#NoCovid: Eine australische Corona-Strategie findet ihren Weg nach Deutschland

Wie müde sind wir alle von diesem Winter-Lockdown! Und doch befindet sich Deutschland trotz momentaner Besserung der Coronalage schon wieder am Beginn einer dritten, diesmal von neuen Virusmutationen getriebenen COVID-19-Welle, die es abzufangen gilt. Statt ersehnter Lockerungen stehen uns also weitere Wochen der landesweiten Kontaktbeschränkungen bevor. Doch geht es auch anders? NoCovid heißt eine alternative Strategie, die auf regional begrenzte Corona-befreite „Grüne Zonen“ setzt. Mit ihr soll auf der Ebene der Städte und Landkreise ein nachhaltiger Weg aus dem Lockdown-Jojo gefunden werden, das wir nun seit Monaten erleben. Aber welche Köpfe stecken eigentlich hinter diesem neuen Masterplan? Was bedeutet er konkret? Und kann NoCovid überhaupt im dicht bevölkerten Mitteleuropa funktionieren?

Deutschland Ende Februar 2021: Wenngleich die Vorfrühlingssonne seit Tagen das Land verwöhnt, bleiben die Aussichten für die kommenden Monate trübe. Ein Jahr hat die COVID-19-Pandemie das Land schon im Griff, und aufgrund des Schneckentempos bei der Ende Dezember begonnenen Corona-Impfkampagne wird sich daran 2021 wohl nur sehr langsam etwas ändern.

Harter Shutdown, Sommerfreiheiten und verpatzter Lockdown 2 – ein wechselvolles Jahr der Corona-Bekämpfung im Rückblick

Dabei war doch die erste Corona-Welle im vergangenen Frühjahr mit einem harten Shutdown kurz und erfolgreich bekämpft worden. Und darauf folgte ein halbwegs erträglicher Sommer mit einer relativ geringen Virusverbreitung – unter Maßgabe von Abstands- und Hygieneregeln konnte sich das öffentliche Leben so zwischen Juni und September zu einem Gutteil wieder normalisieren. Doch als im Herbst, wie von Epidemiologen vorhergesagt, die Zahl der Neuinfektionen wieder stieg, missriet die Bekämpfung der zweiten Corona-Welle. Erst warteten die politisch Verantwortlichen zu lange damit, Kontakteinschränkungen zu verhängen. Dann wurden – was sich im Nachhinein als der verhängnisvollste Fehler des Jahres herausstelle – zu spät die nur unzureichend wirksamen Maßnahmen des „Lockdown light“ zum „Lockdown 2“ verschärft. So stieg die Infektionsrate im Dezember bis auf eine landesweite Inzidenz von beinahe 200. Fast 60.000 Menschen fielen der in dieser Schwere eigentlich für Deutschland vermeidbar gewesenen zweiten Corona-Welle zum Opfer.

Nach mehr als zwei Monaten im „Lockdown 2“ hat sich die Verbreitung von COVID-19 inzwischen zum Glück wieder verringert. Mit durchschnittlich knapp 8000 Neuinfektionen pro Tag und einem Inzidenzwert von 67 liegen die Zahlen aber noch deutlich über der angestrebten Marke:[1] Die Regierenden in Bund und Ländern hatten zunächst als Zielwert eine Inzidenz von 50 erkoren, dann aber auf der vorletzten Ministerpräsidentenkonferenz auf 35 abgesenkt. Eine Zahl von wöchentlich maximal 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner ist als Schwellenwert auch in dem 2020 geänderten Bundesinfektionsschutzgesetz enthalten, wobei diese Festsetzung nicht unumstritten ist. Denn von Experten wird bezweifelt, dass eine vollständige Rückverfolgung von Infektionsketten bei einer so hohen Inzidenz möglich ist.[2]

Verfrühte Lockerungen trotz erhöhter Inzidenzen: Lockdownmüdigkeit und Nervenflattern

Die Verschärfung des Ziel-Inzidenzwerts auf 35 hat mit der geänderten Gefahrenlage zu tun, die sich aus der Verbreitung von neuen, aus Großbritannien und Südafrika direkt oder über Nachbarländer nach Deutschland eingeschleppten Virusmutationen ergibt. Denn der Ansteckungsgrad der fraglichen Mutationen B.1.1.7 und B.1.351 wird im Vergleich zum bislang noch in Deutschland vorherrschenden Wildtyp von SARS-CoV-2 als höher eingestuft. Nachdem der rückläufige Trend bei den täglichen Neuinfektionszahlen zum Stillstand gekommen ist und sich sogar wieder ins Gegenteil zu verkehren beginnt, wächst die Sorge vor einer neuen, nun vor allem von der britischen Mutation getriebenen Corona-Welle.

Insofern muss es erstaunen, dass ungeachtet dessen Forderungen nach Lockerungen des „Lockdowns 2“ die Debatten weiter bestimmen. Erste Schritte waren bereits auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz verabredet worden: Zunächst wurden in fast allen Bundesländern die Grundschulen und Kitas vollständig oder mit verkleinerten Gruppen im Wechselbetrieb geöffnet. Morgen, am 1. März, werden dann bundesweit Friseursalons wieder öffnen. Vor der nächsten, eigentlich für die Koordinierung weiterer Schritte vorgesehenen Bund-Länder-Runde in der kommenden Woche preschen nun einige Ministerpräsident:innen mit weiteren Lockerungen vor: Unterricht für Abschlussklassen, Öffnung von Kosmetik- und Nagelstudios, von Blumenläden, Garten- oder Baumärkte, von Zoos oder Museen sowie die Zulassung von Freischankflächen – vieles ist im Gespräch, anderes regional schon in die Wege geleitet.[3] Irritierend daran ist, dass das reale Infektionsgeschehen vor Ort nicht immer das entscheidende Kriterium zu sein scheint, sondern eher das Nervenflattern der Länderchefs. So öffneten ausgerechnet zwei Bundesländer mit überdurchschnittlich hohen Inzidenzwerten mit als Erste ihre Grundschulen für den Vollbetrieb: Sachsen (Inzidenz: 90) und Thüringen, mit 129 republikweiter Inzidenz-Spitzenreiter.

Vorbild Österreich? Pandemiepopulismus nach Art des Sebastian Kurz

Freilich ist die in der Bevölkerung wie unter den Regierenden um sich greifende Lockdownmüdigkeit nach den monatelangen Kontakteinschränkungen verständlich. Fatal wäre es jedoch, wenn das derzeitige Motivationstief dazu führen würde, dem in die dritte Welle startenden Virus freien Lauf zu lassen. Rechte Populisten – Trump und Bolsonaro – waren die ersten, die sich letztes Jahr diese Politstrategie zu Eigen gemacht haben. „Mit dem Virus leben“ wurde gerne als Überschrift dafür gewählt, wenngleich es ehrlicherweise „Mit dem Virus leben und sterben“ hätte heißen müssen. Verantwortungsloser Pandemiepopulismus, der mit dem Leben der Risikogruppen Roulette spielt, findet sich aber auch bei Rechtsliberalen oder Sozialdemokraten, wie die Beispiele der Niederlande und Schwedens gezeigt haben. Aktuell wandelt ein junger Shootingstar der konservativen Mitte, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, auf diesem bequem erscheinenden Pfad: Dass bei Inzidenzen von über 100 schon Anfang Februar wieder Schluss mit dem Winter-Lockdown der Alpenrepublik war, begründete Kurz mit dem wachsenden Unmut in der Bevölkerung: “Egal, ob in Österreich oder in Deutschland oder anderswo in Europa: Jedem reicht’s schon langsam.” Und den inzwischen gemessenen Anstieg der Neuinfektionen (aktuelle Inzidenz: 156) versucht Kurz folgendermaßen schönzureden: Immerhin sei die Zunahme doch „langsamer als zum Beispiel in Irland oder Portugal, wo die Zahlen ja explosionsartig gestiegen sind.“[4]

Derartigen Pandemiepopulismus wird man Angela Merkel nicht vorwerfen können. Die Kanzlerin möchte möglichst keine weiteren Lockerungen zulassen, bis eine ausreichende Eindämmung des Infektionsgeschehens erreicht ist. Fraglich ist nur, ob sich dieser Kurs, der im Januar unter dem Eindruck von täglich tausend Coronatoten Konsens war, immer noch durchsetzen lässt. Denn zweifellos kann wirksamer Seuchenschutz in einer Demokratie nur schwer gegen den erklärten Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgedrückt werden.

Vorbild Australien: Ist die Zeit reif für einen Strategiewechsel in Deutschland?

Ein Ausweg aus dieser schwierigen Lage könnte ein mutiger Schritt sein, den Australien bereits im vergangenen Sommer gegangen ist: Der Strategiewechsel von der bloßen Eindämmung der massenhaften Verbreitung von SARS-CoV-2 zu seiner weitgehenden Eliminierung.[5] Es mag zunächst widersprüchlich klingen, ausgerechnet in der jetzigen Lage diese unter dem Twitter-Hashtag #NoCovid bekannt gewordene Strategie ins Spiel zu bringen. Doch eröffnet sie aufgrund ihrer Fokussierung auf Fortschritte in regionalen oder lokalen Einheiten eine Perspektive für eine nachhaltige Normalisierung des öffentlichen Lebens und damit für ein Ende des ermüdenden Lockdown-Jojos.

Während in Australien bereits bald nach der ersten Welle dieser Strategiewechsel vollzogen wurde, wird eine derartige Vorgehensweise in Europa erst seit Ende des vergangenen Jahres vermehrt diskutiert. Zwar war schon in den Monaten davor immer wieder über die Erfolge in der Pandemiebekämpfung berichtet worden, die Länder des Pazifikraums vorzuweisen haben. Zumeist richtete sich die Perspektive aber auf Südostasien und es überwog dabei der Tenor, dass Rezepte aus Staaten wie China, Taiwan oder Korea auf die Gegebenheiten in Europa schwer übertragbar seien.

Der alte Kontinent entdeckt pandemisch den Pazifik neu: der Aufruf im „Lancet“ vom 18.12.2020

Am 18. Dezember lancierten dann aber führende europäische Corona-Experten einen Aufruf, in dem sie unter dem Eindruck des Europa schwer beutelnden Corona-Winters einen radikalen Strategiewechsel bei der Bekämpfung der Pandemie nach Vorbild der Länder im Pazifikraum forderten. Von einer zwanzigköpfigen Autorengruppe, zu der die Physikerin Viola Priesemann, die Virologin Melanie Brinkmann und der am ifo-Institut forschende Makroökonom Andreas Peichl gehörten, wurde hierzu in der Medizinzeitschrift „The Lancet“ ein Papier unter der Überschrift „Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections“ verfasst, das über 300 Wissenschaftler:innen unterstützten. Ihren Namen unter den Aufruf setzten unter anderen der Charité-Virologe Christian Drosten, RKI-Präsident Lothar Wieler, der Soziologe Armin Nassehi, der Leiter des Ifo-Instituts Clemens Fuest, der System-Immunologe Michael Meyer-Hermann und der Medizinphysiker Matthias Schneider.[6] Gefordert wurde in dem Text eine nachhaltige Reduzierung der COVID-19-Fallzahlen in Europa. Aufgrund der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 reiche es nicht aus, sich vorrangig auf die Belastungsgrenzen der Gesundheitssysteme zu fokussieren. Vielmehr müsse zur Rückgewinnung der Kontrolle über die Virusverbreitung ein niedriger Grenzwert im Bereich einer Wocheninzidenz von nur zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner angestrebt werden.

Die Grundidee dieses Konzepts stammte dabei aus einem Lancet-Paper, das fünf Wochen zuvor unter Mitwirkung von Viola Priesemann erschienen war.[7] Darin wurde anhand von Großbritannien, das gerade von der zweiten COVID-19-Welle heimgesucht wurde, diskutiert, welche Bausteine für eine nachhaltige Pandemie-Strategie nötig sein, mithilfe derer dauerhaft die Kontrolle über das Infektionsgeschehen wiedererlangt werden könne.

Wesentliche Eckpunkte der NoCovid-Strategie waren so bereits Ende 2020 im „Lancet“ formuliert worden. Medienwirksam aufgegriffen wurden diese Ideen dann bereits am 12. Januar von einer Initiative, die sich für einen „solidarischen ZeroCovid-Strategiewechsel“ einsetzte und dafür mit einer europaweiten Online-Petition warb. Unter dem Slogan „#ZeroCovid“ fand sie auf der Plattform „WeAct“ rasch gut 100.000 Unterstützer. Die Autor:innen dieses Aufrufs, zu dessen Erstunterzeichnenden neben Beschäftigten des Gesundheitssektors auch prominenten Namen aus der Kultur, den Medien und den Hochschulen zählten, formulierten als Zielsetzung, „die Ansteckungen auf Null zu reduzieren“, wozu ein Shutdown als „solidarische Pause von einigen Wochen“ nötig sei. Im Anschluss daran müssten niedrige Fallzahlen „mit einer Kontrollstrategie stabil gehalten und lokale Ausbrüche sofort energisch eingedämmt werden“.[8]

#NoCovid will nicht #ZeroCovid sein: das Konzept der Wissenschaftlergruppe um Melanie Brinkmann und Clemens Fuest

Wenige Tage später meldete sich eine vierzehnköpfige Gruppe von Wissenschaftler:innen mit einem neuen Papier öffentlich zu Wort. Fünf von ihnen hatten bereits den Lancet-Aufruf vom 18.12. mitverfasst oder unterstützt, nämlich die Virologin Brinkmann, der System-Immunologe Meyer-Hermann, der Medizinphysiker Schneider sowie die ifo-Ökonomen Fuest und Peichl. Zusätzlich unterstützt wurden sie von weiteren Professor:innen anderer Fachrichtungen wie etwa dem Soziologen Heinz Bude, der Politologin Elvira Rosert oder dem Pädagogen Menno Baumann. Die 14 Wissenschaftler:innen versuchten sich bereits durch die Verwendung eines neuen Hashtags, nämlich #NoCovid, später noch ergänzt durch #YesToNoCovid, in den sozialen Medien von dem #ZeroCovid-Aufruf sprachlich deutlich abzugrenzen. Das hatte zum einen parteipolitische Gründe, da der #ZeroCovid-Aufruf überwiegend von linksorientierten Kräften unterstützt wurde, während die #NoCovid-Initiatoren lagerübergreifend Verbündete finden wollten. Zum anderen lehnten die #NoCovid-Autor:innen einen nochmaligen europaweiten harten Shutdown, wie er von #ZeroCovid gefordert wurde, aufgrund der hohen volkswirtschaftlichen Kosten ab.

Angelehnt an die praktischen Vorbilder in Australien und Neuseeland veröffentlichte die Autorengruppe um Melanie Brinkmann und Clemens Fuest so in zwei Schritten ihre Ideen zu einer #NoCovid-Strategie für Deutschland. Am 18. Januar publizierte sie zunächst ein Rahmenpapier unter dem Titel „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2“, dem am 10. Februar dann eine ausführlichere Darstellung von „Handlungsoptionen“ folgte.[9]

NoCovid basiert nicht auf der Ausrottung des Virus, sondern auf einer kontrollierbaren Niedriginzidenz

Dass die #NoCovid-Gruppe in ihrem Grundansatz mit der von ihnen kritisierten #ZeroCovid-Initiative durchaus kompatibel ist, zeigt sich allerdings bereits in der Formulierung ihres Kerngedankens:

„Unsere Strategie umfasst eine Abkehr von der bisher verfolgten Eindämmungsstrategie (“mit dem Virus leben”). Wir schlagen Ideen und Ansätze für eine proaktive lokale Eliminationsstrategie vor, die das Ziel einer nachhaltig niedrigen Inzidenz – im Idealfall null – verfolgt.“[10]

Als konkreten Inzidenz-Grenzwert greifen die Autor:innen dabei die Zahl auf, die schon in dem Lancet-Aufruf vom 18. Dezember genannt war, also maximal zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wöchentlich. Entscheidend sei aber vor allem, dass es zu keiner unkontrollierten Virenverbreitung mehr komme. Solange bei Neuinfektionen eine Nachverfolgung möglich bleibe und Infizierte sowie ihre Kontaktpersonen unter Quarantäne gestellt bzw. zügig getestet werden, gelten sie auch im NoCovid-Modell noch als unproblematisch. Es geht also nicht um eine Ausrottung des Virus, sondern um die Rückgewinnung der vollständigen Nachverfolgungsmöglichkeit, die nach Einschätzung der Wissenschaftlergruppe aber nur bei einem sehr niedrigen Inzidenzwert möglich ist.

