“Kammer-” oder “Hofmohr”

Adlige und kirchliche Würdenträger, die im 18. und auch noch bis Mitte des 19. Jahrhundert etwas auf sich hielten, zählten zu ihrem Gefolge nicht selten einen afrikanischen Diener. Der „Kammer-” oder „Hofmohr“* war ein exotisches Prestigeobjekt, das nach außen Luxus, Wohlstand, Exklusivität und Weltläufigkeit illustrieren sollte. Der Kammerdiener symbolisierte als exotischer Lakai die weltweiten Fernhandels- und Machtbeziehungen seines Eigentümers. Üblicherweise als Sklave nach Europa verschleppt oder Fürsten von orientalischen Herrschern zum Geschenk gemacht, wurden afrikanische Kinder an europäischen Höfen zu Dienern ausgebildet. Sie waren weiterhin unfrei und an ihren Herren gebunden, erhielten jedoch im Gegenzug üblicherweise eine umfangreiche Bildung und erlernten oft zahlreiche Fremdsprachen. So stiegen die als Sklaven verschleppten, an Fürstenhöfen bestens ausgebildeten afrikanischen Diener nicht selten in höchste Vertrauenspositionen auf.

Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann (links), König Christian VI. von Dänemark (rechts)

Bekannte Kammermohren waren Angelo Soliman, Ignatius Fortuna oder auch Abraham Petrowitsch Hannibal.

Angelo Soliman

Der aus Nigeria stammende Soliman war nach der Niederlage seines Stammes von den siegreichen afrikanischen Gegnern an europäische Sklavenhändler verkauft und über Umwege auf den alten Kontinent verschleppt worden. Seine Karriere als Kammerdiener begann er 1734 bei dem österreichischen Fürsten Johann Georg Christian von Lobkowitz. 1773 brachte er es schließlich zum Prinzerzieher bei Fürst Franz Josef von Liechtenstein. Soliman war als der „hochfürstliche Mohr“ und „Cammerdiener“ des Fürsten von Liechtenstein der wohl berühmteste Hofmohr Wiens und begleitete seinen Fürsten zu Audienzen und auf Feldzügen. Wie die meisten seiner afrikanischen Kollegen hatte er eine umfassende Bildung erhalten und sprach neben seiner Muttersprache auch Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Latein und Tschechisch. Er war durch sein angenehmes Auftreten bekannt und führte fast freundschaftliche Beziehungen zum Sohn Kaiser Josephs II. Dies hinderte diesen jedoch nicht dran, Soliman nach seinem Tod auf Wunsch des Kaisers präpariert und ausgestopft** im Naturalienkabinett zur Schau zu stellen.

Ignatius Fortuna

Ignatius Fortuna wurde vermutlich in Surinam geboren und war als Kind von einem Kaufmann aus Essen in das dortige Reichsstift gebracht worden. Dort wurde er christlich erzogen, getauft und an den geistlichen Landesherrn übergeben. Über Umwege  landete er schließlich bei der Essener Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, wo er in eine Vertrauensstellung aufstieg (vgl. dazu die Illustration zu Beginn des vorangegangenen Blogbeitrags).

Abraham Petrowitsch Hannibal

Wie bei Ignatius Fortuna ist auch die Herkunft von Abraham Petrowitsch Hannibal nicht eindeutig belegt. Die Quellen nennen abweichend Eritrea und Kamerun als Herkunftsort. Anfang des 18. Jahrhunderts war er als Junge vom russischen Gesandten Graf Tolstoi  in Konstantinopel gekauft, später in den Dienst des russischen Zaren Peter I. getreten und begleitete diesen auf allen seinen Feldzügen. Auch Abraham wurde eine umfängliche Ausbildung ermöglicht. Mit zweiundzwanzig Jahren schickte man ihn nach Paris. Dort trat er in den Dienst der französischen Armee ein und wurde im Feldzug gegen Spanien im Jahre 1720 zum Leutnant befördert. Ferner besuchte er die Pariser Ingenieursschule und verließ sie im Rang eines Kapitäns. Schließlich kehrte er nach Russland zurück und diente als Leutnant in einem von Zar Peter I. befehligten Artillerieregiment. Er starb schließlich als Großgrundbesitzer in Russland.

Mensch und Objekt – die ambivalente Stellung der “Hofmohren”

Die nach Europa Verschleppten wie Angelo Soliman und Ignatius Fortuna wurden christlich getauft und erhielten von ihren Herren neue Familien- und Rufnamen. Nur diese sind üblicherweise überliefert. Ob die Betroffenen, die oft schon im Kindesalter verschleppt worden sind, um ihre ursprünglichen Namen wussten, ist nicht bekannt. Auch im Einzelfall lassen sich die Namen aus der afrikanischen Heimat nur schwer ermitteln. Sinn und Zweck mag mit Sicherheit gewesen sein, den afrikanischen Diener nach Gutdünken nicht nur mit prächtig-bunter Uniform auszustaffieren, um dem Wunsch nach Exotik zu entsprechen, sondern ihn sich über den neuen Namen zusätzlich zu Eigen zu machen. Für die Betroffenen bedeutete dies, dass die Brücken in die alte Heimat, und sei es auch nur die Verbindung über den Namen, abgebrochen wurde. Dieser Bruch wirkt bis heute nach. So zeigt sich in der Befassung mit dem Thema die Schwierigkeit, nicht nur den ursprünglichen Namen, sondern in manchen Fällen auch die tatsächliche Herkunftsregion des Einzelnen zu ermitteln.

Der Fall von Angelo Soliman steht stellvertretend für die ambivalente Haltung gegenüber den “Hofmohren”. Soliman war hoch gebildet, allgemein geachtet, gern gesehen im Umgang mit den gekrönten Häuptern und Fürsten Europas – doch hinderte dies den Kaiser in Wien nicht daran, ihn nach seinem Tode präparieren und ausstopfen zu lassen, um ihn im kaiserlichen Naturalienkabinett, halbnackt, mit Federn und Muschelketten geschmückt zwischen Tierpräparaten auszustellen. Auf der einen Seite war Soliman der kultivierte, gebildete Diener, der sich in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen bewegte. Auf der anderen Seite wurde er nach seinem Tod präpariert und ausgestopft wie eine Jagdtrophäe in einer seiner Person nicht entsprechenden Verkleidung als unzivilisierter Wilder – die Rückverwandlung eines Menschen zum Objekt, als das er nach Europa verschleppt worden war. Trotz der Proteste seiner Angehörigen, die ein christliches Begräbnis für Soliman forderten, wurde sein präparierter Leichnam weiter im Naturalienkabinett belassen.

Anmerkung:

*Die Begriffe “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

**Der schockierende Begriff “ausgestopft” wurde bewusst verwendet, da er der Behandlung des Leichnams nach Art einer Tierpräparation entspricht und so den menschenunwürdigen Umgang sprachlich verdeutlicht.

Illustrationen aus Wikimedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Diener#/media/Datei:Heinrich_Carl_Schimmelmann_1773.jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2b/Christian_VI_med_tjener.jpg