Selten war ein Landtagswahlergebnis so knapp wie am letzten Sonntag in Niedersachsen. Die nächste Regierung von Stefan Weil wird – aller Voraussicht nach – von 49 Sozialdemokraten und 20 Grünen Abgeordeneten getragen werden. CDU-FDP um den nunmehr abgewählten McAllister kommen zusammen lediglich auf 68 (54/14) Mandate. Reflexartig wird von der CDU eine “Zweitstimmen-Kampagne” zu Gunsten der FDP für das Desaster verantwortlich gemacht. Wer die Zahlen prüft, den “statistischen” Wählerwillen, wie er dank der Landeswahlleitung vortrefflich auf http://www.aktuelle-wahlen-niedersachsen.de/LW2013/start.html dargestellt und aufbereitet ist, kommt auf ganz andere Gedanken.
Zweistimmen-Kampagne, die es nie gegeben hat
Erstens ist da eine behauptete Zweitstimmen-Kampagne zu Gunsten der FDP – die es – zumindest so wie am Wahlabend behauptet – überhaupt nicht gegeben hat! (Ich will hier nicht bestreiten, dass es für einen konservativen Wähler ggfs. taktisch klug erscheint, mit der Zweitstimme FDP zu wählen. Ich bestreite der CDU eine solche Kampagne!) Denn meines Wissens hat keiner der christdemokratischen Granden im Wahlkampf vernehmlich dazu aufgefordert, das politische Überleben der FDP (oder gar das Philipp Röslers) durch “Leihstimmen” an die FDP zu sichern.
Was wollen wir vergleichen?
Zweitens, auch die “nackten” Zahlen (ich ignoriere alle Vergleiche mit Wahlprognosen und Umfrageergebnissen mit Vorsatz) belegen keine solche Kampagne, schließlich hat die FDP im Vergleich der Wahlen 2008/2013 lediglich einen einzigen (!) Sitz (13/14) zugelegt und sich beim Zweitstimmenanteil prozentual nur um 1,7% verbessert (8,2/9,9). Vergleichen wir gar den letzten relevanten Wählerwillen, die Niedersachsen-Ergebnisse der Bundestagswahl 2009, ist die FDP bei den prozentualen Zweitstimmen sogar deutlich geschumpft (13,3/9,9).
2.000 FDP-Zweitstimmen haben gefehlt
Drittens. Wenn es die behauptete Zweitstimmen-Kampagne allerdings je gegeben hat, dann war sie eben deshalb ein Mißerfolg, weil die FDP zu wenig Zweitstimmen bekommen hat! Diesen Befund finden wir auf http://www.wahlrecht.de/news/2013/landtagswahl-niedersachsen-2013.html#mehrheit sehr übersichtlich aufbereitet. Denn was die Wahl tatsächlich entschieden hat: Hätte die FDP am Sonntag auch nur 2.000 Zweitstimmen mehr bekommen (selbst wenn sie von der CDU gewesen wären), wäre David McAlllister Ministerpräsident von Niedersachsen geblieben!
Oder weniger als 1.000 Erststimmen für die CDU
Viertens. Übrigens hätten auch weniger als 1.000 Erststimmen mehr zu Gunsten der CDU die Wahl entscheiden können! Denn der Vorsprung der SPD-Kandidaten im Wahlkreis 21 (Hildesheim) und 69 (Wilhelmshaven) betrug jeweils nur 334 bzw. 406 Erststimmen
Christian Wulff wird totgeschwiegen
Staunend, das muss ich an irgendeiner Stelle dieses Artikels einmal anmerken, macht mich die Tatsache, dass NIEMAND, weder Wahlsieger, noch Wahlverlierer oder Interpreten der Wahl das relativ schlechte Abschneiden der CDU in irgendeine Verbindung zu Christian Wulffs Scheiternsgeschichte bringen. Meines Erinnerns war Christian Wulff bis zu seiner Wahl 2010 zum Bundespräsidenten Ministerpräsident in Niedersachsen, McAllister wurde sein Nachfolger.
Bundesrats-Mehrheit dahin
Kommen wir zu den bundespolitischen Implikationen der Niedersachsen-Wahl. Ab sofort hat die aktuelle Regierung im Bundesrat keine Mehrheit mehr. Ob das die Opposition bis zur Bundestagswahl konstruktiv einsetzen kann, sei dahingestellt.
Viel wichtiger: Spätestens seit der Wahl in Baden-Württemberg hat die CDU ein echtes Problem, mit der Realität wie mit den Prognosen. Denn die FDP wird wohl trotz Philipp Rösler und Rainer Brüderle bequem in den nächsten Bundestag kommen. Für alles andere sind liberal-konservative Wähler vermutlich zu schlau. Erreicht also die FDP bei der Bundestagswahl z.B. geschmeichelte 8% , muss Angela Merkel von den aktuell guten Umfrageergebnissen – Forsa bzw. Infratest sehen die CDU diese Woche bei 43 bzw. 42% – am Tag der Wahl und trotz aller Leihstimmen 40% für die CDU realisieren.
Das wird, wenn die SPD endlich begriffen hat, dass die Wahlergebnisse des Herbstes 2013 noch völlig offen sind, ein spannendes Jahr.
zwischenrufer / 22.01.2013