Weitgehende Eliminierung des Virus in regional begrenzten Zonen: So könnte NoCovid praktisch vor Ort funktionieren

Eine Inzidenz von unter 10 bundesweit zu erreichen, erscheint allerdings schwierig, wenngleich die Sommermonate 2020 gezeigt haben, dass das nicht unmöglich ist. Jedoch geht es im NoCovid-Modell bei der Erreichung eines Zustands der weitgehenden SARS-CoV-2-Elimination nicht gleich um das ganze Land, sondern um kleinere politisch-geografisch zusammengehörende Zonen – für Deutschland bietet sich hierzu die Ebene von Landkreisen, größeren Städten oder Metropolregionen an. In jeder dieser Zonen soll zunächst das Inzidenzziel von 10  erreicht werden. Ist das geschafft, gilt eine Zone als „gelb“ und kann mit vorsichtigen Lockerungen von Kontakteinschränkungen beginnen.

Sofern dieser Zustand über zwei Wochen zu keinen COVID-19-Neuinfektionen unbekannten Ursprungs führt, wechselt der Status der Zone auf „grün“. Nun kann unter Maßgabe von verbesserten Schutzmaßnahmen (AHAL-Regeln sowie insbesondere intensivierte Testroutinen) das öffentliche Leben wieder schrittweise normalisiert werden – ähnlich, wie wir es im vergangenen Sommer erlebt haben.

Dithmarschen und Kaufbeuren wären die ersten Gelbe Zonen

Aktuell gäbe es in Deutschland allerdings nur zwei Kreise, die sich aufgrund von Inzidenzen unter 10 umgehend zur Gelben Zone erklären und mit vorsichtigen Lockerungen beginnen könnten: Dithmarschen an der Nordseeküste und Kaufbeuren in Bayerisch-Schwaben. Dazu kämen aber noch fünf weitere Kreise, die diesem Ziel bereits so nahe wären, dass es dort mit etwas zusätzlichem Einsatz schon binnen ein oder zwei Wochen erreichbar schiene, und zwar in Kaiserslautern (7-Tages-Inzidenz 11), Donau-Ries und Lüchow-Dannenberg (beide 12), Schweinfurt (15) sowie Kusel (19).[11]

Weitere Gebiete mit Inzidenzen im niedrigeren zweistelligen Bereich (unter dem Wert 35 liegen momentan 56 Kreise, viele davon im Süden der Republik) könnten es ebenfalls innerhalb von wenigen Wochen schaffen, nicht mehr als im Lockdown befindliche „rote Zone“ gelten zu müssen. Nötig wären hier vermehrte gemeinsame Anstrengungen zur Senkung des R-Wertes – dazu gehört neben Kontakteinschränkungen und einer konsequenten Umsetzung der AHAL-Regeln natürlich auch besonders effektive Test-, Tracing und Isolationsstrategien (TTI) sowie eine möglichst zügige Erhöhung der Impfrate.

Denn genau darauf zielt der NoCovid-Ansatz ab: Dass überschaubare regionale Einheiten ein klares Ziel vor Augen haben, um Bürger:innen und politisch Verantwortlichen verstärkt zu motivieren, alle verfügbaren Möglichkeiten zur Senkung und zur vollständigen Kontrolle des Neuinfektionsgeschehens zu ergreifen, bis der Status einer Grünen Zone erreicht ist.

NoCovid contra Sisyphos: die Kontrolle der Mobilität zwischen Roten und Grünen Zonen

Neben der Mobilisierung der Pandemiebekämpfung in regional überschaubare Einheiten ist die Kontrolle der Mobilität ein wesentlicher Bestanteil des NoCovid-Modells. Denn um die in einer Grünen Zone erreichte vollständige Kontrolle des Neuinfektionsgeschehens zu erhalten, gilt es zu vermeiden, dass infizierte Personen von außen das Virus wieder neu in die Grüne Zone einschleppen. Personenverkehr aus Roten Zonen hinein in Grüne Zonen kann deshalb nicht schrankenlos zugelassen werden – vor allem Tests, aber auch Quarantänemaßnahmen werden hier zur Kontrolle angewendet.

Sofern Grüne Zonen aneinandergrenzen, kann jedoch auf Mobilitätsbeschränkungen verzichtet werden. Damit ist ein Anreiz für Anstrengungen gegeben, den Bereich der Grünen Zonen schrittweise zu größeren zusammenhängenden Gebieten auszuweiten.

Dass derartige Mobilitätsbeschränkungen wirksam sein können, hat übrigens Mecklenburg-Vorpommern im September und Oktober 2020 einige Woche lang uns vorgeführt. Denn während die Inzidenzen deutschlandweit bereits Anfang September wieder spürbar zu steigen begannen, wurde im hohen Norden die 10er-Inzidenz erst Mitte Oktober überschritten – in den Küstenlandkreisen sogar noch später. Geholfen hatten hier offenbar auch die von der Landesregierung zeitweise verhängten Mobilitätsbeschränkungen und Beherbergungsverbote.

Pandemiebekämpfung mit Anreizen für die lokale Eigenverantwortlichkeit

Zusammengefasst ist NoCovid also ein Lösungsansatz für die Pandemiekrise, der statt einer Eindämmung durch landesweite „Lockdowns“ nun die weitgehende und nachhaltige Eliminierung des Virus mittels einer lokal koordinierten und differenzierten Zugriffsweise sowie durch eine Kontrolle der Mobilität zwischen Regionen mit unterschiedlich hohem Infektionsgeschehen erreichen möchte. Der Weg von der „Roten Zone“ zur „Grünen Zone“ erscheint hart, doch besteht danach die Aussicht, eine schrittweise Normalisierung des Lebens zumindest innerhalb der eigenen Zone wieder ermöglichen zu können – und das relativ unabhängig vom Seuchengeschehen anderswo in der Republik.

Sollte es in einer „Corona-befreiten“ Zone aber doch zu nicht mehr nachverfolgbaren Neuausbrüchen kommen, muss als Gegenmaßnahme örtlich begrenzt zügig reagiert werden („lokales Ausbruchsmanagment“[12]). Sofern ein intensiviertes TTI-Regime nicht mehr ausreicht, kann aber mit einem nur auf die betroffene Zone begrenzten Kurz-Lockdown, wie Beispiele in Australien gezeigt haben, die Situation rasch wieder unter Kontrolle gebracht werden, ohne dass deswegen die Nachbarregionen automatisch mitbeeinträchtigt werden.

Abschied vom Fokus auf die national gesteuerte Seucheneindämmung?

Von der Grundidee erscheint „NoCovid“ als ein bestechend einfaches Modell, das aber mit zwei in Europa vorherrschenden Vorstellungen der Pandemiebekämpfung bricht: Einerseits geht es nicht mehr nur um eine „Eindämmung“ des Virus, für die die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems eine maßgebliche Größe ist. Denn dafür ist COVID-19 schlicht zu gefährlich und entwickelt sich zu dynamisch. Andererseits setzt „NoCovid“ nicht mehr auf eine zentral gesteuerte, möglichst stark vereinheitlichte nationale Pandemiebekämpfung, sondern baut auf die Flexibilität und Eigenverantwortung von überschaubaren lokalen Einheiten.

In ihrem zweiten Papier hat die NoCovid-Autor:innengruppe verschiedene „Handlungsoptionen“ in vier „Toolboxen“ unter den Überschriften „Mit Grünen Zonen zu dauerhaften Lockerungen“, „No-COVID Partnership Europe“, „Test – Trace – Isolate (TTI)“ sowie „Wirtschaft und Arbeitsmarkt“ näher beschrieben. Dazu wurde die Veröffentlichung weiterer Papiere mit der Ausarbeitung zusätzlicher „Handlungsoptionen“ in einem Twitter-Account des NoCovid-Projekts angekündigt. Außerdem verweisen die 14 Wissenschaftler:innen darauf, dass für eine Umsetzung des Konzepts die Unterstützung von Experten aus Australien und Neuseeland bereitstehe.

NoCovid ohne Zonen? Die „Stufenpläne ohne Jojo-Effekt“

Neben den Autor:innen der beiden NoCovid-Papers hat sich in der vergangenen Woche noch eine weitere prominente Gruppe von sieben Wissenschaftler:innen mit einem ähnlichen Ansatz unter dem Titel „Stufenpläne ohne Jojo-Effekt“ zu Wort gemeldet. [13] Sechs von ihnen hatten bereits den Aufruf „Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections“ vom 18. Dezember unterstützt; Sandra Ciesek, Thomas Czypionka und Viola Priesemann waren sogar Mitautoren dieses Papiers gewesen. Auch diese Gruppe rät in ihrem Debattenbeitrag, zumindest „mittelfristig“ eine Inzidenz von 10 anzupeilen. Dazu warnt sie vor verfrühten Lockerungen und den Negativfolgen einer „Stagnation auf zu hohem Niveau“. Insgesamt schlagen Ciesek und ihre Kolleg:innen eine „Strategie einer lokalen, differenzierten Eindämmung vor, bei der man akzeptiert, dass es lokal zu kleinen Ausbrüchen kommen kann, die Inzidenz aber trotzdem konsequent gesenkt und niedrig gehalten wird.“ Trotz der Nähe zum NoCovid-Konzept fehlt allerdings ein direkter Verweis darauf. Ein wesentlicher Unterscheidungspunkt der „Stufenpläne ohne Jojo-Effekt“ zu #NoCovid ist der Verzicht auf ein regionales Zonenmodell mit Mobilitätsbeschränkungen. Offenbar ist das im Vergleich zu den beiden NoCovid-Texten wesentlich kürzere Papier, an dem auch der Münchner Soziologe Nassehi mitgewirkt hat, als Rahmenempfehlung an die Politik für die Gestaltung eines Stufenplans gedacht, der für die kommende Woche erwartet wird.

Viel mediale Aufmerksamkeit für #NoCovid, aber Zweifel an der Umsetzbarkeit

Darüber hinaus ist in den letzten Wochen eine Vielzahl an Medienbeiträgen über „NoCovid“ erschienen, wobei das Konzept häufig wohlwollend kommentiert wird, aber dennoch auf Zweifel hinsichtlich seiner Umsetzbarkeit stößt. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein inzwischen über 700.000 Mal abgerufenes YouTube-Video der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim. Unter dem Titel „Versöhnung“ stellt sie darin in wenigen Minuten die Grundideen der NoCovid-Strategie schlüssig dar, kommt aber am Ende doch zu einem eher resignativen Résumé: „Aber so emotional, so hitzköpfig, so feindselig, wie momentan diskutiert wird… Manchmal glaube ich, allein deswegen könnte No-Covid nicht funktionieren, weil die Strategie voraussetzt, dass wir alle an Bord sind.“[14]

Zwischen Zustimmung und Zaudern: Reaktionen aus der Politik

Nicht so viel anders wie Mai Thi Nguyen-Kim klang vor zweieinhalb Wochen auch der bayerische Ministerpräsident Söder. Im heute-journal erklärte er nach der letzten Bund-Länder-Konferenz, er „wäre schon ein Anhänger einer NoCovid-Strategie“, doch gebe es dafür keine ausreichende Zustimmung unter seinen Amtskolleg:innen.[15] In der Tat hat sich außer ihm bislang sonst kein anderer Länderchef für NoCovid ausgesprochen. Jedoch zeigte der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Ralph Brinkhaus bei der Bundestagsdebatte über die Beschlüsse der letzten MPK kürzlich Sympathien für eine Zielorientierung an der 10er-Inzidenz.[16] Ähnlich wie er haben auch andere Bundestagsabgeordneten Zustimmung zu Grundgedanken des NoCovid-Konzepts geäußert, so die Gesundheitsexperten von SPD und Grünen, Karl Lauterbach und Janosch Dahmen. Zu den erklärten Unterstützern der Idee zählt außerdem der bayerische Linken-Bundestagsabgeordnete Andreas Wagner.[17] Auf kommunaler Ebene sympathisieren zwei rheinländische Metropolenchefinnen öffentlich mit NoCovid: die den Grünen nahestehenden Oberbürgermeisterin von Köln, Henriette Reker[18] und ihre grüne Bonner Amtskollegin Katja Dörner.[19]

Wenngleich der Kreis der Unterstützer:innen aus der Politik für NoCovid noch recht überschaubar ist, finden sich so doch prominente Stimmen darunter. Aber auch wenn es hinter vorgehaltener Hand sogar im Kanzleramt Sympathien für diese Idee geben sollte (denn immerhin gehört NoCovid-Autorin Melanie Brinkmann zu den von Merkel regelmäßig zu Rate gezogenen Virologinnen), ist auf dem Bund-Länder-Gipfel der kommenden Woche hier wohl kein Durchbruch zu erwarten.

Eine Chance als regionaler Modellversuch?

Vielmehr scheint es am ehesten denkbar, dass NoCovid beispielhaft von einzelnen Regionen umgesetzt werden könnte. Hierzu bräuchte es als rechtlichen Rahmen aber zumindest die Zustimmung einer deutschen Landesregierung, denn nur so könnte wohl ein Modellversuch mit den notwendigen Sonderbestimmungen vor Ort rechtssicher starten. Angesichts des öffentlichen Votums von Reker und Dörner würde sich als Erstes die Metropolregion Köln/Bonn anbieten, doch steht dem der Lockerungskurs der schwarz-gelben NRW-Landesregierung entgegen.[20]

Erinnern wir uns aber zurück an den Anfang der Corona-Krise im vergangenen März. Da war es Markus Söder, der in Bayern mit der Verhängung eines Lockdowns vorpreschte und so den zögernden Armin Laschet als Wortführer der Bremser allzu strenger Kontakteinschränkungen zum Einlenken zwang. Damit legte Söder den Grundstein für seinen demoskopischen Höhenflug in bis dato ungeahnte Beliebtheitswerte. Bis jetzt ist es sein Erfolgsrezept geblieben, sich im Rennen um die Unions-Kanzlerkandidatur als Gegenpol zu Laschet darzustellen. Was könnte da für den bayerischen Ministerpräsidenten eigentlich näher liegen, als unter seiner Schirmherrschaft einen NoCovid-Modell-Versuch in geeigneten Niedriginzidenz-Landkreisen alsbald zu starten?

Anmerkungen:

[1] Die in diesem Beitrag genannten Zahlen zu COVID-19 sind, soweit nicht anders vermerkt, sämtlich aus dem Coronavirus-Monitor der Berliner Morgenpost entnommen (Stand 28.2.2021, 15 Uhr): https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit. Als Datenquelle werden hier angegeben: Johns Hopkins University CSSE (internationale Daten von WHO, CDC (USA), ECDC (Europa), NHC, DXY (China), Risklayer/Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Meldungen der französischen Ämter und der deutschen Behörden (RKI sowie Landes- und Kreisgesundheitsbehörden).

[2] Vgl. Neue deutsche Schwelle, in: Süddeutsche Zeitung 17.2.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-inzidenz-schwellenwerte-50-35-1.5208343.

[3] Mecklenburg-Vorpommern öffnet Gartencenter, Zoos und Nagelstudios, in: Der Spiegel 25.2.2021, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mecklenburg-vorpommern-oeffnet-wieder-baumaerkte-zoos-und-nagelstudios-a-8012c41c-3a61-437a-bb27-73d780c31b49#ref=rss?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ; Söder, der Getriebene, in: Süddeutsche Zeitung 27.2.2021, https://www.sueddeutsche.de/bayern/soeder-corona-oeffnungen-1.5219258.

[4] Kurz erklärt Ausstieg: “Lockdown hat nach sechs Wochen seine Wirkung verloren”, in: Focus 25.2021, https://www.focus.de/politik/ausland/setzt-auf-massentests-kurz-erklaert-ausstieg-lockdown-hat-nach-sechs-wochen-seine-wirkung-verloren_id_13018988.html.

[5] Vgl. hierzu das Zeit-Interview mit dem australische Gesundheitsökonom Stephen Duckett: “Fangt einfach an”, in: Die Zeit 25.2.2021, https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2021-02/nocovid-australien-corona-strategie-deutschland-stephen-duckett.

