Martin Dibobe – vom Häuptlingssohn zum Zugführer

1896, im Schicksalsjahr von Martin Dibobes Leben, war seine Heimat Kamerun seit zwölf Jahren deutsche Kolonie. Reichskanzler Bismarck hatte im März 1884 das Gebiet im Knie von Afrika zum Protektorat erklärt und den Afrikaforscher und bisherigen deutschen Generalkonsul in Tunis, Gustav Nachtigal, zum kaiserlichen Kommissar für die Westküste Afrikas bestimmt. Im Juli 1884 traf Nachtigal mit einer Delegation in Duala ein und unterzeichnete mit den Führern der Duálá und Ngand’a Kwa “Schutzverträge”. Am 14. Juli wurde die deutsche Flagge gehisst und die “Schutzherrschaft” über das Gebiet erklärt. Fünf Tage später traf der britische Konsul Hewett in Duala ein, der den gleichen Plan verfolgte – die Deutschen waren ihm zuvorgekommen. Es folgte nun in mehreren Stufen die Festigung der deutschen Vormacht, d.h. die Unterwerfung der Kolonie.

Von Kamerun nach Berlin

Im Sommer 1896 wurde eine Gruppe von etwa hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Berlin gebracht, unter ihnen Quane a Dibobe, der Sohn eines Häuptlings der Duálá, den Missionare auf den Namen Martin Dibobe getauft hatten. Sechs Monate lang stellten er und die anderen Afrikaner im Rahmen einer “Völkerschau” der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ dar – oder zumindest das, was sich die Kolonialherren darunter vorstellten. In derartigen Völkerschauen wurden oft Frauen, Männer und Kinder aus aller Welt in als typisch erachteter Landestracht vor Nachbauten von Hütten aus ihrer Heimat präsentiert. Wie in einem Art Menschenzoo waren sie „Ausstellungsstücke”, lebende Exponate, und wurden entsprechend unmenschlich behandelt. An der Berliner Charité waren besonders die Rassekundler an den Afrikanern der Völkerschau im Treptower Park interessiert. Sie führten Experimente und Messungen an den Männern durch. Dibobe weigerte sich zunächst, wurde dann jedoch verpflichtet, an den Untersuchungen teilzunehmen.

Ausbildung und Karriere

Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Berlin, nahm eine Schlosserlehre auf und arbeitete u.a. bei Siemens. 1900 verlobte er sich mit der Tochter seines Vermieters. 1902 heirateten die beiden – in der damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Der Ehe voraus ging ein Irrweg durch die deutschen Verwaltungsinstanzen, vom Standesamt über das Kolonialamt bis zum Auswärtigen Amt. Alle Stellen verweigerten dem Paar die Genehmigung zur Eheschließung. Zum Schluss schaltete sich die Basler Mission in Kamerun ein. Mit der Beglaubigung seiner Identität durch den Pastor, der Dibobe als Kind getauft hatte, war der Weg zur Eheschließung endlich frei. Im selben Jahr trat der Frischvermählte eine Stelle bei der Berliner Hochbahn an. Er wurde zunächst Zugabfertiger, zuletzt Zugführer der U1, der ersten U-Bahn im Kaiserreich, und eine Art lokale Berühmtheit.

Martin Dibobe 1902 als Zugführer

Martin Dibobe, 1902

Dibobe und die Politik

In Berlin wurde Dibobe politisch aktiv. Er sympathisierte mit den Sozialdemokraten und setzte sich für die Gleichberechtigung von Afrikanern in Deutschland ein. 1907 besuchte er seine Heimat, half beim Bau einer Bahntrasse im Norden Kameruns und berichtete seinen Landsleuten von Sozialismus und Selbstbestimmung. Im Sommer 1919 reichte Dibobe gemeinsam mit siebzehn anderen aus den deutschen Kolonien stammenden in Deutschland lebenden Afrikanern eine Petition bei Reichskanzler Friedrich Ebert, der Nationalversammlung und dem Reichskolonialamt ein. Darin forderten die Unterzeichner den Verbleib der Kolonien unter deutscher Herrschaft, aber zugleich die Selbständigkeit und Gleichberechtigung der Afrikaner, sowie das Ende von Prügelstrafen, Zwangsarbeit und Misshandlungen. Die Petenten wollten außerdem gerechte Löhne, Schulpflicht und das Recht zum Studium sowie die Zulassung der Ehe zwischen Eingeborenen und Weißen erreichen. Kurzum: Es ging ihnen um gleiche Rechte für Deutsche und Afrikaner in Deutschland und in Übersee. Auch sollte es dem Papier zufolge einen ständigen Vertreter der Afrikaner im deutschen Parlament geben; als Repräsentant im Reichstag wurde auch gleich Martin Dibobe vorgeschlagen. Doch der Protest lief ins Leere, die Petenten erhielten noch nicht einmal eine Antwort. Nach dem Frieden von Versailles verlor Deutschland die Kolonien an Frankreich und Großbritannien, die 32 Forderungen der Dibobe-Petition wurden nicht erfüllt.

1919 verlor Dibobe seine Anstellung bei der U-Bahn. Die Teilnahme an einer Arbeiterdemonstration hat ihn womöglich die Stellung gekostet. Als er 1922 mit seiner Familie nach Afrika zurückkehren wollte, verhinderte die inzwischen an Frankreich übergegangene Kolonialverwaltung seine Einreise. Man fürchtete, er würde einen pro-deutschen Aufstand anzetteln. Dibobe reiste daraufhin nach Liberia. Hier verliert sich seine Spur. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Seit Oktober 2016 erinnert eine Gedenktafel am Haus in der Kuglerstraße 44 in Berlin-Prenzlauer Berg an Martin Dibobe, der hier 1918 gewohnt hat. Im Treppenhaus-Rondell des U-Bahnhofs “Hallesches Tor” in Berlin ist ein Foto von Martin Dibobe zusammen mit anderen historischen Fotos zu sehen.

Illustrationen aus Wikimedia:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/9/9a/Martin_Dibobe_Zugführer_1902.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berliner_Gedenktafel_Kuglerstr_44_(Prenz)_Martin_Dibobe.jpg