Afrodeutsche Geschichte – verdrängt und ausgeblendet

Die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland und Europa ist zum Gutteil noch immer geprägt von der Kolonialgeschichte. Dabei hat die Perspektive in Deutschland eine Besonderheit nämlich die vergleichsweise kurze Kolonialgeschichte. Damit einher geht fast zwangsläufig die Wahrnehmung, dass Kolonialgeschichte und in diesem Zusammenhang nach Deutschland migrierte Afrikaner allein zahlenmäßig gar nicht so relevant gewesen seien und ihre Präsenz keinen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft gehabt haben könne. Eine kleine, kaum sichtbare Minderheit also.

“Kammermohr” Ignatius Fortuna mit Fürstin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach

Seit Jahrhunderten in Deutschland

Tatsächlich lebten Afrikaner und Afrodeutsche aber seit hunderten von Jahren in Deutschland und nicht erst seit Errichtung der deutschen Kolonien in Afrika 1884. Afrikaner gelangten Anfang des 18. Jahrhunderts als „Kammer-„ oder „Hofmohren“*

an die europäischen Fürstenhöfe. Prächtig ausstaffiert und umfassend gebildet dienten Kammermohren Herrschern, kirchlichen Würdenträgern und wohlhabenden Kaufleuten als exotisches Statussymbol. Da wäre Anton Wilhelm Amo (geb. ca. 1703, verst. Nach 1753) aus Ghana. Als Kind versklavt, von der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft nach Amsterdam verschleppt und an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel verschenkt. Amo machte zunächst „Karriere“ als sogenannter „Kammermohr“, erhielt eine umfassende humanistische Ausbildung, studierte in Halle und Wittenberg Philosophie und Rechtswissenschaft, promovierte schließlich 1734 in Wittenberg und lehrte in Wittenberg und Jena.

Aus den Kolonien

Mit der Errichtung deutscher Kolonien kamen jedoch zum ersten Mal AfrikanerInnen in größerer Zahl nach Deutschland. Durch den Ausbau der Kolonialherrschaft entstand ein erhöhter Bedarf an Fachkräften für Verwaltung und Wirtschaft und so gelangten zahlreiche junge AfrikanerInnen zur Ausbildung nach Deutschland, besuchten deutsche

Askari, Deutsch-Ostafrika, beim Übungsschießen, ca. 1914-1918

Schulen, studierten an deutschen Universitäten, oder wurden an Missions- und Kolonialschulen ausgebildet als Handwerker, Facharbeiter oder Missionslehrer zum Einsatz in den deutschen Kolonien. Einige waren als Köche, Stewards oder Heizer der deutschen Schifffahrtslinie tätig, die zwischen Deutschland und den Kolonien verkehrte, arbeiteten als Sprachgehilfen, gelangten als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen nach Deutschland oder wurden als afrikanische Hausangestellte von Kaufleuten oder Afrikareisenden mitgebracht.

Völkerschauen

Schon vor Errichtung der deutschen Kolonien gelangten Afrikaner über die bereits bestehenden Handelskontakte nach Deutschland, andere wurden als lebende „Ausstellungsstücke“ im Rahmen der seit 1874 u.a. von Carl Hagenbeck organisierten „Völkerschauen“ präsentiert. So gelangte auch Martin Dibobe nach Deutschland. Der Sohn eines Häuptlings der Duálá war 1896 als einer von hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Europa gebracht worden, um sechs Monate lang im Rahmen einer Völkerschau der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ darzustellen, bzw. das, was sich die Deutschen unter afrikanischem Alltagsleben vorstellten. Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Deutschland, machte eine Ausbildung und landete zunächst als Zugführer, schließlich als Fahrer bei der Berliner U-Bahn.

Andere kamen nur für einige Jahre nach Deutschland, zur Ausbildung, oder um einige Zeit im Land zu arbeiten. Mdachi bin Scharifu reiste 1913 aus der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) nach Berlin und arbeitete als Sprachlektor am Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Er kehrte 1920 nach Ostafrika zurück.

Gustav Sabac el Cher, der Nachfahre eines „Hofmohren“, war in Berlin aufgewachsen, machte in der Kaiserzeit Karriere als Militärmusiker bei der Preußischen Armee und später als Dirigent beim Rundfunk. Seine Söhne dienten im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht, ein Enkel landete in einer Napola, einem als NS-Kaderschmiede ausgelegten Internat.

Bayume Mohamed Husen, war als ehemaliger afrikanisch-deutscher Askari 1929 nach Deutschland gelangt. Hier gründete er eine Familie, arbeitete als Kellner, Sprachlektor und Schauspieler. Im August 1941 verhaftete ihn die Gestapo wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“. Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht, wo er drei Jahre später starb. Insgesamt wird die Zahl der in Konzentrationslagern ermordeten Menschen afrikanischer Herkunft auf 2.000 geschätzt. Nicht einberechnet sind dabei die in den Kriegsgefangenenlagern inhaftierten Black Americans und afrikanischen Soldaten der französischen, belgischen und britischen Truppen.