[6] Viola Priesemann u.a., Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections, in: The Lancelet 18.12.2020, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)32625-8/fulltext.

[7] Deepti Gurdasani u.a.: The UK needs a sustainable strategy for COVID-19, in: The Lancelet 9.11.2020, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32350-3.

[8] „#ZeroCovid. Das Ziel heißt Null Infektionen! Für einen solidarischen europäischen Shutdown“, Online-Aufruf vom 12.1.2021, https://zero-covid.org/.

[9] Menno Baumann u.a., Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2, Online-Publikationen vom 18.1.2021 (Rahmenpapier) u. 10.2.2021 (Handlungsoptionen), https://nocovid-europe.eu/assets/doc/nocovid_rahmenpapier.pdf u. https://nocovid-europe.eu/assets/doc/nocovid_handlungsoptionen.pdf.

[10] Ebd., Handlungsoptionen, S. 2.

[11] Inzidenzwerte zu Stadt- und Landkreisen in diesem Absatz entsprechend den Angaben der Webseite „Risklayer“ vom 28.2.2021 (Stand 17.30 Uhr), https://www.risklayer-explorer.com/event/100/detail.

[12] Menno Baumann u.a., Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2, Online-Publikationen vom 10.2.2021 (Handlungsoptionen), https://nocovid-europe.eu/assets/doc/nocovid_handlungsoptionen.pdf, S. 2.

[13] Sandra Ciesek u.a., Stufenpläne ohne Jojo-Effekt, Online-Publikation vom 19.2.2021, https://www.mpg.de/16463455/strategie-corona-covid-19; leicht geändert und gekürzt erschien der Text unter der Überschrift „Eine Perspektive ohne Auf und Ab“ bereits zwei Tage zuvor als Gastbeitrag in der „Zeit“: https://www.zeit.de/2021/08/corona-strategie-lockdown-stufenplan-wissenschaftler-lockerungen/komplettansicht.

[14] maiLab (d.i. Mai Thi Nguyen-Kim), Versöhnung, https://www.youtube.com/watch?v=bE315x4Vbf0 (25.2.2021).

[15] “Können dann die Zeitpläne etablieren”, https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/koennen-dann-die-zeitplaene-etablieren-100.html (10.2.2021); Söder will „No-Covid“-Strategie mit neuer Ampel für Bayern – doch der Widerstand ist zu groß, in: Münchner Merkur 18.2.2021 (aktualisierte Fassung), https://www.merkur.de/politik/soeder-coronavirus-ampel-bayern-no-covid-strategie-ueberblick-90201317.html.

[16] Einer erklärt’s der Regierung, in: Der Spiegel 11.2.2021, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-und-ralph-brinkhaus-zur-corona-politik-einer-erklaert-s-der-regierung-a-249b34cb-9441-4700-a7fb-192b05a499b6.

[17] Brief an Ministerpräsident Söder: MdB Wagner wirbt für No-Covid-Strategie, https://andreaswagner.die-linke-bayern.de/nc/im-bundestag/reden/detail/news/offener-brief-an-ministerpraesident-soeder-mdb-andreas-wagner-fordert-mehr-busse-fuer-schuelerbefoer/(8.2.2021).

[18] Oberbürgermeisterin Henriette Reker befürwortet No-Covid-Strategie, https://www.koeln.de/koeln/nachrichten/lokales/koelns-oberbuergermeisterin-henriette-reker-befuerwortet-no-covid-strategie_1168096.html (17.2.2021).

[19] Bonner OB Dörner unterstützt „No-Covid-Strategie“, in: Generalanzeiger 17.2.2021, https://ga.de/bonn/stadt-bonn/bonn-ob-doerner-unterstuetzt-no-covid-strategie_aid-56317457?utm_source=twitter&utm_medium=referral&utm_campaign=share.

[20] Corona in NRW: Konkreter Zeitplan für Lockerungen liegt schon vor, in: Westfälischer Anzeiger 27.2.2021, https://www.wa.de/nordrhein-westfalen/corona-nrw-lockdown-lockerungen-handel-sport-kultur-armin-laschet-christof-rasche-90218993.html.

Für ihre bewährte Korrekturhilfe als Blogartikel-Erstleserin danke ich Anja Müller (München).

Martin Dibobe – vom Häuptlingssohn zum Zugführer

1896, im Schicksalsjahr von Martin Dibobes Leben, war seine Heimat Kamerun seit zwölf Jahren deutsche Kolonie. Reichskanzler Bismarck hatte im März 1884 das Gebiet im Knie von Afrika zum Protektorat erklärt und den Afrikaforscher und bisherigen deutschen Generalkonsul in Tunis, Gustav Nachtigal, zum kaiserlichen Kommissar für die Westküste Afrikas bestimmt. Im Juli 1884 traf Nachtigal mit einer Delegation in Duala ein und unterzeichnete mit den Führern der Duálá und Ngand’a Kwa “Schutzverträge”. Am 14. Juli wurde die deutsche Flagge gehisst und die “Schutzherrschaft” über das Gebiet erklärt. Fünf Tage später traf der britische Konsul Hewett in Duala ein, der den gleichen Plan verfolgte – die Deutschen waren ihm zuvorgekommen. Es folgte nun in mehreren Stufen die Festigung der deutschen Vormacht, d.h. die Unterwerfung der Kolonie.

Von Kamerun nach Berlin

Im Sommer 1896 wurde eine Gruppe von etwa hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Berlin gebracht, unter ihnen Quane a Dibobe, der Sohn eines Häuptlings der Duálá, den Missionare auf den Namen Martin Dibobe getauft hatten. Sechs Monate lang stellten er und die anderen Afrikaner im Rahmen einer “Völkerschau” der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ dar – oder zumindest das, was sich die Kolonialherren darunter vorstellten. In derartigen Völkerschauen wurden oft Frauen, Männer und Kinder aus aller Welt in als typisch erachteter Landestracht vor Nachbauten von Hütten aus ihrer Heimat präsentiert. Wie in einem Art Menschenzoo waren sie „Ausstellungsstücke”, lebende Exponate, und wurden entsprechend unmenschlich behandelt. An der Berliner Charité waren besonders die Rassekundler an den Afrikanern der Völkerschau im Treptower Park interessiert. Sie führten Experimente und Messungen an den Männern durch. Dibobe weigerte sich zunächst, wurde dann jedoch verpflichtet, an den Untersuchungen teilzunehmen.

Ausbildung und Karriere

Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Berlin, nahm eine Schlosserlehre auf und arbeitete u.a. bei Siemens. 1900 verlobte er sich mit der Tochter seines Vermieters. 1902 heirateten die beiden – in der damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Der Ehe voraus ging ein Irrweg durch die deutschen Verwaltungsinstanzen, vom Standesamt über das Kolonialamt bis zum Auswärtigen Amt. Alle Stellen verweigerten dem Paar die Genehmigung zur Eheschließung. Zum Schluss schaltete sich die Basler Mission in Kamerun ein. Mit der Beglaubigung seiner Identität durch den Pastor, der Dibobe als Kind getauft hatte, war der Weg zur Eheschließung endlich frei. Im selben Jahr trat der Frischvermählte eine Stelle bei der Berliner Hochbahn an. Er wurde zunächst Zugabfertiger, zuletzt Zugführer der U1, der ersten U-Bahn im Kaiserreich, und eine Art lokale Berühmtheit.

Martin Dibobe 1902 als Zugführer

Martin Dibobe, 1902

Dibobe und die Politik

In Berlin wurde Dibobe politisch aktiv. Er sympathisierte mit den Sozialdemokraten und setzte sich für die Gleichberechtigung von Afrikanern in Deutschland ein. 1907 besuchte er seine Heimat, half beim Bau einer Bahntrasse im Norden Kameruns und berichtete seinen Landsleuten von Sozialismus und Selbstbestimmung. Im Sommer 1919 reichte Dibobe gemeinsam mit siebzehn anderen aus den deutschen Kolonien stammenden in Deutschland lebenden Afrikanern eine Petition bei Reichskanzler Friedrich Ebert, der Nationalversammlung und dem Reichskolonialamt ein. Darin forderten die Unterzeichner den Verbleib der Kolonien unter deutscher Herrschaft, aber zugleich die Selbständigkeit und Gleichberechtigung der Afrikaner, sowie das Ende von Prügelstrafen, Zwangsarbeit und Misshandlungen. Die Petenten wollten außerdem gerechte Löhne, Schulpflicht und das Recht zum Studium sowie die Zulassung der Ehe zwischen Eingeborenen und Weißen erreichen. Kurzum: Es ging ihnen um gleiche Rechte für Deutsche und Afrikaner in Deutschland und in Übersee. Auch sollte es dem Papier zufolge einen ständigen Vertreter der Afrikaner im deutschen Parlament geben; als Repräsentant im Reichstag wurde auch gleich Martin Dibobe vorgeschlagen. Doch der Protest lief ins Leere, die Petenten erhielten noch nicht einmal eine Antwort. Nach dem Frieden von Versailles verlor Deutschland die Kolonien an Frankreich und Großbritannien, die 32 Forderungen der Dibobe-Petition wurden nicht erfüllt.

1919 verlor Dibobe seine Anstellung bei der U-Bahn. Die Teilnahme an einer Arbeiterdemonstration hat ihn womöglich die Stellung gekostet. Als er 1922 mit seiner Familie nach Afrika zurückkehren wollte, verhinderte die inzwischen an Frankreich übergegangene Kolonialverwaltung seine Einreise. Man fürchtete, er würde einen pro-deutschen Aufstand anzetteln. Dibobe reiste daraufhin nach Liberia. Hier verliert sich seine Spur. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

Seit Oktober 2016 erinnert eine Gedenktafel am Haus in der Kuglerstraße 44 in Berlin-Prenzlauer Berg an Martin Dibobe, der hier 1918 gewohnt hat. Im Treppenhaus-Rondell des U-Bahnhofs “Hallesches Tor” in Berlin ist ein Foto von Martin Dibobe zusammen mit anderen historischen Fotos zu sehen.

Illustrationen aus Wikimedia:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/9/9a/Martin_Dibobe_Zugführer_1902.jpg

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Berliner_Gedenktafel_Kuglerstr_44_(Prenz)_Martin_Dibobe.jpg

 

Jens Spahn oder: Die Unfähigkeit, Fehler ehrlich einzugestehen

Dass im deutschen Corona-Herbst 2020 verhängnisvolle Fehlentscheidungen getroffen wurden, haben inzwischen einige Politiker offen eingeräumt. Nicht alle beherzigen aber die Grundregel, dass solche Eingeständnisse nur dann glaubwürdig sind, wenn sie die falschen Entscheidungen auch ehrlich und ungeschönt benennen. Wer dazu nicht fähig ist und in der Retrospektive die Umstände lieber schönt oder gar anderen einen Teil der Schuld zuschiebt, sollte besser schweigen.

Si tacuisses…

Nicht geschwiegen hat nun aber schon zum zweiten Mal Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister hatte zunächst am 24. Januar 2021 in einem Interview der „Bild am Sonntag“ erklärt, dass es wichtig sei über „Fehler und Versäumnisse reden“ zu können – allerdings nur mit Einschränkungen, nämlich „ohne dass es unerbittlich wird. Ohne dass es nur noch darum geht, Schuld auf andere abzuladen.“ Sein Eingeständnis formulierte er dann aber in der Wir-Form und lud so verbal einfach einen Teil seiner Schuld bei uns allen ab:

„Wir hatten alle zusammen das trügerische Gefühl, dass wir das Virus gut im Griff hätten. Die Wucht, mit der Corona zurückkommen könnte, ahnten wir, wollten es aber in großer Mehrheit so nicht wahrhaben. […] Wir haben dem Virus zu viel Raum gelassen. Wir hätten schon im Oktober bei geringeren Infektionen härtere Maßnahmen ergreifen müssen.“[1]

Dass aber gar nicht alle zusammen als großes „Wir“ im Oktober 2020 in das Lockdown-Light-Horn gestoßen hatten, verschwieg Spahn.

Spahns Doppelfehler

Diese Woche sprach Spahn in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nochmals über die Fehler im Herbst. Allerdings ging er geschickter vor. Eingangs verwendete er erneut das gesamtgesellschaftliche Schuldverschiebungs-„Wir“. Sodann überdramatisierte er die Situation und drehte noch ein wenig an der Ereignis-Chronologie zu seinen Gunsten herum:

„Wir alle haben doch gehofft, dass die zweite Welle an uns vorbeigeht. Das ist menschlich. Hätte man früher auf die zweite Welle reagieren müssen? Wahrscheinlich ja. […] In der Rückschau sagt sich das immer leichter. Aus der Perspektive von damals muss man ja gleichzeitig fragen: Um welchen Preis? Welche Folgen hätte ein früherer Lockdown in anderen gesellschaftlichen Bereichen gehabt? Wer hätte akzeptiert, wenn wir im September, bei niedrigen Infektionszahlen, harte Einschnitte gefordert hätten?“[2]

Trickreich, wer möchte Spahns rhetorischen Fragen schon widersprechen? Denn stimmt es nicht, dass im September 2020 kaum jemand einen harten Shutdown akzeptiert hätte? Die Wahrheit war nur, dass die Bundesregierung und die Länder es während der langsam wieder ansteigenden Inzidenzen im September bei bloßen Appellen beließen, anstatt wenigstens mit einem Teil-Lockdown gegen die schon absehbare zweite Welle gegenzusteuern. Maßnahmen begrenzter Kontakteinschränkungen hätten zwar keine Begeisterungsstürme ausgelöst, wären bei einem Gutteil der Bevölkerung aber durchaus auf Verständnis gestoßen.

Das wochenlange Zuschauen am Beginn der zweiten Corona-Welle war also der erste politische Fehler im Herbst, den Spahn hier verschweigt.[3]

Erst Ende Oktober kam es dann zum Bund-Länder-Beschluss des „Lockdown Light“. Diese Entscheidung war keineswegs unumstritten – mahnende Stimmen zweifelten an der Wirksamkeit derart begrenzter Einschränkungen der Kontakte. Aber doch gaben einige Experten der gewählten Light-Strategie eine Chance, als „Wellenbrecher“ wirken zu können.

Was nicht nur Spahn gerne verschweigt: Der schlimmste Fehler der politisch Verantwortlichen 2020

Den zweiten dicken Fehler machte die Bund-Länder-Runde am 25. November: Trotz mittlerweile erwiesener Wirkungslosigkeit wurde der Lockdown Light lediglich verlängert. Experten rieten Ende November überwiegend zur Verschärfung.[4] Wäre man diesem Rat gefolgt, hätte das die Dezemberwelle glimpflicher abgefangen und Zehntausenden Menschen das Leben gerettet. Denn erst im Laufe des Dezembers stieg die tägliche Zahl der Corona-Toten unerbittlich von unter 300 bis auf fast 1000 an. Bei einem deutschlandweit so stark grassierenden Corona-Virus mit Inzidenzwerten von zeitweise über 200 war es eben einfach nicht mehr möglich, die Risikogruppe der hilfsbedürftigen alten Menschen, die auf die Unterstützung durch andere im Alltag angewiesen sind und so ihre Außenkontakte nicht vollständig reduzieren können, noch ausreichend zu schützen.

Indem Spahn aber in dem SZ-Interview die Perspektive auf den Anfang der zweiten Welle verschob, konnte er den schwersten politischen Irrtum, den die Bundesregierung zusammen mit den Ländern zu verantworten hat, einfach verschweigen.

Die Unfähigkeit, aus den Fehlern des Herbstes 2020 zu lernen

Sicherlich ist Jens Spahn kein Einzelfall, wenn es um selbstgerechte Analysen und halbherzige oder halbwahre Fehlereingeständnisse geht – schlimmer noch trieb es bekanntlich im Dezember und Januar der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer mit seinen Fremdschuldzuweisungen für eigenes Versagen.[5] Jedoch sind solche Statements der Unbelehrbarkeit in der jetzigen Situation ein besonderes Ärgernis. Denn nur wenn man einen schonungslosen, wahrheitsgemäß Blick auf die eigenen Fehler zulässt, kann man aus ihnen etwas lernen. Halbwahrheiten verführen hingegen nur zu neuen Fehlschlüssen.

