Der Herkules, Kassels Wahrzeichen, würde sich beschämt abwenden – wenn er denn könnte. Foto: Schuler.
Kassel-Calden? Für all jene, die schon Kassel nur vom Zwischenhalt des Intercity kennen: In Kassel-Calden eröffnet Anfang April 2013 ein neuer, lange geplanter Regionalflughafen. Seit mindestens einem Jahrzehnt werden politisch Verantwortliche nicht müde, Notwendigkeit und positive Effekte eines solchen Regionalflughafens zu betonen. Entgegen aller Vernunft und trotz chronisch klammer öffentlicher Kassen. Das Desaster wird immer deutlicher, je näher der Eröffnungstermin heranrückt: Industrie und Logistikbranche, auf deren unabweisbaren Bedürfnisse man in der politischen Diskussion immer verwiesen hatte, haben am Ende, sehr zum Verdruss der Politik, nicht einen Cent in Kassel-Calden investiert. Zudem ist es der REWE-Touristik und Anbieter Involatus nicht gelungen, zureichend Tickets für den Erstflug ins türkische Antalya zu verkaufen.
Nur sechs Tickets verkauft, Flug abgesagt!
Der Flug ist abgesagt, die sechs (!) Passagiere wurden – ausgerechnet – auf Flüge ab Paderborn umgebucht. Das ist, anders als es das nordhessische Leitmedium HNA heute unter der Überschrift “Calden-Passagiere starten in Paderborn” verniedlichend meldet, viel mehr als nur “peinlich”! Denn das Desaster ist sogar deutlich schlimmer als am BER in Berlin, wo es an Fluggästen vermutlich nie mangeln wird. Gäbe es die Region Nordhessen und wäre sie eine Firma, würden nun Dutzende Köpfe rollen.
Autobahn notwendig, Flughafen fraglich
Anders als die mittlerweile sündhaft teure Autobahn A44 von Kassel nach Eisenach, mit der die Region ihre verkehrsgünstige Lage in der Mitte Deutschlands und das hier angesiedelte Logistikgewerbe weiter stärkt, ist der Regionalflughafen eine äußerst zweifelhafte Infrastrukturmaßnahme – was man in Nordhessen bisher allerdings nicht sagen darf, ohne als Defätist zu gelten. Dabei liegen die Fakten auf der Hand.
Fakten zum Flughafen Kassel-Calden
1) Die Menschen in Nordhessen haben bzw. hatten mit dem Flughafen Paderborn-Lippstadt längst einen funktionierenden, verkehrsgünstig gelegenen Regionalflughafen. Lediglich die Politik hatte keinen Flughafen.
2) Da der Flughafen Kassel-Calden nicht an eine Autobahn angeschlossen ist, verringert sich die Anreisezeit für die meisten Nordhessen nur minimal. Bereits für Baunataler z.B. dürfte hier kein Unterschied liegen, sie brauchen künftig rund 45 Minuten zum Flughafen ihrer Wahl – entweder bequem über die Autobahn Richtung Dortmund – oder umständlich um die Kasseler Innenstadt herum. Insofern wäre die Anreisezeit eher ein Argument für Südniedersachsen, Göttinger oder Reisende aus Thüringen, die bisher von Hannover oder Erfurt geflogen sind.
3) Den Tourismus nach Nordhessen wird Kassel-Calden wohl kaum stärken können. Denn die attraktivste und touristisch am besten erschlossene Gegend Nordhessens, das Waldecker Land mit dem angrenzenden Upland in Ostwestfalen, bleibt am näheren Flughafen Paderborn orientiert.
4) Der Wettbewerb der beiden Regionalflughäfen schadet künftig beiden Flughäfen – und hat Paderborn längst geschadet! Die Zeiten günstiger Restflüge von Paderborn auf die Kanaren sind z.B. längst vorbei. Denn eigentlich haben Regionalflughäfen überhaupt keinen Einfluss auf die angebotenen Reiseziele. Darüber entscheiden Touristikindustrie und Billigfluglinien, die die Regeln ihres ruinösen Wettbewerbs knallhart an die Flughafengesellschaften durchreichen. Flughäfen, die nicht bereit sind an der Kostengrenze mitzubieten, werden ausgelistet, unausgelastete Regionalflughäfen gibt es in der ganzen Republik. Den Regeln dieses Marktes folgend werden Touristikunternehmen und Fluggesellschaften die beiden Flughäfen künftig gegeneinander ausspielen.
5) Bliebe noch der Luftfrachtverkehr, um den man bereits oder zumindest alsbald verstärkt werben wird in Kassel-Calden. Sieht man vom Problem der Nachtflüge ab: Dessen Güter müssen nach der Landung wieder auf die Straßen – die ohne Autobahn durch nordhessische Gemeinden führen. Wird Kassel-Calden ein Erfolg als Frachtflughafen, sind die Probleme der Anliegergemeinden vorhersehbar. Und wie gering der nordhessische Einfluss auf das Bundesverkehrsministerium ist, zeigt die Entwicklung an der A7 Anschlussstelle Kassel-Nord überdeutlich.
Flughafen ohne Autobahnanschluss
Die hessischen Steuerzahler, besonders hart wird es die Kasseler treffen, werden also voraussichtlich über viele Jahre für einen vermutlich schlecht marktgängigen, defizitären Flughafen aufkommen müssen. Bis denn dereinst, jenseits der sogenannten Krise, Tourismus und Frachtverkehr wieder ordentlich wachsen. Ob sich der Flughafen ohne Autobahnanschluss je rechnet steht heute mehr denn je in den Sternen.
zwischenrufer / 23.03.2013