Gemiedenes Thema

Noch immer wird afrodeutsche Geschichte in der breiten Öffentlichkeit unzureichend wahrgenommen. Sie wird zumeist auf die Kolonialzeit beschränkt, die ihrerseits kaum aufgearbeitet ist. Die Zeit des Nationalsozialismus wird oft komplett ausgeblendet. Afrodeutsches Leben wird aufgrund des insbesondere in dieser Zeit herrschenden und vom NS-Regime gesteuerten, geförderten oder protegierten Rassismus schlichtweg für unmöglich gehalten. Erst allmählich tasten sich Medien und Gesellschaft an die Thematik heran, wie die lokalen Auseinandersetzungen (bzw. der Versuch ihrer Vermeidung) zu Straßennamen mit kolonialer Vergangenheit nur all zu deutlich illustrieren. Allein der Umbenennung der Berliner „Mohrenstraße“ in „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“ im August 2020 ging eine jahrelange Auseinandersetzung voraus. Die Änderung des Namens “Mohrenstraße” bei der am Ort befindlichen U-Bahn-Haltestelle hingegen scheiterte.

Anmerkung: 

*Die Begriffe “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

Quellenangaben zu den llustrationen:

“Kammermohr”: https://de.wikipedia.org/wiki/Kammermohr#/media/Datei:Francisca_Christina_of_the_Palatinate-Sulzbach._Princess-Abbess_of_Essen_and_Thorn.jpg

Askari: https://en.wikipedia.org/wiki/Askari#/media/File:Bundesarchiv_Bild_105-DOA3049,_Deutsch-Ostafrika,_Askari_beim_Übungsschießen.jpg

Gustav Sabac el Cher: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Gustav_Sabac_el_Cher.jpg&filetimestamp=20160217161640&

Stolperstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Bayume_Mohamed_Husen#/media/Datei:Stolperstein_Brunnenstr_193_(Mitte)_Bayume_Mohamed_Husen.jpg

Black History Month

Der „Black History Month“ wird alljährlich im Februar insbesondere in Kanada und den USA begangen. Er geht auf den Historiker Carter G. Woodson zurück. Die von ihm mitbegründete „Association for the Study of Negro Life and History“ (ASNLH) widmete 1926 erstmals die zweite Februarwoche der Geschichte der Black Americans. Ziel und Zweck war es, die breite Öffentlichkeit auf den Beitrag von Afroamerikanern zur Geschichte Amerikas aufmerksam zu machen.

Seit der Ermordung von Abraham Lincoln hatte die Black Community ohnehin bereits jedes Jahr im Februar den Geburtstag des US-Präsidenten gefeiert, der die Abschaffung der Sklaverei in den USA initiiert hatte. Was lag also näher, als die Woche zur Geschichte der Black Americans in diese Zeit zu legen? Zumal eine weitere Schlüsselfigur der Emanzipation der Black Americans, der Bürgerrechtler Frederick Douglass, ebenfalls in derselben Woche Geburtstag hatte. Seit 1926 wurde die Woche ausdrücklich der Geschichte und Traditionen der Black Americans gewidmet.

Die Idee wurde von Schulen und Gemeinschaften im ganzen Land aufgegriffen, die in ihren Gemeinden Geschichtsvereine gründeten und Veranstaltungen zum Thema initiierten. In den Folgejahren wurden in Städten im ganzen Land jeweils im Februar Veranstaltungen durchgeführt. Seit 1976 wird der Monat Februar als „Black History Month“ landesweit begangen.

Inzwischen wird der Monat in vielen Staaten der Erde zum Anlass genommen für Themenreihen, Veranstaltungen, Schwerpunktsendungen, Ausstellungen und vieles mehr – so etwa in Kanada und im Vereinigten Königreich.

created by Stephan A. Glienke

In Deutschland wird der Black History Month erst seit den 1990er Jahren von der Black Community gefeiert. Auch hier war und ist es das Ziel, Black History ein Gesicht zu geben. Dabei geht es u.a. darum, die Errungenschaften afrodeutscher Persönlichkeiten bekannt zu machen. Von Beginn an engagierten sich Kulturschaffende und Menschen aus dem Bildungsbereich, Dichter:Innen, Autor:Innen und Aktivist:Innen.

Erst in den vergangenen Jahren erhielt die deutsche Kolonialgeschichte auch in der breiten Öffentlichkeit zunehmend Aufmerksamkeit. Die Geschichten wie die der Familie des Schauspielers Theodor Wonja Michael zeigen jedoch deutlich, dass entgegen landläufiger Meinung, afrodeutsches Leben in Deutschland keine Sache der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ist; sie lässt sich nicht einmal auf die Phase der deutschen Kolonialgeschichte beschränken. Afrodeutsches Leben in Deutschland hat eine über mehrere Jahrhunderte zurückreichende Geschichte. Das zeigen Familiengeschichten wie die von Anton Wilhelm Amo, der Familie Sabac el Cher, von Martin Dibobe oder eben von Theodor Wonja Michael.

Der Black History Month soll diese Geschichte und den Beitrag der Afrodeutschen zur Geschichte in Deutschland stärker ins Licht rücken, Bewusstsein schaffen und nicht zuletzt das Thema so etablieren, dass die Beschäftigung nicht nur zeitlich auf den Monat Februar beschränkt bleibt. Weitere Texte zu diesem Thema hier im Blog sollen dazu einen kleinen Beitrag liefern.

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