Gerade in der jetzigen Pandemiesituation wäre es dringend nötig, dass die Verantwortlichen in der Politik die richtigen Lehren aus den Versäumnissen des Jahres 2020 ziehen. Wir sollten angesichts einer sich aufbauenden neuen, von Corona-Mutationen beschleunigt angetriebenen Welle nun keineswegs uns mit einer begrenzten Eindämmung der Neuinfektionszahlen zufrieden geben. Die Situation ähnelt durchaus wieder der vom Frühherbst: Wir wissen an sich, dass eine Gefährdung bevorsteht, debattieren aber voreilig über neue Lockerungen statt über eine nachhaltige Absenkung der Infektionszahlen.

Doch nicht nur eine Analyse der Fehlentscheidungen während der im letzten Jahr angewandten Pandemie-Eindämmungspolitik ist jetzt gefordert, sondern auch ein Umdenken in der Bekämpfung von COVID-19. Wer den Pandemieverlauf in Deutschland im vergangenen Jahr kritisch Revue passieren lässt, wird zu dem Schluss kommen, dass die gewählte Strategie einer „Eindämmung des Virus“ nicht als Erfolg bezeichnet werden kann. Zwar wurde der Kollaps des Gesundheitssystems in Deutschland am Jahresende gerade noch vermieden. Aber die hohen Todeszahlen belegen, dass der Schutz der Risikogruppen, der schon in der ersten Welle die Achillesferse war, in der zweite Welle misslungen ist. Außerdem haben lange Teil-Lockdown-Zeiten das Land wirtschaftlich, finanziell und mental stark belastet, wobei die Lasten sehr ungleich verteilt waren.

Führende Wissenschaftler fordern deshalb schon seit November einen Strategiewechsel – weg von der bloßen Eindämmung, die in der Praxis zu Jojo-Effekten geführt hat, hin zu einer Strategie einer weitgehenden Eliminierung des Virus, bekannt geworden unter dem Twitter-Hashtag #NoCovid.[6]

Anmerkungen:

[1] https://www.bild.de/bild-plus/politik/2021/politik/spahn-unter-druck-wir-haben-dem-virus-zu-viel-raum-gelassen-75032808,view=conversionToLogin.bild.html;
ausführlicher dazu der letzte Corona-Beitrag in diesem Blog.

[2] “Hätte man früher auf die zweite Welle reagieren müssen? Wahrscheinlich ja”, in: SZ 14.2.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/jens-spahn-corona-grenzkontrollen-impfen-interview-1.5205856.

[3] Vgl. dazu den ersten Corona-Beitrag in diesem Blog.

[4] Vgl. den zweiten Corona-Beitrag in diesem Blog.

[5] Vgl. „Kretschmer: ‚Haben dieses Virus unterschätzt‘“, ZDFheute 2.12.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-sachsen-kretschmer-100.html; „Ministerpräsident Kretschmer räumt Fehler in Corona-Politik ein“, RND/dpa 8.1.2021, https://www.rnd.de/politik/corona-in-sachsen-michael-kretschmer-raumt-fehler-in-umgang-mit-pandemie-ein-VSFYEBNZT755FV3G3C32AY52YA.html.

[6] Vgl. dazu den jüngsten europaweiten Aufruf von Wissenschaftlern, der am 15.2.2021 auch in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde: „Wie wir ohne Covid-19 leben können“, https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/no-covid-coronavirus-strategie-impfung-zonen-1.5206829?utm_source=Twitter&utm_medium=twitterbot&utm_campaign=1.5206829.

Der “Mohr” – zur Problematik eines historischen Begriffs

Andere Zeiten, andere sprachliche Sitten – das gilt auch für Black History. Historische Begriffe wie „Kammermohr“ und „Hofmohr“ sind zunächst einmal sprachliche Kinder ihrer Zeit. Im 18. Jahrhundert sind sie in etwa so gebräuchlich wie „Beutetürke“ oder „Hoftürke“ für Gefangengenommene aus den Türkenkriegen. “Hoftürken” trugen ähnlich wie “Hofmohren” in europäischen Fürstenhäusern als Diener zum damals modischen exotischen Sujet bei. Keine dieser Bezeichnungen ist wertneutral.

Wenn nun hier in Beiträgen zur Black History afrikanischstämmige Kammerdiener oder Hofbeschäftigte in einer bestimmten Zeit behandelt werden, kommt man schlecht drum herum, die damals gängigen Bezeichnungen zu verwenden. Im Sinne der kritischen Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes erscheint es aber zwingend notwendig, sich die Herkunft dieser Begriffe bewusst zu machen. Dazu deshalb einige Bemerkungen in einem Begriffsexkurs zu der Black-History-Artikelserie dieses Blogs.

Herkunft des Begriffs

Der Begriff „Mohr“ leitet sich etymologisch vom griechischen „moros“ und dem lateinischen „maurus“ ab, aus dem im Althochdeutschen schließlich „mor“ und später „Mohr“ entstanden ist. Das lateinische „maurus“ steht zunächst für die Herkunft aus Mauretanien, später für „schwarz“, „dunkel“ und „afrikanisch“, das griechische „moros“ aus dem sich das lateinische “maurus” ableitet ebenfalls zunächst auf Mauretanien beziehend, später u.a. für „töricht“ und „dumm“. Der Begriff „Mohr“ ist daher vom Ursprung her eine Bezeichnung für eine aus einem bestimmten geografischen Zusammenhang stammende Gruppe, später jedoch zunehmend sowohl eine Beschreibung für dunkelhäutige Menschen, im weiteren Verlauf die für eine imaginierte Rasse. Eine Menschengruppe wird auf ihre Hautfarbe reduziert, bewertet und herabgewürdigt. Deshalb steht der Begriff im zeitlichen Zusammenhang des 18. Jahrhunderts nicht einfach für einen Schwarzen Diener, sondern für einen unterwürfigen, versklavten afrikanischen Hoflakaien.

Bedeutung im historischen Kontext

Betrachten wir nochmals näher die in der Blogartikelserie bisher beschriebenen Lakaien afrikanischer Herkunft. Hier ergibt sich ein durchaus ambivalentes Bild: Einerseits wurden sie durch die Bezeichnung „Kammer-“ oder „Hofmohr“ als unterwürfige, versklavte, afrikanische Diener gekennzeichnet. Der Subtext, der sich aus der aus dem Griechischen stammenden Bedeutung ableitet, deutet auf einen dummen, törichten Diener hin. Das beisst sich andererseits mit der ausgesprochen aufwendigen Ausbildung, die ihnen zuteil wurde. Schließlich sollten Hofmohren doch gerade auch durch ihre Bildung bestechen.

Hinzu kam die Aneignung des afrikanischen Dieners durch die Bestimmung seiner Kleidung, die Ausstaffierung mit einer exotisch-bunten Uniform. Dies symbolisierte eine Inbesitznahme der Person und verdeutlichte ihre Verfügbarkeit. Optisch hatte der “Hofmohr” dadurch zwar innerhalb der Dienerschaft eine hervorgehobene Sonderstellung, war aber zugleich auch abgesondert – Abgrenzung durch Hervorhebung. Die Wahl der Taufnahmen, zumeist in Anlehnung an den Namen des Dienstherren, stellt vor diesem Hintergrund eine weitere Form der Inbesitznahme der Person dar.

Angelo Soliman um 1750

Der Fall Soliman

Nehmen wir z.B. den im vorletzten Beitrag unserer Artikelserie thematisierten Fall des Angelo Soliman. Der zu seinen Lebzeiten aufgrund seiner Haltung und Bildung hoch angesehene und gerühmte Hofmohr Soliman war nach seinem Tode auf Geheiß des Kaisers präpariert und im Kaiserlichen Naturalienkabinett in Wien wie eine Jagdtrophäe ausgestopft worden. Man hatte ihn entkleidet, mit Ketten und Federn ausstaffiert, als „Wilden“ verkleidet und zwischen Tierpräparaten präsentiert.

Dies muss als der postume Versuch der erneuten Inbesitznahme der Person gewertet werden. Dem ehemaligen Sklave Soliman war es zu Lebzeiten gelungen, sich durch Bildung und Leistung aus seiner Position als Kammerdiener herauszuarbeiten. Als Prinzerzieher hatte er es zu einer hochangesehenen Persönlichkeit in Wien gebracht, pflegte mit hochadeligen und gekrönten Häuptern Europas Umgang und war zu guter Letzt von der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ in Wien aufgenommen worden.

Was anders als eine Negierung der Leistung zur Lebenszeit war es, wie mit dem Leichnam dieses angesehenen Höflings umgegangen wurde? Was anders als ein postumes Ausstoßen aus der höheren Gesellschaft Wiens war es, Soliman nach seinem Tod in einen „Wilden“ zu verwandeln und neben Tierpräparaten auszustellen? Auf die Emanzipation des lebenden folgte die Inbesitznahme des verstorbenen Soliman.

Aktuelle Auseinandersetzung

Während das „N“-Wort rassistisch ist und dies bereits seit Jahrzehnten auch in der breiten Gesellschaft erkannt wird, ist die Auseinandersetzung um den Begriff „Mohr“ zwar bereits seit Längerem im Gange, hat jedoch noch keinen Abschluss gefunden. Zu sehr wird mit zahlreichen Produkten, die mit dem Namen oder Konterfei eines „Mohren“ werben, etwas Positives verbunden. Zwar wird der Schoko- oder Schaumkuss schon längst nicht mehr „Negerkuss“ oder „Mohrenkopf“ genannt, doch fanden und finden sich noch zahlreiche “Mohren”-Abbildungen auf Produktverpackungen – so etwa der „Sarotti-Mohr“ (inzwischen der “Sarotti-Magier”) oder die Logos der Kaffeemarken Machwitz und Julius Meinl.

Dass inzwischen ein Umdenken stattfindet, zeigen Fälle von Umbenennungen. So wurde aus dem Augsburger Hotel „Drei Mohren“ das „Maximilian’s“. Die Berliner Mohrenstraße heißt seit August 2020 Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Sicher ist das erst ein Anfang, denn die Auseinandersetzungen an anderer Stelle sind noch in vollem Gange.

 

Illustration aus Wikimedia: 

Angelo Soliman: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angelo_Soliman.jpg?fbclid=IwAR1qrIKZnrIUb5dxiCs9gjtOXHHHMh3-GRoD9965e8UQuNLQuESIKM44icw

“Hofmohr” und preußischer Militär – zwei afrodeutsche Karrieren

August und Gustav Sabac el Cher

Zwei spannende, bis heute wenig bekannte afrodeutsche Biografien sind die von August Sabac el Cher, dem Leibdiener des preußischen Prinzen Albrecht und die von Augusts Sohn Gustav Sabac el Cher, einem afrodeutschen Militärmusiker der preußischen Armee.

Von Kairo nach Berlin

Beginnen wir mit August Sabac el Cher. Er stammte aus Ägypten, aus dem Gebiet des heutigen Sudan. Sein Vater, ein sudanesischer Scheich, war bei einem Aufstand gegen die Osmanen ums Leben gekommen. Die Mutter hatte daraufhin Suizid begangen. Der verwaiste Sohn wurde nach der Niederschlagung des Aufstandes verschleppt. Muhammad Ali Pascha, der Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, machte ihn Prinz Albrecht von Preußen bei dessen Besuch in Ägypten im März 1843 zum Geschenk. Das Verschenken von „Mohrenkindern“* als Diener war zur damaligen Zeit durchaus üblich. Ebenso war es gang und gäbe, dass die neuen Herren ihnen einen neuen Namen gaben. Prinz Albrecht wählte für den wohl erst sieben Jahre alten Jungen die einzige arabische Wendung, die ihm bekannt war: Sabac el Cher, was „Guten Morgen“ bedeutet.

Mit Prinz Albrecht gelangte der Junge nach Berlin. Er wurde beim Gesinde des Prinz-Albrecht-Palais untergebracht, wuchs im unmittelbaren Umfeld des preußischen Hofes auf, erhielt Unterricht in deutscher Sprache und christlicher Religion. Ab 1851 war er Kammerdiener und wurde als Lakai einem Offizianten unterstellt. Bei seiner Taufe im April 1852 erhielt er zusätzlich die Vornamen August Albrecht. Im weiteren Verlauf stieg er zum Leibdiener und schließlich zum Silberverwalter von Prinz Albrecht auf, reiste in dessen Gefolge durch Europa und begleitete ihn zu Militäreinsätzen, so u.a. bei einem Einsatz zur Unterstützung der russischen Armee im Kaukasus. Von der russischen Zarin erhielt er eine goldene Taschenuhr, die sich bis heute im Familienbesitz befindet.

1864 nahm August Sabac el Cher im Dienste der preußischen Armee am Deutsch-Dänischen Krieg teil und 1866 an der Schlacht von Königgrätz. Ein Jahr später heiratete er die Tochter eines wohlhabenden Berliner Textilkaufmanns. Sie bezogen eine Wohnung im Prinz-Albrecht-Paials, Wilhelmstraße 102 in Berlin – dem Stadtschloss, in dem siebzig Jahre später das Reichssicherheitshauptamt untergebracht werden sollte.1868 wurde der Sohn Gustav Sabac el Cher geboren. 1870 nahm August auch am Deutsch-Französischen Krieg teil, sechs Jahre später schied er dann aus dem Dienst bei Hofe aus. 1882 erhielt August Sabac el Cher die Naturalisationsurkunde und galt damit rechtlich als preußischer Bürger.

Gustav der Militärmusiker

Sein Sohn Gustav Sabac el Cher machte Karriere als Militärmusiker und Rundfunkdirigent. Mit 17 Jahren trat er in die Kapelle des Brandenburgischen Füsilier-Regiments Nr. 35 und damit in die preußische Armee ein. 1895 wurde er Dirigent beim Grenadier-Regiment „König Friedrich III.“ Nr. 1 in Königsberg, wo er zu einer stadtbekannten Persönlichkeit wurde. 1901 heiratete er die Tochter eines Lehrers. Aus der Ehe gingen die beiden Söhne Horst und Herbert hervor. Trotz seiner Militärmusikerlaufbahn war Gustav Sabac el Cher in mindestens einem Fall direkt mit Rassismus konfrontiert. Dagegen klagte er aber vor Gericht wegen Beleidigung und gewann den Prozess 1908.

Die „Deutsche Zeitung“ hatte im Oktober 1907 in einem Leitartikel die Frage erörtert, ob es angebracht sei, dass in der deutschen Armee Schwarze als Vorgesetzte dienten und diese Frage auch gleich mit einem entschiedenen „Nein“ beantwortet. In einer ebenfalls abgedruckten Stellungnahme des Redakteurs Erich Peterson wurde Sabac el Cher direkt angegriffen, als „Nigger“ bezeichnet, der mit seiner „eigentümlichen Art der Tanzbewegungen“ die deutsche Musik verhunze u.a.m.

Kronprinz von Massow, Kommandeur des Grenadierregiments, sprang Sabac el Cher zur Seite und erwirkte den Abdruck seiner Stellungnahme in der Zeitung. In ihr ergriff er für seinen Musiker Partei. Zugleich ging Sabac el Cher auf dem Weg der Privatklage gegen den Redakteur vor. Redakteur Peterson ruderte zwar in dem Gerichtsverfahren zurück und behauptete, er habe Sabac el Cher keineswegs persönlich angreifen oder beleidigen wollen. Das Urteil wurde 1908 aber zugunsten von Sabac el Cher gesprochen und Redakteur Peterson so wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Ein Jahr nach dieser Affäre, im Jahre 1909, quittierte Gustav Sabac el Cher den Dienst in der Armee und zog mit seiner Frau und den beiden Söhnen zurück nach Berlin. Er arbeitete fortan als Kapellmeister in verschiedenen Städten. Zur Zeit der Weimarer Republik war er als Dirigent bei einem Rundfunk-Orchester tätig.

