letzten Jahre selbst wäre es aber wohl, wenn wir lernresistent bleiben und in der Zukunft unsere alten Irrtümer wiederholen.

Machen Sie wenigstens diesen Fehler nicht, geschätzte Redaktion der Süddeutschen Zeitung, denn ich möchte nicht vollends den Glauben an ihre journalistischen Qualitäten verlieren!

Anmerkungen und Belegangaben:

[1] Fritz Lüders, „Wirbel um Plagiatsvorwürfe und Durchsuchungen“, tagesschau online 6.2.2024, https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/sueddeutsche-zeitung-vorwuerfe-100.html. Auf die Vorwürfe gegen die stellvertretende SZ-Chefredakteurin ist Götz Hamann in der “Zeit” am 7.2.204 ausführlicher eingegangen:  “Copy & Paste”, https://www.zeit.de/kultur/2024-02/sueddeutsche-zeitung-plagiatsvorwuerfe-alexandra-foederl-schmid-julian-reichelt. An der von dem umstrittenen Plagiatsjäger Stefan Weber aufgestellten Behauptung, Alexandra Föderl-Schmid habe in ihrer Dissertation aus dem Jahr 1996 plagiiert, ist hingegen wohl nichts dran. Laut Barbara Tóth handelt es sich um “eine umfangreiche, eigenständige und verdienstvolle Arbeit mit einigen wenigen ärgerlichen Ungenauigkeiten”: Die Grenzen des Plagiatschecks, Der Falter vom 8.2.2024, https://www.falter.at/zeitung/20240208/die-grenzen-des-plagiatschecks.

[2] „Es gibt Forschungsaufträge, aber keine Auftragsergebnisse“, https://luftfilterjetzt.de/presse/2021/10/21.html; Faktenblinder Journalismus: Die Last mit der Meinungsmache gegen Luftfilter, https://luftfilterjetzt.de/presse/2021/11/4.html; Dissen, spammen, blocken, drohen: Sind Sie ein Troll, Markus Grill? https://luftfilterjetzt.de/presse/2021/11/06.html.

[3] Franca Parianen, Zeit für eine Luftveränderung, taz vom 5.2.2024, https://taz.de/Filter-und-UV-Licht-gegen-Schadstoffe/!5988444/.

 

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