Das Ende von Weimar und die Kameraden vom „Stahlhelm“

Ende der 1920er Jahre eröffnete Gustav Sabac el Cher in Königs-Wusterhausen eine gutgehende Gartenwirtschaft. Hier musizierte er häufig gemeinsam mit seinen Söhnen Horst und Herbert. Beide Söhne waren in die Fußstapfen des Vaters getreten, Horst als Pianist und Herbert als Violinist. Gustav war überzeugter Preuße und Offizier, identifizierte sich mit dem wilhelminischen Wertekanon. Regelmäßig waren seine Freunde und Kameraden vom „Stahlhelm“, dem „Bund der Frontsoldaten“ zu Gast. Längst schon hatte sich im Verband der Rassismus breit gemacht. Ob Gustav dies ausgeblendet hat oder noch immer der Korpsgeist seiner ehemaligen Kameraden überwog, ist nicht bekannt. Aber es scheint mindestens bemerkenswert.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten blieben die Gäste aus. Die Geschäfte liefen schlecht, die Gaststätte war nicht mehr zu halten. Ein daraufhin von Gustavs Familie in Berlin eröffnetes Kaffeehaus musste auf Druck der Behörden geschlossen werden. 1934 verstarb Gustav Sabac el Cher. Der im Exil lebende Kaiser Wilhelm II. übersandte ein Beileidstelegramm für den ehemaligen Dirigenten seines Königsberger Regiments.

Gustavs Frau starb ein Jahr später. Von Horst Sabac el Cher ist ein Foto überliefert, das ihn 1935 in der Uniform des Stahlhelms zeigt. Im Zweiten Weltkrieg diente er als Sanitäter bei der Wehrmacht und kam 1943 an der Ostfront um. Sein Bruder Herbert überlebte den Krieg. Der erste Sohn von Herbert Sabac el Cher, unehelich geboren, besuchte eine “Nationalpolitische Erziehungsanstalt”, kurz: “Napola“, eine NS-Eliteschule.

Anmerkung: 

*Die Begriffe “Mohrenkinder”, “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

Illustrationen aus Wikimedia: 

August Sabac el Cher: https://upload.wikimedia.org/…/August_Sabac_el_Cher…

Gustav Sabac el Cher: https://upload.wikimedia.org/…/e2/Gustav_Sabac_el_Cher.jpg

“Kammer-” oder “Hofmohr”

Adlige und kirchliche Würdenträger, die im 18. und auch noch bis Mitte des 19. Jahrhundert etwas auf sich hielten, zählten zu ihrem Gefolge nicht selten einen afrikanischen Diener. Der „Kammer-” oder „Hofmohr“* war ein exotisches Prestigeobjekt, das nach außen Luxus, Wohlstand, Exklusivität und Weltläufigkeit illustrieren sollte. Der Kammerdiener symbolisierte als exotischer Lakai die weltweiten Fernhandels- und Machtbeziehungen seines Eigentümers. Üblicherweise als Sklave nach Europa verschleppt oder Fürsten von orientalischen Herrschern zum Geschenk gemacht, wurden afrikanische Kinder an europäischen Höfen zu Dienern ausgebildet. Sie waren weiterhin unfrei und an ihren Herren gebunden, erhielten jedoch im Gegenzug üblicherweise eine umfangreiche Bildung und erlernten oft zahlreiche Fremdsprachen. So stiegen die als Sklaven verschleppten, an Fürstenhöfen bestens ausgebildeten afrikanischen Diener nicht selten in höchste Vertrauenspositionen auf.

Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann (links), König Christian VI. von Dänemark (rechts)

Bekannte Kammermohren waren Angelo Soliman, Ignatius Fortuna oder auch Abraham Petrowitsch Hannibal.

Angelo Soliman

Der aus Nigeria stammende Soliman war nach der Niederlage seines Stammes von den siegreichen afrikanischen Gegnern an europäische Sklavenhändler verkauft und über Umwege auf den alten Kontinent verschleppt worden. Seine Karriere als Kammerdiener begann er 1734 bei dem österreichischen Fürsten Johann Georg Christian von Lobkowitz. 1773 brachte er es schließlich zum Prinzerzieher bei Fürst Franz Josef von Liechtenstein. Soliman war als der „hochfürstliche Mohr“ und „Cammerdiener“ des Fürsten von Liechtenstein der wohl berühmteste Hofmohr Wiens und begleitete seinen Fürsten zu Audienzen und auf Feldzügen. Wie die meisten seiner afrikanischen Kollegen hatte er eine umfassende Bildung erhalten und sprach neben seiner Muttersprache auch Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Latein und Tschechisch. Er war durch sein angenehmes Auftreten bekannt und führte fast freundschaftliche Beziehungen zum Sohn Kaiser Josephs II. Dies hinderte diesen jedoch nicht dran, Soliman nach seinem Tod auf Wunsch des Kaisers präpariert und ausgestopft** im Naturalienkabinett zur Schau zu stellen.

Ignatius Fortuna

Ignatius Fortuna wurde vermutlich in Surinam geboren und war als Kind von einem Kaufmann aus Essen in das dortige Reichsstift gebracht worden. Dort wurde er christlich erzogen, getauft und an den geistlichen Landesherrn übergeben. Über Umwege  landete er schließlich bei der Essener Fürstäbtissin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach, wo er in eine Vertrauensstellung aufstieg (vgl. dazu die Illustration zu Beginn des vorangegangenen Blogbeitrags).

Abraham Petrowitsch Hannibal

Wie bei Ignatius Fortuna ist auch die Herkunft von Abraham Petrowitsch Hannibal nicht eindeutig belegt. Die Quellen nennen abweichend Eritrea und Kamerun als Herkunftsort. Anfang des 18. Jahrhunderts war er als Junge vom russischen Gesandten Graf Tolstoi  in Konstantinopel gekauft, später in den Dienst des russischen Zaren Peter I. getreten und begleitete diesen auf allen seinen Feldzügen. Auch Abraham wurde eine umfängliche Ausbildung ermöglicht. Mit zweiundzwanzig Jahren schickte man ihn nach Paris. Dort trat er in den Dienst der französischen Armee ein und wurde im Feldzug gegen Spanien im Jahre 1720 zum Leutnant befördert. Ferner besuchte er die Pariser Ingenieursschule und verließ sie im Rang eines Kapitäns. Schließlich kehrte er nach Russland zurück und diente als Leutnant in einem von Zar Peter I. befehligten Artillerieregiment. Er starb schließlich als Großgrundbesitzer in Russland.

Mensch und Objekt – die ambivalente Stellung der “Hofmohren”

Die nach Europa Verschleppten wie Angelo Soliman und Ignatius Fortuna wurden christlich getauft und erhielten von ihren Herren neue Familien- und Rufnamen. Nur diese sind üblicherweise überliefert. Ob die Betroffenen, die oft schon im Kindesalter verschleppt worden sind, um ihre ursprünglichen Namen wussten, ist nicht bekannt. Auch im Einzelfall lassen sich die Namen aus der afrikanischen Heimat nur schwer ermitteln. Sinn und Zweck mag mit Sicherheit gewesen sein, den afrikanischen Diener nach Gutdünken nicht nur mit prächtig-bunter Uniform auszustaffieren, um dem Wunsch nach Exotik zu entsprechen, sondern ihn sich über den neuen Namen zusätzlich zu Eigen zu machen. Für die Betroffenen bedeutete dies, dass die Brücken in die alte Heimat, und sei es auch nur die Verbindung über den Namen, abgebrochen wurde. Dieser Bruch wirkt bis heute nach. So zeigt sich in der Befassung mit dem Thema die Schwierigkeit, nicht nur den ursprünglichen Namen, sondern in manchen Fällen auch die tatsächliche Herkunftsregion des Einzelnen zu ermitteln.

Der Fall von Angelo Soliman steht stellvertretend für die ambivalente Haltung gegenüber den “Hofmohren”. Soliman war hoch gebildet, allgemein geachtet, gern gesehen im Umgang mit den gekrönten Häuptern und Fürsten Europas – doch hinderte dies den Kaiser in Wien nicht daran, ihn nach seinem Tode präparieren und ausstopfen zu lassen, um ihn im kaiserlichen Naturalienkabinett, halbnackt, mit Federn und Muschelketten geschmückt zwischen Tierpräparaten auszustellen. Auf der einen Seite war Soliman der kultivierte, gebildete Diener, der sich in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen bewegte. Auf der anderen Seite wurde er nach seinem Tod präpariert und ausgestopft wie eine Jagdtrophäe in einer seiner Person nicht entsprechenden Verkleidung als unzivilisierter Wilder – die Rückverwandlung eines Menschen zum Objekt, als das er nach Europa verschleppt worden war. Trotz der Proteste seiner Angehörigen, die ein christliches Begräbnis für Soliman forderten, wurde sein präparierter Leichnam weiter im Naturalienkabinett belassen.

Anmerkung:

*Die Begriffe “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

**Der schockierende Begriff “ausgestopft” wurde bewusst verwendet, da er der Behandlung des Leichnams nach Art einer Tierpräparation entspricht und so den menschenunwürdigen Umgang sprachlich verdeutlicht.

Illustrationen aus Wikimedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Diener#/media/Datei:Heinrich_Carl_Schimmelmann_1773.jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/2b/Christian_VI_med_tjener.jpg

Afrodeutsche Geschichte – verdrängt und ausgeblendet

Die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland und Europa ist zum Gutteil noch immer geprägt von der Kolonialgeschichte. Dabei hat die Perspektive in Deutschland eine Besonderheit nämlich die vergleichsweise kurze Kolonialgeschichte. Damit einher geht fast zwangsläufig die Wahrnehmung, dass Kolonialgeschichte und in diesem Zusammenhang nach Deutschland migrierte Afrikaner allein zahlenmäßig gar nicht so relevant gewesen seien und ihre Präsenz keinen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft gehabt haben könne. Eine kleine, kaum sichtbare Minderheit also.

“Kammermohr” Ignatius Fortuna mit Fürstin Franziska Christine von Pfalz-Sulzbach

Seit Jahrhunderten in Deutschland

Tatsächlich lebten Afrikaner und Afrodeutsche aber seit hunderten von Jahren in Deutschland und nicht erst seit Errichtung der deutschen Kolonien in Afrika 1884. Afrikaner gelangten Anfang des 18. Jahrhunderts als „Kammer-„ oder „Hofmohren“*

an die europäischen Fürstenhöfe. Prächtig ausstaffiert und umfassend gebildet dienten Kammermohren Herrschern, kirchlichen Würdenträgern und wohlhabenden Kaufleuten als exotisches Statussymbol. Da wäre Anton Wilhelm Amo (geb. ca. 1703, verst. Nach 1753) aus Ghana. Als Kind versklavt, von der Niederländisch-Westindischen Gesellschaft nach Amsterdam verschleppt und an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel verschenkt. Amo machte zunächst „Karriere“ als sogenannter „Kammermohr“, erhielt eine umfassende humanistische Ausbildung, studierte in Halle und Wittenberg Philosophie und Rechtswissenschaft, promovierte schließlich 1734 in Wittenberg und lehrte in Wittenberg und Jena.

Aus den Kolonien

Mit der Errichtung deutscher Kolonien kamen jedoch zum ersten Mal AfrikanerInnen in größerer Zahl nach Deutschland. Durch den Ausbau der Kolonialherrschaft entstand ein erhöhter Bedarf an Fachkräften für Verwaltung und Wirtschaft und so gelangten zahlreiche junge AfrikanerInnen zur Ausbildung nach Deutschland, besuchten deutsche

Askari, Deutsch-Ostafrika, beim Übungsschießen, ca. 1914-1918

Schulen, studierten an deutschen Universitäten, oder wurden an Missions- und Kolonialschulen ausgebildet als Handwerker, Facharbeiter oder Missionslehrer zum Einsatz in den deutschen Kolonien. Einige waren als Köche, Stewards oder Heizer der deutschen Schifffahrtslinie tätig, die zwischen Deutschland und den Kolonien verkehrte, arbeiteten als Sprachgehilfen, gelangten als ehemalige Angehörige der deutschen Schutztruppen nach Deutschland oder wurden als afrikanische Hausangestellte von Kaufleuten oder Afrikareisenden mitgebracht.

Völkerschauen

Schon vor Errichtung der deutschen Kolonien gelangten Afrikaner über die bereits bestehenden Handelskontakte nach Deutschland, andere wurden als lebende „Ausstellungsstücke“ im Rahmen der seit 1874 u.a. von Carl Hagenbeck organisierten „Völkerschauen“ präsentiert. So gelangte auch Martin Dibobe nach Deutschland. Der Sohn eines Häuptlings der Duálá war 1896 als einer von hundert Afrikanern aus den deutschen Kolonien nach Europa gebracht worden, um sechs Monate lang im Rahmen einer Völkerschau der Berliner Gewerbeausstellung im Treptower Park in dem Nachbau eines afrikanischen Dorfes „afrikanisches Alltagsleben“ darzustellen, bzw. das, was sich die Deutschen unter afrikanischem Alltagsleben vorstellten. Nach Ende der Ausstellung blieb Dibobe in Deutschland, machte eine Ausbildung und landete zunächst als Zugführer, schließlich als Fahrer bei der Berliner U-Bahn.

Andere kamen nur für einige Jahre nach Deutschland, zur Ausbildung, oder um einige Zeit im Land zu arbeiten. Mdachi bin Scharifu reiste 1913 aus der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) nach Berlin und arbeitete als Sprachlektor am Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Er kehrte 1920 nach Ostafrika zurück.

Gustav Sabac el Cher, der Nachfahre eines „Hofmohren“, war in Berlin aufgewachsen, machte in der Kaiserzeit Karriere als Militärmusiker bei der Preußischen Armee und später als Dirigent beim Rundfunk. Seine Söhne dienten im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht, ein Enkel landete in einer Napola, einem als NS-Kaderschmiede ausgelegten Internat.

Bayume Mohamed Husen, war als ehemaliger afrikanisch-deutscher Askari 1929 nach Deutschland gelangt. Hier gründete er eine Familie, arbeitete als Kellner, Sprachlektor und Schauspieler. Im August 1941 verhaftete ihn die Gestapo wegen des Vorwurfs der „Rassenschande“. Er wurde in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht, wo er drei Jahre später starb. Insgesamt wird die Zahl der in Konzentrationslagern ermordeten Menschen afrikanischer Herkunft auf 2.000 geschätzt. Nicht einberechnet sind dabei die in den Kriegsgefangenenlagern inhaftierten Black Americans und afrikanischen Soldaten der französischen, belgischen und britischen Truppen.

Gemiedenes Thema

Noch immer wird afrodeutsche Geschichte in der breiten Öffentlichkeit unzureichend wahrgenommen. Sie wird zumeist auf die Kolonialzeit beschränkt, die ihrerseits kaum aufgearbeitet ist. Die Zeit des Nationalsozialismus wird oft komplett ausgeblendet. Afrodeutsches Leben wird aufgrund des insbesondere in dieser Zeit herrschenden und vom NS-Regime gesteuerten, geförderten oder protegierten Rassismus schlichtweg für unmöglich gehalten. Erst allmählich tasten sich Medien und Gesellschaft an die Thematik heran, wie die lokalen Auseinandersetzungen (bzw. der Versuch ihrer Vermeidung) zu Straßennamen mit kolonialer Vergangenheit nur all zu deutlich illustrieren. Allein der Umbenennung der Berliner „Mohrenstraße“ in „Anton-Wilhelm-Amo-Straße“ im August 2020 ging eine jahrelange Auseinandersetzung voraus. Die Änderung des Namens “Mohrenstraße” bei der am Ort befindlichen U-Bahn-Haltestelle hingegen scheiterte.

Anmerkung: 

*Die Begriffe “Hof-” und “Kammermohr” sind Kinder ihrer Zeit, Fremdzuschreibungen mit negativer Konnotation. Wir widmen ihr in einem späteren Beitrag im Rahmen des BHM2021 einen Exkurs.

Quellenangaben zu den llustrationen:

“Kammermohr”: https://de.wikipedia.org/wiki/Kammermohr#/media/Datei:Francisca_Christina_of_the_Palatinate-Sulzbach._Princess-Abbess_of_Essen_and_Thorn.jpg

Askari: https://en.wikipedia.org/wiki/Askari#/media/File:Bundesarchiv_Bild_105-DOA3049,_Deutsch-Ostafrika,_Askari_beim_Übungsschießen.jpg

Gustav Sabac el Cher: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Gustav_Sabac_el_Cher.jpg&filetimestamp=20160217161640&

Stolperstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Bayume_Mohamed_Husen#/media/Datei:Stolperstein_Brunnenstr_193_(Mitte)_Bayume_Mohamed_Husen.jpg

Black History Month

Der „Black History Month“ wird alljährlich im Februar insbesondere in Kanada und den USA begangen. Er geht auf den Historiker Carter G. Woodson zurück. Die von ihm mitbegründete „Association for the Study of Negro Life and History“ (ASNLH) widmete 1926 erstmals die zweite Februarwoche der Geschichte der Black Americans. Ziel und Zweck war es, die breite Öffentlichkeit auf den Beitrag von Afroamerikanern zur Geschichte Amerikas aufmerksam zu machen.

Seit der Ermordung von Abraham Lincoln hatte die Black Community ohnehin bereits jedes Jahr im Februar den Geburtstag des US-Präsidenten gefeiert, der die Abschaffung der Sklaverei in den USA initiiert hatte. Was lag also näher, als die Woche zur Geschichte der Black Americans in diese Zeit zu legen? Zumal eine weitere Schlüsselfigur der Emanzipation der Black Americans, der Bürgerrechtler Frederick Douglass, ebenfalls in derselben Woche Geburtstag hatte. Seit 1926 wurde die Woche ausdrücklich der Geschichte und Traditionen der Black Americans gewidmet.

Die Idee wurde von Schulen und Gemeinschaften im ganzen Land aufgegriffen, die in ihren Gemeinden Geschichtsvereine gründeten und Veranstaltungen zum Thema initiierten. In den Folgejahren wurden in Städten im ganzen Land jeweils im Februar Veranstaltungen durchgeführt. Seit 1976 wird der Monat Februar als „Black History Month“ landesweit begangen.

Inzwischen wird der Monat in vielen Staaten der Erde zum Anlass genommen für Themenreihen, Veranstaltungen, Schwerpunktsendungen, Ausstellungen und vieles mehr – so etwa in Kanada und im Vereinigten Königreich.

created by Stephan A. Glienke

In Deutschland wird der Black History Month erst seit den 1990er Jahren von der Black Community gefeiert. Auch hier war und ist es das Ziel, Black History ein Gesicht zu geben. Dabei geht es u.a. darum, die Errungenschaften afrodeutscher Persönlichkeiten bekannt zu machen. Von Beginn an engagierten sich Kulturschaffende und Menschen aus dem Bildungsbereich, Dichter:Innen, Autor:Innen und Aktivist:Innen.

Erst in den vergangenen Jahren erhielt die deutsche Kolonialgeschichte auch in der breiten Öffentlichkeit zunehmend Aufmerksamkeit. Die Geschichten wie die der Familie des Schauspielers Theodor Wonja Michael zeigen jedoch deutlich, dass entgegen landläufiger Meinung, afrodeutsches Leben in Deutschland keine Sache der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ist; sie lässt sich nicht einmal auf die Phase der deutschen Kolonialgeschichte beschränken. Afrodeutsches Leben in Deutschland hat eine über mehrere Jahrhunderte zurückreichende Geschichte. Das zeigen Familiengeschichten wie die von Anton Wilhelm Amo, der Familie Sabac el Cher, von Martin Dibobe oder eben von Theodor Wonja Michael.

Der Black History Month soll diese Geschichte und den Beitrag der Afrodeutschen zur Geschichte in Deutschland stärker ins Licht rücken, Bewusstsein schaffen und nicht zuletzt das Thema so etablieren, dass die Beschäftigung nicht nur zeitlich auf den Monat Februar beschränkt bleibt. Weitere Texte zu diesem Thema hier im Blog sollen dazu einen kleinen Beitrag liefern.

#blackhistorymonth2021 #blackhistorymonth #blackhistory #bhm #africanhistory

 

“So viele, die fehlen” – die schweren Folgen des Lockdown light

Über 50.000 Coronatote haben wir inzwischen in Deutschland zu beklagen. Mitschuld daran war die verhängnisvolle Pandemiestrategie zwischen September und Mitte Dezember, für die das Oxymoron “Lockdown light” steht. Erst sehr spät, kurz vor Weihnachten, kam dann endlich die überfällige Verschärfung des Lockdowns. An den Folgen der Versäumnisse dieses deutschen Coronaherbstes haben wir im neuen Jahr immer noch zu tragen. Denn es wird wohl noch einige Wochen dauern, bis nach einer Reduzierung der Neuinfektionen auch die tägliche Zahl der an COVID-19 Verstorbenen deutlich zurückgeht.

Wenn das endlich passiert ist, steht dann wohl bald wieder die Frage unausgesprochen im Raum, wie viele Coronatote Deutschland täglich verkraften zu können glaubt. Über 1000 zum Glück nicht, und auch 500 scheinen den meisten wohl zu viel. Aber wäre es, falls die Inzidenzzahl „nur“ bei etwas über 50 liegen sollte, doch noch hinnehmbar, wenn täglich 200 Menschen erfolglos gegen ihre Atemnot auf der Intensivstation ankämpfen?

#ZeroCovid und #NoCovid lauten die Hashtags der eigentlich humanen Antworten auf das deutsche Coronadesaster im letzten Quartal des Jahres 2020. Diese Forderungen klingen radikal und bedürften einer breiteren gesellschaftlichen Diskussion, aber sie sind keineswegs „massiv unethisch“, wie ausgerechnet ein Mitglied des bayerischen Ethikrates kundtat:[1] Der Ökonomiephilosoph Christoph Lütge hat an der Technischen Universität München den Peter-Löscher-Stiftungslehrstuhl inne, der auf den namensgebenden ehemaligen Siemens-Vorstandsvorsitzenden als Privatmäzen zurückgeht. Lütge ist dazu noch Direktor des von Facebook gesponsorten „TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence“. Vom Bayerischen Rundfunk nach Gründen für sein harsches Urteil über #ZeroCovid gefragt, gab Lütge seine Version des im April durch die Presse gegeisterten Boris-Palmer-Frühstücksfernseh-Ethos[2] zum Besten:[3]

„Das Durchschnittsalter der Corona-Toten liegt bei etwa 84 Jahren und da stirbt man an Corona oder auch an etwas anderem. So ist es nun einmal. Menschen sterben.“

Wenn jetzt also ein sozialmedial-professoraler Experte bereits wieder munter Herzlosigkeiten zusammen mit Unwahrheiten über „große Reserven“ bei den Krankenhauskapazitäten verbreitet,[4] dann ist wohl eines gewiss: Schon bald werden wir uns in neu anschwellenden “Lockerungsdebattenorgien” ergehen, anstatt die Epidemie endlich wirkungsvoll in den Griff zu bekommen. Und da ja bislang nur schleppend geimpft wird, kann so bei den wohl irgendwo zwischen 50 und 100 demnächst stagnierenden Inzidenzwerten das tödliche Corona-Jojo ab Februar oder März wieder weitergehen. Nur wird es diesmal vermutlich beschleunigt durch gefährlichere Virenmutationen wie die in Großbritannien wütende B-117, die auch unser Gesundheitssystem zum Kollaps bringen dürften.

Lernen in der Pandemie: Wird Michael Kretschmer aus Schaden klug?

Bereits in diesem debattierorgiastischen-selbstvergessenen Sinne fabulierte gestern ausgerechnet der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, in dessen Bundesland die Inzidenz gerade einmal unter 200 gefallen ist, von einem möglichen „Stufenplan für Lockerungen“ in den nächsten Wochen.[5] Es war übrigens derselbe Politiker, der noch im Oktober vor Corona-„Hysterie“ gewarnt hatte, um dann angesichts explodierender Infektionszahlen Anfang Dezember kleinlaut zugeben zu müssen, dass man im Nachhinein betrachtet manche Maßnahmen besser früher hätte ergreifen sollen.[6] „Wir haben dieses Virus unterschätzt – alle miteinander“, erklärte er im ZDF-Morgenmagazin.[7] Die Schuld für diesen Fehler suchte er allerdings weniger bei sich selbst als bei anderen: Er hätte sich gewünscht, dass er „früher gewarnt worden wäre“, klagte er in einem späteren Interview.[8] Ministerpräsidenten müssen der Presse Rede und Antwort stehen – aber bleibt ihnen eigentlich keine Zeit, auch einmal selbst die Zeitung zu lesen?

Lässiger und souveräner als Kretschmer kommt gewöhnlich sein bayerischer Amtskollege Markus Söder daher. Gemäß seiner pandemischen Leitmaxime der „Vorsicht und Umsicht“ scheint er bislang überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Und doch trug auch Söder bei aller merkelnahen Besorgtheitsrhetorik die wachsweichen Bund-Länder-Beschlüsse des Lockdown light mit – und das, obwohl Bayern nicht zuletzt aufgrund seiner prekären Grenzlage zu den am härtesten von Corona getroffenen Bundesländern gehört: Fast 388.000 COVID-19-Infektionen zählte die Johns-Hopkins-Universität im Freistaat bislang, denen mehr als 9500 Menschen zum Opfer fielen.[9]

Allein in der bayerischen Landeshauptstadt München sind inzwischen mehr als 700 Menschen an Corona gestorben. Die Süddeutsche Zeitung erinnert in ihrer gestrigen Ausgabe nun an die Einzelschicksale hinter der hohen Todeszahl.[10] Auch ruft sie Menschen, die einen Angehörigen aus München wegen COVID-19 verloren haben und an ihn erinnern möchten, dazu auf, sich bei der Redaktion zu melden (muenchen-online@sueddeutsche.de oder 089/2183-9977). Wie die Zeitung erläutert, ist ihr Gedenkprojekt „inspiriert von Beiträgen in der New York Times (‚Those We’ve Lost‘), dem Guardian (‚Lost to the virus‘) und dem Tagesspiegel (‚Den Toten der Pandemie‘).“

Würdiges öffentliches Gedenken der Coronatoten – nur wie?

Es ist erfreulich, dass wenigstens einige große Tageszeitungen das schmerzliche Thema des Totengedenkens aufgreifen und die Opfer der Pandemie so sichtbarer machen. Aber wann werden wir in Deutschland auch einmal alle gemeinsam in würdiger Form der COVID-19-Toten öffentlich gedenken – anstatt darüber zu streiten, ob diese Menschen nun „an oder mit Corona“ gestorben seien und oder ob ihr Tod gar dank einer schwächeren Influenzawelle eigentlich nicht ins Gewicht falle?

Der vorgestern erfolgte Aufruf des Bundespräsidenten, zum Gedenken an die bislang 50.000 Coronatoten eine Kerze ins Fenster zu stellen, war eine gut gemeinte Geste.[11] Aber ein würdiges öffentliches Gedenken kann die „Aktion #Lichtfenster“ nicht ersetzen. Das hätte angesichts des Leides, dass so viele Menschen zusammen mit ihren Angehörigen erfahren mussten, anders auszusehen. Ehrlicherweise müsste es auch von dem Eingeständnis der politisch Verantwortlichen begleitet sein, dass die hohen Todeszahlen im deutschen Coronaherbst auch mit einer von Pandemieverharmlosern zeitweise in die Irre geleiteten öffentlichen Debatte und mit vermeidbaren politischen Fehlentscheidungen zu tun hatten.

Denn neben Trauer ist ja auch Bitterkeit über diese Versäumnisse berechtigt, besonders wenn Menschen in ihrem persönlichen Umfeld von Leid und Verlust betroffen sind. Nichtdestotrotz warnt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn heute, nur zwei Tage nach Steinmeiers #Lichtfenster-Gedenkaufruf, davor, „dass 2021 nicht das Jahr der Schuldzuweisung“ werden dürfe. „Über Fehler und Versäumnisse reden ist wichtig. Aber ohne dass es unerbittlich wird. Ohne dass es nur noch darum geht, Schuld auf andere abzuladen“, mahnt Spahn.[12]

Pluralis Majestatis? Bekenntnisse des Ministers Jens Spahn

Leider lassen die weiteren Ausführungen des Ministers nicht erkennen, dass ihm klar wäre, wie wichtig Ehrlichkeit und die klare Benennung der persönlichen Verantwortlichkeit beim glaubwürdigen „Reden über Fehler und Versäumnisse“ sind. So gestand etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Anfang des Monats in einer Talkshow seinen Irrtum bei den Bund-Länder-Verhandlungen im Herbst offen ein – nicht er, sondern die Kanzlerin habe mit ihren Warnungen recht gehabt: „Ich habe mich von Hoffnungen leiten lassen, die sich jetzt als bitterer Fehler zeigen“, gab Ramelow zu.[13] Anders klingt jedoch heute Spahn, der, wie schon Kretschmer bei seinem Dezember-Statement, den Plural der ersten Person für seine Eingeständnisse wählt:

„Wir hatten alle zusammen das trügerische Gefühl, dass wir das Virus gut im Griff hätten. Die Wucht, mit der Corona zurückkommen könnte, ahnten wir, wollten es aber in großer Mehrheit so nicht wahrhaben. […] Wir haben dem Virus zu viel Raum gelassen. Wir hätten schon im Oktober bei geringeren Infektionen härtere Maßnahmen ergreifen müssen.“

Wir? Nicht alle haben mit Spahn im Herbst in das Lockdown-Light-Horn gestoßen. Zum Beispiel finden sich auch in diesem kleinen Blog zwei Beiträge im Oktober und November, in denen vor den Folgen einer laxen Pandemiestrategie gewarnt wurde – unter Verweis auf zahlreiche andere, laute und gewichtige Stimmen, deren Kritik in den Medien durchaus breit rezipiert wurde. Umfragen belegen dazu, dass rund ein Viertel der Bevölkerung die vom Bund und den Ländern vereinbarten Maßnahmen für nicht weitreichend genug hielt.[14] Die Politik hatte sich also im Herbst für einen Weg entschieden, der im laufenden Diskurs mehrheitsfähig schien, wenngleich vor ihm laut und vernehmbar gewarnt wurde.

Solange aber die Verantwortlichen den Mut zur schonungslosen Ehrlichkeit bei ihren Fehlereingeständnissen nicht haben, ist es vielleicht besser, auf einen nationalen Trauerakt für die Coronatoten vorerst zu verzichten und es bei wortlosen Gesten des Bedauerns wie den #Lichtfenstern zu belassen. Der stille Tod der über 50.000 COVID-19-Opfer, über den bislang so wenig Worte verloren worden sind, während über Einschränkungen durch Schutzmaßnahmen tagtäglich geklagt wird, ist zwar nicht nur traurig, sondern eigentlich sogar beschämend. Noch beschämender wäre es allerdings, wenn die Toten und ihre Angehörigen pauschal für ihr erlittenes Schicksal von selbstgerechten Rednern bei einer Gedenkfeier mitverantwortlich gemacht würden.

Anmerkungen:

[1] Christoph Lütge via Twitter am 17.1.2021, https://twitter.com/chluetge/status/1350863746957275136.

[2] Zu umstrittener Palmers Äußerungen vom vergangenen Frühjahr vgl. Der Tagesspiegel, 28.4.2020, „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“, https://www.tagesspiegel.de/politik/boris-palmer-provoziert-in-coronavirus-krise-wir-retten-moeglicherweise-menschen-die-in-einem-halben-jahr-sowieso-tot-waeren/25782926.html. Das vollständige siebenminütige Interview mit Palmer, das im SAT 1-Frühstücksfernsehens am 28.4.2020 stattfand, findet sich unter folgendem Link: https://www.sat1.de/tv/fruehstuecksfernsehen/video/202082-oberbuergermeister-boris-palmer-spricht-ueber-die-deutsche-wirtschaft-clip.

[3] Mitglied des Bayerischen Ethikrates kritisiert #ZeroCovid, BR24 21.1.2021, https://www.br.de/nachrichten/bayern/mitglied-des-bayerischen-ethikrates-kritisiert-zerocovid,SMfAiNI.

[4] In seinem dem Sender am 21.1.2021 dem BR gegebenen Interview (abrufbar unter dem in vorigen Fußnote angegebenen Link) leugnete Lütge eine Überlastung der Krankenhäuser durch die aktuelle Corona-Krise und sprach – im Widerspruch zu den Verlautbarungen von namhaften Krankenhaus- und Intensivmedizinern – von einer „für diese Jahreszeit absolut normalen Belegung“ bei noch „großen Reserven“. Ferner musste BR24 einen am 21.1.2021 veröffentlichten Artikel über Lütges Äußerungen zu #ZeroCovid mit folgendem Warnhinweis versehen: „Eine frühere Version des Artikels enthielt eine nicht belegbare Aussage von Christoph Lütge zu Übersterblichkeit aufgrund von Lockdown-Maßnahmen während der Corona-Pandemie. Wir haben diese daher entfernt.“ https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/kritik-an-initiative-zerocovid-handelt-massiv-unethisch,SMXQCUX.

[5] Kommen die Lockerungen hier früher als anderswo? In: Lausitzer Rundschau 23.1.21, https://www.lr-online.de/nachrichten/sachsen/corona-in-sachsen-kommen-die-lockerungen-hier-frueher-als-anderswo_-54633750.html.

[6] Kretschmer im ZDF zu Lockdown – “Verdummung im Land entgegentreten”, ZDFheute 9.12.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-interview-michael-kretschmer-heute-journal-100.html.

[7] Kretschmer: “Haben dieses Virus unterschätzt”, ZDFheute 2.12.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-sachsen-kretschmer-100.html.

[8] Ministerpräsident Kretschmer räumt Fehler in Corona-Politik ein, RND/dpa 8.1.2021, https://www.rnd.de/politik/corona-in-sachsen-michael-kretschmer-raumt-fehler-in-umgang-mit-pandemie-ein-VSFYEBNZT755FV3G3C32AY52YA.html.

[9] Die Zahlen sind entnommen aus dem Coronavirus-Monitor der Berliner Morgenpost (Stand 23.1.2021, 20 Uhr): https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit. Als Datenquelle werden hier angegeben: Johns Hopkins University CSSE (internationale Daten von WHO, CDC (USA), ECDC (Europa), NHC, DXY (China), Risklayer/Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Meldungen der französischen Ämter und der deutschen Behörden (RKI sowie Landes- und Kreisgesundheitsbehörden).

[10] So viele, die fehlen, in: Süddeutsche Zeitung 23.1.2021, https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/muenchen/coronatote-in-muenchen-die-menschen-hinter-den-zahlen-e487702/.

[11] Bundespräsident Steinmeier ruft auf zur Aktion #lichtfenster und lädt ein zum staatlichen Gedenken an die Corona-Toten in Deutschland, Pressemitteilung 22.1.2021, https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/01/210122-Aufruf-Lichtfenster.html.

[12] Bund erwirbt 200.000 Dosen eines Antikörper-Medikaments, in: Deutsche Ärztezeitung 24.1.2021, https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Bund-erwirbt-200000-Dosen-eines-Antikoerper-Medikaments-416489.html. Die Äußerung fielen in einem Interview mit der Bild am Sonntag vom selben Tag (https://www.bild.de/bild-plus/politik/2021/politik/spahn-unter-druck-wir-haben-dem-virus-zu-viel-raum-gelassen-75032808,view=conversionToLogin.bild.html).

[13] Forderung nach noch härterem Lockdown, insuedthueringen.de 8.1.2021, https://www.insuedthueringen.de/inhalt.ramelow-raeumt-fehler-ein-forderung-nach-noch-haerterem-lockdown.a1d48333-018e-4b16-b39c-3e05ea779e24.html. Für einen Interviewausschnitt aus der Talkshow “Markus Lanz” mit Ramelows zitierten Äußerungen siehe https://www.zdf.de/nachrichten/video/politik-ramelow-corona-management-lanz-100.html. Ähnlich selbstkritisch hatte sich Ramelow bereits in einem Interview mit der FAZ geäußert, dass am Vortrag abgedruckt worden war: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bodo-ramelow-gesteht-fehler-im-kampf-gegen-corona-17135034.html.

[14] ZDF-Politbarometer 13.11.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-rueckhalt-fuer-geltende-massnahmen-100.html.

„Lockdown light“ oder: Die Dialektik des Spätmerkelismus

Nach drei Wochen „Lockdown light“ fällt die Bilanz in Deutschland ernüchternd aus. Der Anstieg der Neuinfektionszahlen scheint zwar gebremst, verharrt aber weiter auf hohem Niveau. Am Freitag vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) sogar einen absoluten Höchststand mit mehr als 23600 Corona-Neuinfizierten binnen 24 Stunden.[1] Der Inzidenzwert für Deutschland ist gegenüber dem Peak der vorigen Woche (159) leicht gesunken und beläuft sich heute auf 154. An der Spitze der Bundesländer liegt weiterhin die Hauptstadt Berlin mit einem Wert von 250 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in einer Woche, gefolgt von Sachsen (212), das seit zwei Wochen nun Bayern (187), Hessen (181) und Nordrhein-Westfalen (172) als Pandemie-Hotspot unter den Flächenländern übertrifft. Den mit dem Lockdown eigentlich republikweit wieder angepeilten Inzidenz-Grenzwert von 50 unterschreiten knapp Schleswig-Holstein (49) und Mecklenburg-Vorpommern (47).[2]


Drei Wochen Einschränkungen ohne echte Trendumkehr: die Ineffizienz des „Lockdown light“

Damit wird offensichtlich, wovor Kritiker bereits bei Verkündung des Maßnahmenkatalogs Ende Oktober gewarnt hatten: Der beschlossene „Lockdown light“ reicht angesichts des Ernstes der Lage nicht aus. Er entpuppt sich so als teure, ineffiziente Maßnahme zur Pandemiebekämpfung. Verwiesen wird hier auf das Beispiel Israel, das bereits im Sommer von der zweiten Welle getroffen worden war. Auch der Regierung in Jerusalem misslang es mit einem „Lockdown light“ im Juli und August, den Anstieg der Neuninfektionen nachhaltig zu stoppen – das wurde erst im Oktober nach einem vierwöchigen harten Shutdown des Landes erreicht, der auch den Bildungsbereich nicht ausnahm.[3]


Wunsch und Wirklichkeit in seuchengeplagten Schulen

Über die Rolle der Schulen im Infektionsgeschehen ist hierzulande bereits seit Ende des ersten Lockdowns ein erbitterter Streit entbrannt. Und wie so oft bei Debatten über schulpolitische Themen entwickelte sich aus einer Kontroverse alsbald eine Art föderal getriggerter Kultus-Glaubenskampf, in dessen Verlauf die eigentliche Problemlage und die dazugehörige Faktenbasis immer mehr aus den Augen verloren wurden. Nichtsdestotrotz hat RKI-Präsident Lothar Wieler in der vorigen Woche ausdrücklich noch einmal betont, es sei aus medizinischer Sicht nicht in Abrede zu stellen, dass auch Kinder und Jugendliche bei der Dynamik des Infektionsgeschehens eine ernstzunehmende Rolle spielen.

Wieler zufolge haben ältere Schulkinder und Jugendliche zwar in der Regel ein geringeres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer Corona-Infektion. Doch geben sie offenbar durchaus das Virus sowohl untereinander wie auch an Erwachsene weiter. Lediglich bei kleinen Kindern geht die Forschung überwiegend davon aus, dass Covid-19 nicht nur milder verläuft, sondern das Virus auch weniger selten auf andere übertragen wird.

Infolgedessen dürften schulpflichtige Kinder und Jugendliche zu den bedenklich hohen Neuinfektionszahlen durchaus substanziell beigetragen haben.[4] Und insofern können die Schulen dann auch keineswegs, nur weil sich das einige Kultusminister so wünschen, als „sichere Orte“ gelten. Wie alle geschlossenen Räume, an denen sich viele Menschen auf wenig Fläche versammeln, sind Klassenzimmer in Zeiten hoher Neuinfektionsraten eher unsicher, was insbesondere für alle potenziellen Risikopatienten aus dem Schulbereich besorgniserregend sein muss – seien es nun Asthmatiker unter den Schülern oder aber Bluthochdruckpatienten unter den Lehrkräften, von denen dazu jede Achte bereits in ihrem siebten Lebensjahrzehnt steht.[5] Je virulenter Covid-19 in der Bevölkerung ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass allein das Einhalten von AHAL-Regeln ausreicht, um eine sich auch in den Schulen beschleunigende Virenverbreitung zu unterbinden. Dafür spricht auch, dass gerade in den letzten Wochen die Zahl der Schüler*innen und Lehrer*innen, die als neu infiziert gemeldet wurden, erheblich gestiegen ist.[6]


Zweihundert Corona-Tote täglich – nehmen wir das wirklich in Kauf?

Nun könnte man meinen, dass es sich ein reiches Land wie die Bundesrepublik doch leisten kann, die zwar etwas ineffiziente und teure, dafür aber kommodere Schutzmaßnahme eines Lockdown in der Lightversion zu wählen. Schließlich steigen ja immerhin die Infektionszahlen nicht mehr an. Wenn man nun einfach einen solchen, ggf. leicht modifizierten Komfort-Teillockdown eine Weile verlängert, könnten wir wohl auch ganz allmählich noch einen Neuinfektions-Rückgang im Dezembers erreichen und so dann schließlich sogar die Gefahr bannen, dass uns in der zweiten Welle ein ähnliches Schicksal wie die noch reichere Schweiz droht. Dort sind nämlich nach wochenlangen Inzidenzwerten von über 500 inzwischen die Intensivstationen am Ende ihrer Kapazitäten angelangt und können Behandlungsplätze nur noch an Patienten mit guter Heilungssaussicht vergeben.[7]

Doch auch wenn wir in Deutschlands Krankenhäusern die gefürchtete Triage vermeiden, fällt es beim Blick auf die über Wochen stetig gestiegenen Zahlen der täglichen Todesopfer schwer, unsere derzeitige Pandemiestrategie noch als human zu bezeichnen. Vielmehr ist das Resultat des „Lockdowns light“ in seiner Ineffizienz schlichtweg grausam. Schon in der ersten Welle waren fast 9000 Menschen in Deutschland gestorben – hier traf uns aber die Ausbreitung des Virus relativ unvorbereitet und ohne viel Vorwissen. Die zweite Welle hat bereits jetzt rund 3000 Todesopfer gefordert, und jeden Tag kommen momentan über 200 Coronatote dazu. Bis Weihnachten könnten also beim Festhalten am „Lockdown light“ über 8000 Menschen der zweiten Welle zum Opfer gefallen sein.

Noch größer ist dann voraussichtlich bis zum Jahresende die Zahl derjenigen, die eine Corona-Infektion zwar überleben, aber aufgrund eines schweren Krankheitsverlaufs von gravierenden Folgeerscheinungen beeinträchtigt bleiben. Denn seit Wochen ist auch die Zahl der Patienten stetig gewachsen, die wegen Corona im Krankenhaus auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Am Freitag waren dies in Deutschland 3615 Fälle – Tendenz auch jetzt immer noch steigend.

Der Grund dafür, dass trotz stagnierender Neuinfektionen die Zahl der schwer Erkrankten sowie der Corona-Opfer weiter wächst, liegt vor allem darin, dass sich inzwischen wieder mehr ältere Menschen mit Covid-19 anstecken. Es zeigt sich, dass der Schutz der Risikogruppen eben nur funktioniert, solange das Neuinfektionsgeschehen noch unter Kontrolle ist. Das war aber in Deutschland schon Wochen vor dem “Lockdown light” nicht mehr der Fall. Wenn wir bei 10.000 oder gar 20.000 neu Infizierten pro Tag angelangt sind, vermögen sich Risikogruppenangehörige nicht mehr ausreichend zu schützen, da sie ihre Außenkontakte ja nun einmal nicht auf Null über Wochen reduzieren können. Für sie alle – in Deutschland immerhin gut ein Drittel der Bevölkerung[8] – gleicht der Herbst in Deutschland mit seiner hohen Virenverbreitung so einem täglichen Lotteriespiel mit ihrer Gesundheit oder gar ihrem Leben. Und wer in den letzten Wochen in die hinter FFP2-Masken hervorschauenden besorgten Gesichter alter Menschen geblickt hat, die hastig im Supermarkt ihre Einkäufe erledigen, weiß, dass nicht wenige von ihnen tagtäglich um ihre Gesundheit bangen.


„Light“-Mutlosigkeit – ein stiller Erfolg der lärmenden „Querdenker“

Die Angst dieser Menschen ist real und medizinisch betrachtet leider durchaus begründet, im Gegensatz zu der sozialmedial getriggerten Hysterie gegen Pandemieschutzmaßnahmen, welche die rechtsunterwanderten „Querdenker“ kultivieren. Tragenden Teilen dieser Bewegung – Identitäre, Reichsbürger, evangelikale Fundamentalisten – ist beinahe jedes Mittel recht, um unsere offene Gesellschaft zu diskreditieren. Ihre Ideologie ist antidemokratisch und menschengruppenfeindlich. In der Flüchtlingskrise befeuerten sie die Pegida-Hetze, während der Pandemie setzen sie sich nun an die Spitze der Corona-Leugner. Trump und Bolsonaro, ihrer Idole auf nord- und südamerikanischen Präsidentensesseln, haben es vorgemacht: Rechtspopulisten sind in ihrer verbohrten Gewissenlosigkeit sogar bereit, in Seuchenzeiten über hundertausende Leichen zu gehen, wenn sich daraus politisches Kapital schlagen lässt.

In Deutschland ist der Rechtspopulismus zwar politisch noch weitgehend isoliert, aber dennoch scheint es so, wie wenn die Strategie der von ihm orchestrierten „Querdenker“ insofern teilweise aufgeht, als deren lautstark inszenierter Protest in der Öffentlichkeit mehr Gehör findet als die stillen Nöte von Millionen potenzieller Corona-Risikopatienten. Denn letztendlich ist der „Lockdown light“ das Ergebnis eines zähen Ringens der Länderchefs mit dem Kanzleramt gewesen, bei dem offensichtlich die Scheu vor allzu großen Unannehmlichkeiten, die mehrwöchige härtere Einschränkungen den Jungen und Gesunden bereitet hätten, am Ende die Oberhand behielt. Vernachlässigt wurden hingegen die Sorgen von Alten und Kranken, deren Leben bei einer halbherzigen Bekämpfung der Pandemie auf dem Spiel steht.

Sicherlich bestand Ende Oktober zunächst noch eine vage Hoffnung, dass vielleicht doch auch die beschlossenen „Light“-Maßnahmen ausreichen könnten. Wenn man sich bei der Bekämpfung der Pandemie aber tatsächlich nur darauf beschränkt, den Kollaps der Kliniken verhindern zu wollen, ist das zwar besser als das Trumpsche Corona-Verharmlosen und insofern kein staatsverbrecherisches Versagen, was in den USA wohl über Hunderttausend Menschenleben zusätzlich gekostet hat. Aber dennoch ist es eine moralisch sehr zweifelhafte Strategie, denn sie nimmt über Wochen oder gar Monate Tote und schwer Erkrankte zusätzlich in Kauf, die mit einem kürzeren harten zweiten Lockdown vermieden werden könnten. Oder darf man ernsthaft einen solchen bitteren Preis der Großelterngeneration dafür abverlangen, dass der Präsenzunterricht der Schüler und die Erwerbstätigkeit der Eltern möglichst störungsfrei am Laufen gehalten werden?

 

Durchwurschteln durch die Coronakrise im GroKo-Style: Kritik der Dialektik des Spätmerkelismus

Das Bild, das Deutschland in der Corona-Krise im internationalen Vergleich abgibt, führt uns noch einmal die Stärken und Schwächen des Merkelismus am Ende seiner Ära vor Augen: Einerseits ist das Land im Vergleich zu europäischen Nachbarn relativ gut durch die Pandemie gekommen, weil die Kanzlerin mit gewohnt kühler Logik, gesundem Menschenverstand und einem offenen Ohr für den Rat medizinischer Experten sich um nüchtern-sachliche Krisenpolitik bemüht hat. Andererseits mangelte es aber, wie so oft bei Angela Merkel, an einer Einbettung des Regierungshandelns in einen größeren gedanklichen Kontext, der die Coronapolitik in der demokratischen Öffentlichkeit leichter vermittelbar gemacht hätte. Anfangs waren Merkels pragmatischer Zugriff sowie die Abstimmung mit den Ländern in Online-Runden sicher noch sachgerecht. Die Zeit drängte, und für weiter vorausschauendes Handeln lag einfach noch zu wenig gesichertes Wissen vor. Doch spätestens im Sommer wäre es trotz aller immer noch vorhandenen Unwägbarkeiten dann angestanden, eine längerfristige Strategie zu entwerfen und breitenwirksam zu kommunizieren. Stattdessen blieb es aber beim „Fahren auf Sicht“.[9]

Der GroKo-Style, dieses altbekannte, vorzugsweise auf die „Alternativlosigkeit“ der „Sachzwänge“ gestützte, kompromiss- und konsensorientierte „Durchwurschteln“, fand also auch beim Umgang mit der Pandemie wieder Anwendung, wenngleich die Kanzlerin gelegentlich etwas strenger als gewohnt die Beratungsrunden mit den Länderchefs zu moderieren schien. Dennoch bereitete dieser Framing-arme politische Stil wie gehabt den Rechtspopulisten den Boden: Denn die Visionslosigkeit des Regierungshandelns sowie das damit verbundene Kommunikationsdefizit ließen auch diesmal wieder Leerstellen im politischen Diskurs zurück, die die Rechtspopulisten auf ihre Art ausnutzen konnten. Diesmal ermöglichten die Diskurslücken den rasanten Aufstieg der kruden „Querdenker-Bewegung“. Denn dass auch die absurdesten Coronaleugner-Verschwörungstheorien so erstaunlich viel Resonanz in den sozialen Medien und auf Protestkundgebungen finden konnten, lag wohl auch daran, dass auf Regierungsseite eben kein griffiges visionäres Rahmenkonzept für eine verantwortungsvolle Bewältigung der Pandemie vermittelt worden war. Merkels gut gemeinte, aber zunehmend sich abnutzenden Podcast-Appelle konnten diese Lücke nicht ausreichend schließen.

Während zu Beginn der ersten Welle noch spürbar war, dass große Teile der Bevölkerung die einschneidenden Maßnahmen der Kontaktbeschränkungen im Lockdown mittrugen, ebbte so die Bereitschaft, sich Pandemie-vorbeugend zu verhalten und Einschränkungen weiter in Kauf zunehmen, seit dem Frühsommer zunehmend ab. Hätte man aber frühzeitiger mit Debattierlust und Überzeugungskunst die Bevölkerung auf eine vorausschauendere Pandemiestrategie des langen Atems eingeschworen, wäre Deutschland sicherlich nicht so stark von der zweiten Welle erfasst worden, wie das aktuell der Fall ist.


„The UK needs a sustainable strategy for COVID-19“ – and so do we!

Nötig ist deshalb jetzt ein Strategiewechsel, der zunächst die Neuinfektionszahlen rasch senkt und dann den Fokus auf vorbeugende Maßnahmen sowie ein frühzeitiges Eingreifen bei neuerlichen Verschlechterungen der Situation legt. Angelehnt sein könnte dieses neue Gesamtkonzept an Vorschlägen für eine „nachhaltige Covid-19-Strategie“, die eine Autorengruppe für Großbritannien kürzlich empfohlen hat.[10]

Zunächst ist aber für mehrere Wochen eine Verschärfung des zweiten Lockdowns unumgänglich. Privatkontakte müssen noch stärker auf das Notwendigste eingeschränkt werden, die Erwerbsarbeit sollte wo immer möglich im Home Office stattfinden und auch in den Schulen muss der Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht zumindest für ältere Schüler zum Regelfall werden. Wenn dann die Inzidenzwerte deutschlandweit unter die vorgesehenen Warnstufen wieder gefallen sind, sollte künftig frühzeitig reagiert werden, sobald es zu neuerlichen Anstiegen kommt – die ursprünglichen Warnwerte von 35 (gelb) und 50 (rot) müssen in Verbindung mit verbindlichen Kontakteinschränkungen bei ihrem Überschreiten in Kraft treten.

Um zu erreichen, dass Gesundheitsschutz und Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens auch in diesem Pandemiewinter in eine verantwortungsvolle Balance gebracht werden, könnte es helfen, sich von neuen Ideen und oder bereits bewährten Praktiken aus dem Ausland anregen zu lassen[11] – hier vier konkrete Vorschläge:

  1. Zur Verbesserung der Nachverfolgung von Infektionsketten hilft, wie ostasiatische Länder es vormachen, das digitale Tracking. Deshalb sollte eine erhebliche Steigerung der Verbreitung der Corona-Warn-App erreicht werden, die in Deutschland gerade mal von etwas mehr als 22 Millionen Menschen genutzt wird.[12] Vorschläge, wie die App attraktiver gestaltet werden kann, gibt es bereits seit einer Weile – es hapert nur an ihrer Umsetzung. Ebenso fehlt bislang eine große, öffentlichkeitswirksame Werbekampagne. Ergänzend zur App gibt es auch Vorschläge, wie ältere Menschen, die kein Smartphone haben, in das digitale Tracking-System einbezogen werden können.[13] Wenn aber nicht nur, wie derzeit, rund dreißig Prozent die Corona-App nutzen, sondern mehr als sechzig Prozent, könnte mithilfe einer effektiven Nachverfolgung der Neuinfektionen und rechtzeitiger Selbstquarantäne der Kontaktpersonen eine weitere Infektionswelle in diesem Winter wohl verhindert werden. Wieso sollte eine deutlich höhere App-Nutzungsquote in Deutschland eigentlich nicht zu schaffen sein, wo doch der Anteil der „Querdenker“-Sympathisanten in der Bevölkerung eigentlich nur bei zwölf Prozent liegt?[14] Und wenn nun schon fast alle Schüler ein Smartphone besitzen, warum ist die Nutzung der Corona-App in allen offen gehaltenen Schulen nicht einfach Ehrensache?
  2. Schnelltests sind mit unterschiedlichem Erfolg in vielen Ländern bereits eingesetzt worden. Ob eine Massen-Schnelltest-Strategie, wie sie in Südtirol, der Slowakei und nun voraussichtlich auch bald in Österreich zur Anwendung kommt, auch in Deutschland einen harten Lockdown ersetzen oder verkürzen könnte, wird kontrovers diskutiert.[15] In jedem Fall kann der vermehrte Einsatz von Schnelltests aber auch in Deutschland helfen, örtlich oder regional begrenzte neue Ausbrüche besser unter Kontrolle zu bekommen, Quarantäne-Zeiten abzukürzen und Risikogruppen besser zu schützen. Warum wird z.B. nicht in den Schulen für mehr Gesundheitsschutz mithilfe eines häufigeren Einsatzes von Antigen-Tests gesorgt? Denn bei Infektionsfällen könnte man die Quarantänezeiten für betroffene Klassen und ihre Lehrkräfte so minimieren. Stattdessen wurden angesichts gestiegener Infektionszahlen aber nun vielerorts in fragwürdiger Weise die Schutzbestimmungen maximal gelockert und nur noch infizierte Schüler sowie ihre Banknachbarn in Quarantäne geschickt.[16]
  3. Zu einer vorausschauenden Strategie gehört auch, ein Konzept bereit zu halten, das zum Einsatz kommt, wenn trotz aller Bemühungen die Infektionszahlen wieder die Deutschlandkarte in Gelb und Rot einfärben. Dann muss diesmal überlegter und entschlossener gehandelt werden. Es sollte deshalb in Präventionsplanungen bereits erwogen werden, bei einem nochmaligen Wellenbrecher-Shutdown zeitweise Schulschließungen dadurch zu ermöglichen, dass Teile der verbleibenden Ferienzeiten umgelegt werden. Was spricht beispielsweise dagegen, die Oster- und Pfingstferien notfalls um je eine Woche zu verkürzen, um so noch im Verlauf des Winters ggf. zwei Ferienwochen für einen wirksamen Wellenbrecher-Shutdown mit geschlossenen Schulen einsetzen zu können? Sicherlich ist dagegen mit dem Widerspruch der Tourismusbranche zu rechnen, die deshalb bei Lockdown-Verlusten weiterhin Hilfen erhalten muss. Den Lehrkräften dürfte eine solche, auch ihre Gesundheit schützende Coronaferien-Regelung im Zweifelsfall lieber sein als der derzeitige Präsenzunterrichts trotz hoher Inzidenzzahlen.
  4. Schließlich sollte die Pandemiekrise noch offensiver als bisher dafür genutzt werden, um anstehende Umgestaltungen und Modernisierungsmöglichkeiten der Lern- und Arbeitswelt mittels Digitalisierung voranzutreiben. Hier hinkt Deutschland hinterher, aber einiges ließe sich unter Ausnutzung des anhaltenden Handlungsdrucks noch zügiger verändern. Denn viele Arbeitnehmer werden auch nach Corona dankbar sein, wenn Home Office eine feste Alternative zur Anwesenheit im Büro bleibt. Arbeitgeber sparen dauerhaft Ausgaben, wenn Meetings virtuell ohne Kosten und Zeitverlust durch Anreisen abgehalten werden. Und jeder jetzt noch unternommene Schritt zu mehr Digitalisierung der Schulen zahlt sich als Modernisierung der Bildung langfristig aus. Staatliche Investitionen müssen hier aber nicht nur angekündigt, sondern die Anschaffung dann auch möglichst rasch getätigt werden – etwa Tablets für Schulklassen oder Dienstlaptops für Lehrkräfte.


Wie wir die Dialektik des Spätmerkelismus überwinden können

Dass Covid-19 uns auch noch im Jahr 2021 länger beschäftigen wird, ist absehbar. Aber erfreulicherweise ist in Europa nun wohl in Kürze der erste Impfstoff zugelassen, so dass vielleicht schon in wenigen Wochen mit Impfungen begonnen wird. Auch wenn eine durch Impfstoffe erzielte Herdenimmunität in der Bevölkerung wohl erst im späteren Verlauf des nächsten Jahres die Situation grundlegend verändern kann, ist das Ende der Krise nun endlich in Sicht. Diese früher als erwartete Aufhellung des Horizonts sollte es eigentlich erleichtern, eine vorausschauende, durchdachte Strategie der Bevölkerung zu vermitteln, auch wenn damit weiterhin erst einmal Einschränkungen verbunden sind. Die Regierung sollte sich hierzu mit Experten nochmals abstimmen und dann einen schlüssigen Plan zügig zur Diskussion zu stellen.

Eine humane Gesamtstrategie muss dabei den wirksamen Schutz der gesamten Bevölkerung zum Ziel haben. Es darf nicht weiterhin der Eindruck bestehen, dass der störungsarme Weiterbetrieb der Wirtschaft und das Offenhalten der Schulen mit einem Art Überlebens-Lotteriespiel der Alten und Kranken bezahlt wird.

Eine erfolgreiche Pandemiestrategie lebt in einem demokratischen Staat von der Bereitschaft, sich daran freiwillig zu beteiligen. Rigorose staatliche Zwangsmaßnahmen wie in China werden in Deutschland nicht zum Ziel führen – dann hätten wir unsere Rechte wirklich zugunsten einer „Corona-Diktatur“ aufgegeben, von der sich „Querdenker“ offenbar schon beim korrekten Aufziehen einer Mund-Nasen-Bedeckung geknebelt glauben.

Widerspruch oder Protest sollten Ansporn sein, die Pandemiestrategie im Parlament oder bei öffentlichen Auftritten besser zu begründen. Aber auch wenn wir die hartnäckige Corona-Leugner-Szene nicht erreichen, wird es maßgeblich darauf ankommen, möglichst viele Menschen mithilfe eines überzeugend vermittelten Gesamtkonzepts dafür zu motivieren, sich aktiv an einer humanen und solidarischen Pandemiebekämpfung zu beteiligen. Denn nur so können wir diese Strategie 2021 gemeinsam zum Erfolg führen.


Anmerkungen:

[1] Mehr als 23.600 Corona-Neuinfektionen, tagesschau.de vom 20.11.2020, https://www.tagesschau.de/inland/rki-neuinfektionen-rekord-103.html.

[2] Die Inzidenzzahlen sind entnommen aus dem Coronavirus-Monitor der Berliner Morgenpost (Stand 22.11.2020, 14 Uhr): https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit. Als Datenquelle werden hier angegeben: Johns Hopkins University CSSE (internationale Daten von WHO, CDC (USA), ECDC (Europa), NHC, DXY (China), Risklayer/Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Meldungen der französischen Ämter und der deutschen Behörden (RKI sowie Landes- und Kreisgesundheitsbehörden).

[3] Wie Israel die Infektionsrate drastisch senkte, in: Der Tagesspiegel 29.10.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/von-9000-auf-1000-wie-israel-die-infektionsrate-drastisch-senkte/26572386.html.

[4] Davon geht auch eine in „Science“ kürzlich veröffentlichte Studie aus, über die der Tagesspiegel am 2. Oktober berichtete: Kinder und junge Erwachsene treiben die Covid-19-Pandemie, https://www.tagesspiegel.de/wissen/kinder-sind-sehr-effiziente-uebertraeger-kinder-und-junge-erwachsene-treiben-die-covid-19-pandemie/26236846.html?fbclid=IwAR0a-6d-3FdKw81-i7kjq65SAW6oG0T8zG96EPLJsLpu5JddspbBPpG-G4o.

[5] So die Zahlen des statistischen Bundesamt zum vergangenen Schuljahr: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Schulen/Tabellen/allgemeinbildende-lehrkraefte-altebundeslaender.html.

[6] Zahl der Infektionen an Schulen nimmt stark zu, in: Der Spiegel 6.11.2020, https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/coronavirus-zahl-der-infektionen-an-schulen-nimmt-stark-zu-a-f6d60280-6d53-4755-976c-0d9f1177e471-amp?__twitter_impression=true.

[7] Alle Intensivbetten voll: Jetzt bezahlt die Schweiz den Preis für ihren Sonderweg, in: Focus 22.11.2020, https://www.focus.de/politik/ausland/mediziner-schlagen-alarm-intensivbetten-voll-jetzt-bezahlt-die-schweiz-den-preis-fuer-ihren-sonderweg_id_12676385.html.

[8] Spahn: 30 bis 40 Prozent sind Risikogruppe, in: zdfheute 9.11.2020, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-spahn-risikogruppen-100.html.

[9] Einen ausführlicherer Rückblick auf Deutschlands Umgang mit der Pandemie im Frühjahr und Sommer habe ich in meinem letzten Blogbeitrag vom 27.10.2020 gegeben.

[10] Deepti Gurdasani u.a.: The UK needs a sustainable strategy for COVID-19, in: The Lancelet 9.11.2020, https://doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32350-3. Vgl. auch das Interview mit der Göttinger Mitautorin des Papiers, Viola Priesemann, das in der Berliner Zeitung unter dem Titel „Forscherin zur zweiten Corona-Welle: ‚Ich hätte sofort lokal gegengesteuert‘“ am 17.11.2020 veröffentlicht wurde: https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/interview-viola-priesemann-li.118934. Von Campact e.V. wurde im Sinne dieser Forderungen ein Offener Brief an die Bundes- und Landesregierungen online lanciert, der bislang fast 80.000 Unterstützer gefunden hat: https://aktion.campact.de/corona/appell/teilnehmen?utm_source=homepage&utm_medium=cms.

[11] Vgl. Geht das jetzt immer so weiter? In: Die Zeit 17.11.2020, https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-11/corona-politik-impfung-lockdown-kontaktverfolgung-pandemiekontrolle-strategien.

[12] Corona-Warn-App: Downloads überschreiten 22-Millionen-Marke, in: connect 17.11.2020, https://www.connect.de/news/corona-warn-app-download-zahlen-3200860.html.

[13] Vgl. Push-Nachricht: “Einmal durchlüften, bitte!”, in: Süddeutsche Zeitung 19.11.2020, https://www.sueddeutsche.de/digital/corona-app-cluster-1.5120356.

[14] So die Zahlen des Politbarometers vom 13.11.2020: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-rueckhalt-fuer-geltende-massnahmen-100.html?slide=1605210718767.

[15] Wie sinnvoll sind Massentests? In: Der Spiegel 20.11.2020, https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-strategie-in-oesterreich-wie-sinnvoll-sind-massentests-a-a22f1ab1-b2ca-4413-b953-88bb7ff9288c#ref=rss?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ.

[16] Mehr Infektionen, weniger Isolation, in: Der Spiegel 12.11.2020, https://www.spiegel.de/panorama/bildung/schulen-in-der-coronakrise-mehr-infektionen-weniger-isolation-a-0e12ba63-2ad2-4f43-a516-c73e5731f040#ref=rss?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ.